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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.

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XIII. Fragment. Thierschädel.
II.

Die Gestalt der gierigen Thiere ohne Grausamkeit, das Ratzengeschlecht, das ich
das Diebsgeschlecht nennen möchte, ist wieder sehr bedeutend. Hier sind nur zwey davon.

16. Der Biber. 19. Die größte Feldmaus. Die leicht aufgebogenen, flachgewölb-
ten Linien, die wenigen Flächen, das Spitze, Feine -- bezeichnet Leichtigkeit der Bemerkung
des sinnlichen Gegenstandes, schnelles Ergreifen, Begierde und Furchtsamkeit, daher List. Der
oft schwache Unterkiefer, die vordern, spitzig gebognen Zähne haben ihre Bestimmung zum Na-
gen und Kosten; sie sind fähig, das angepackte Leblose sich kräftig schmecken zu lassen; aber nichts
Widerstehendes, Lebendiges, gewaltig zu fassen und zu verderben.

III.

An dieses Geschlecht gränzt unter den Raubthieren einigermaßen 12.) der Fuchs. Er
ist schwach gegen seine folgende Verwandte. Die so flache Abweichung vom Schädel bis zur
Nase, der mit dieser Linie fast parallellaufende Unterkiefer gäben der Gestalt was Unkräftiges,
wenigstens Gleichgültiges, wenn nicht der etwas vor aufwärts geschweifte Oberkiefer, und die
spitzen, abgerißnen Zähne eine geringe Grausamkeit sehen ließen.

An diesem und den folgenden Köpfen haben die Hirschschädel, ob sie gleich in den Mo-
difikationen von einander abgehen, doch das gemein, daß sie größer, stärker, abgesonderter sind,
als bey den vorigen Geschlechtern; daß sie einen vorzüglichen Theil des Kopfes ausmachen,
Festigkeit und Stärke bezeichnen.

13.) Der Hund hat schon mehr Festes; zwar was Gemeines, Unbedeutendes -- (ich
spreche unrichtig; alles, auch das Alltäglichste, auch das Mittelmäßigste, ist so bedeutend, als
das Ausgezeichneteste -- aber die Bedeutung ist nicht so auffallend. -- -- Unbedeutendes
also, das heißt -- nicht sehr Frappantes --) Das Abgehen des Schädels vom Augenkno-
chen zeigt, möcht' ich -- sagen, Bestimmtheit der Sinneskraft. Der Rachen ist mehr zu ei-
ner ruhigen, als grausamen oder gierigen Gefräßigkeit gemacht, ob er gleich etwas von beyden

hat.
XIII. Fragment. Thierſchaͤdel.
II.

Die Geſtalt der gierigen Thiere ohne Grauſamkeit, das Ratzengeſchlecht, das ich
das Diebsgeſchlecht nennen moͤchte, iſt wieder ſehr bedeutend. Hier ſind nur zwey davon.

16. Der Biber. 19. Die groͤßte Feldmaus. Die leicht aufgebogenen, flachgewoͤlb-
ten Linien, die wenigen Flaͤchen, das Spitze, Feine — bezeichnet Leichtigkeit der Bemerkung
des ſinnlichen Gegenſtandes, ſchnelles Ergreifen, Begierde und Furchtſamkeit, daher Liſt. Der
oft ſchwache Unterkiefer, die vordern, ſpitzig gebognen Zaͤhne haben ihre Beſtimmung zum Na-
gen und Koſten; ſie ſind faͤhig, das angepackte Lebloſe ſich kraͤftig ſchmecken zu laſſen; aber nichts
Widerſtehendes, Lebendiges, gewaltig zu faſſen und zu verderben.

III.

An dieſes Geſchlecht graͤnzt unter den Raubthieren einigermaßen 12.) der Fuchs. Er
iſt ſchwach gegen ſeine folgende Verwandte. Die ſo flache Abweichung vom Schaͤdel bis zur
Naſe, der mit dieſer Linie faſt parallellaufende Unterkiefer gaͤben der Geſtalt was Unkraͤftiges,
wenigſtens Gleichguͤltiges, wenn nicht der etwas vor aufwaͤrts geſchweifte Oberkiefer, und die
ſpitzen, abgerißnen Zaͤhne eine geringe Grauſamkeit ſehen ließen.

