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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

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wesen, und habe das edle Herz auf der Zunge, den
Verstand in der Tasche getragen und dumme Streiche
gemacht. Es habe eine lang verlorne schöne Geliebte
gesucht, und mit schwimmenden Augen ihren Schatten
dafür angesehen und ihn brünstig umarmt. Verstehen
Sie das? -- "Herr, dunkel war der Rede Sinn." --
Ich muß ihn beim Thee bitten, mir's deutlicher zu ma¬
chen; des Abends ist er immer am zugänglichsten: da
tritt er mit mir in den Fensterbogen, und spricht aller¬
liebst über lauter kleine unbedeutende Dinge, aber er
sieht alles so eigen, ich mochte sagen so groß an, daß
man lauter Neuigkeiten hört. Fatal ist's mir, daß man
uns nie lange allein läßt; denn allein schwatzt er viel
zutraulicher. Namentlich ist Hr. William immer gleich
bei der Hand. Irre ich mich nicht ganz, so macht mir
dieser lebhaft den Hof. -- Was sagen Sie dazu, und
was wird er sagen, den Sie kennen? Ich glaube kaum,
daß William auch unter andern Verhältnissen Glück bei
mir machen könnte. Sein Aeußeres ist im Grunde
gar nicht übel: er ist hoch und schlank gewachsen, in¬
dessen fehlt dem Wuchse die eigentliche Konsistenz, er
ist gertenartig. Dunkelblonde, schief gescheitelte Haare
legen sich schlicht an einen ziemlich kleinen Kopf, der

weſen, und habe das edle Herz auf der Zunge, den
Verſtand in der Taſche getragen und dumme Streiche
gemacht. Es habe eine lang verlorne ſchöne Geliebte
geſucht, und mit ſchwimmenden Augen ihren Schatten
dafür angeſehen und ihn brünſtig umarmt. Verſtehen
Sie das? — „Herr, dunkel war der Rede Sinn.“ —
Ich muß ihn beim Thee bitten, mir's deutlicher zu ma¬
chen; des Abends iſt er immer am zugänglichſten: da
tritt er mit mir in den Fenſterbogen, und ſpricht aller¬
liebſt über lauter kleine unbedeutende Dinge, aber er
ſieht alles ſo eigen, ich mochte ſagen ſo groß an, daß
man lauter Neuigkeiten hört. Fatal iſt's mir, daß man
uns nie lange allein läßt; denn allein ſchwatzt er viel
zutraulicher. Namentlich iſt Hr. William immer gleich
bei der Hand. Irre ich mich nicht ganz, ſo macht mir
dieſer lebhaft den Hof. — Was ſagen Sie dazu, und
was wird er ſagen, den Sie kennen? Ich glaube kaum,
daß William auch unter andern Verhältniſſen Glück bei
mir machen könnte. Sein Aeußeres iſt im Grunde
gar nicht übel: er iſt hoch und ſchlank gewachſen, in¬
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[80/0090] weſen, und habe das edle Herz auf der Zunge, den Verſtand in der Taſche getragen und dumme Streiche gemacht. Es habe eine lang verlorne ſchöne Geliebte geſucht, und mit ſchwimmenden Augen ihren Schatten dafür angeſehen und ihn brünſtig umarmt. Verſtehen Sie das? — „Herr, dunkel war der Rede Sinn.“ — Ich muß ihn beim Thee bitten, mir's deutlicher zu ma¬ chen; des Abends iſt er immer am zugänglichſten: da tritt er mit mir in den Fenſterbogen, und ſpricht aller¬ liebſt über lauter kleine unbedeutende Dinge, aber er ſieht alles ſo eigen, ich mochte ſagen ſo groß an, daß man lauter Neuigkeiten hört. Fatal iſt's mir, daß man uns nie lange allein läßt; denn allein ſchwatzt er viel zutraulicher. Namentlich iſt Hr. William immer gleich bei der Hand. Irre ich mich nicht ganz, ſo macht mir dieſer lebhaft den Hof. — Was ſagen Sie dazu, und was wird er ſagen, den Sie kennen? Ich glaube kaum, daß William auch unter andern Verhältniſſen Glück bei mir machen könnte. Sein Aeußeres iſt im Grunde gar nicht übel: er iſt hoch und ſchlank gewachſen, in¬ deſſen fehlt dem Wuchſe die eigentliche Konſiſtenz, er iſt gertenartig. Dunkelblonde, ſchief geſcheitelte Haare legen ſich ſchlicht an einen ziemlich kleinen Kopf, der

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/90>, abgerufen am 28.03.2024.