An dieſem und den folgenden Koͤpfen haben die Hirſchſchaͤdel, ob ſie gleich in den Mo-
difikationen von einander abgehen, doch das gemein, daß ſie groͤßer, ſtaͤrker, abgeſonderter ſind,
als bey den vorigen Geſchlechtern; daß ſie einen vorzuͤglichen Theil des Kopfes ausmachen,
Feſtigkeit und Staͤrke bezeichnen.

13.) Der Hund hat ſchon mehr Feſtes; zwar was Gemeines, Unbedeutendes — (ich
ſpreche unrichtig; alles, auch das Alltaͤglichſte, auch das Mittelmaͤßigſte, iſt ſo bedeutend, als
das Ausgezeichneteſte — aber die Bedeutung iſt nicht ſo auffallend. — — Unbedeutendes
alſo, das heißt — nicht ſehr Frappantes —) Das Abgehen des Schaͤdels vom Augenkno-
chen zeigt, moͤcht’ ich — ſagen, Beſtimmtheit der Sinneskraft. Der Rachen iſt mehr zu ei-
ner ruhigen, als grauſamen oder gierigen Gefraͤßigkeit gemacht, ob er gleich etwas von beyden

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[140/0200] XIII. Fragment. Thierſchaͤdel. II. Die Geſtalt der gierigen Thiere ohne Grauſamkeit, das Ratzengeſchlecht, das ich das Diebsgeſchlecht nennen moͤchte, iſt wieder ſehr bedeutend. Hier ſind nur zwey davon. 16. Der Biber. 19. Die groͤßte Feldmaus. Die leicht aufgebogenen, flachgewoͤlb- ten Linien, die wenigen Flaͤchen, das Spitze, Feine — bezeichnet Leichtigkeit der Bemerkung des ſinnlichen Gegenſtandes, ſchnelles Ergreifen, Begierde und Furchtſamkeit, daher Liſt. Der oft ſchwache Unterkiefer, die vordern, ſpitzig gebognen Zaͤhne haben ihre Beſtimmung zum Na- gen und Koſten; ſie ſind faͤhig, das angepackte Lebloſe ſich kraͤftig ſchmecken zu laſſen; aber nichts Widerſtehendes, Lebendiges, gewaltig zu faſſen und zu verderben. III. An dieſes Geſchlecht graͤnzt unter den Raubthieren einigermaßen 12.) der Fuchs. Er iſt ſchwach gegen ſeine folgende Verwandte. Die ſo flache Abweichung vom Schaͤdel bis zur Naſe, der mit dieſer Linie faſt parallellaufende Unterkiefer gaͤben der Geſtalt was Unkraͤftiges, wenigſtens Gleichguͤltiges, wenn nicht der etwas vor aufwaͤrts geſchweifte Oberkiefer, und die ſpitzen, abgerißnen Zaͤhne eine geringe Grauſamkeit ſehen ließen. An dieſem und den folgenden Koͤpfen haben die Hirſchſchaͤdel, ob ſie gleich in den Mo- difikationen von einander abgehen, doch das gemein, daß ſie groͤßer, ſtaͤrker, abgeſonderter ſind, als bey den vorigen Geſchlechtern; daß ſie einen vorzuͤglichen Theil des Kopfes ausmachen, Feſtigkeit und Staͤrke bezeichnen. 13.) Der Hund hat ſchon mehr Feſtes; zwar was Gemeines, Unbedeutendes — (ich ſpreche unrichtig; alles, auch das Alltaͤglichſte, auch das Mittelmaͤßigſte, iſt ſo bedeutend, als das Ausgezeichneteſte — aber die Bedeutung iſt nicht ſo auffallend. — — Unbedeutendes alſo, das heißt — nicht ſehr Frappantes —) Das Abgehen des Schaͤdels vom Augenkno- chen zeigt, moͤcht’ ich — ſagen, Beſtimmtheit der Sinneskraft. Der Rachen iſt mehr zu ei- ner ruhigen, als grauſamen oder gierigen Gefraͤßigkeit gemacht, ob er gleich etwas von beyden hat.

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/200>, abgerufen am 30.03.2024.