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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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VIII. Abschnitt. IV. Fragment. Musiker.
Viertes Fragment.
Ein schattirtes männliches Porträt im Profil. K.
Des III. Ban-
des LX. Tafel.
K.

Wieder eins von denen Gesichtern, die man nie ähnlich und nie unähnlich nachzeich-
nen kann, und einer von denen Charaktern, von welchen man so viel und so wenig zu
sagen weiß. Wir haben schon im II. Bande über die Silhouette dieses Mannes gesprochen. Hier
tritt er in der Reihe von Virtuosen -- oder musikalischen Genies auf. Jch bin leider nicht Ton-
verständiger, um ihn von dieser Seite beurtheilen zu können -- doch sagt mir, so oft ich ihn, oder
nach ihm andere höre -- mein ungelehrtes Menschengefühl, daß Simplicität, schnelles Treffen
und Ergreifen der reinen wahren Natur -- Reinheit und Drang tief heraus quillender Empfin-
dung -- mit der wenigsten Manier -- Charakter seines Genies sey.

Gegenwärtiges Bild -- ist so wunderbar aus Trübsinn, Uebellaune, und einer gewissen
Knäblichkeit, wenn ich so sagen darf, zusammengesetzt, zusammengeflickt sollt' ich sagen, die im Ur-
bilde nicht ist, und nicht seyn kann. So was Zaghaftes, Eingedrücktes, Unfestes, das ganz wider
den Naturcharakter ist. So ist dieß Aug im Mißverhältniß des Ausdrucks zu dieser kraft- und drang-
reichen Stirne! So die Vertiefung bey der Nasenwurzel -- wieder heterogen mit der Stirne! Um
ein Haar auch die Spitze oder der Knopf der Nase -- Allzuausgerundet die Höhlung der Oberlippe
von der Nase zur eigentlichen Lippe. Die eigentliche Oberlippe, aus der noch viel tiefe, innige
Empfindsamkeit und poetischer Geist -- nein poetische Seele hervorleuchtet -- ebenfalls gegen das
Ende zu abgeschnitten. Das Kinn -- zu virtuosisch -- aber merkwürdig und sprechend das oben-
her sehr dünne und breite, unten äußerst zarte spitzige Ohr.



Des
VIII. Abſchnitt. IV. Fragment. Muſiker.
Viertes Fragment.
Ein ſchattirtes maͤnnliches Portraͤt im Profil. K.
Des III. Ban-
des LX. Tafel.
K.

Wieder eins von denen Geſichtern, die man nie aͤhnlich und nie unaͤhnlich nachzeich-
nen kann, und einer von denen Charaktern, von welchen man ſo viel und ſo wenig zu
ſagen weiß. Wir haben ſchon im II. Bande uͤber die Silhouette dieſes Mannes geſprochen. Hier
tritt er in der Reihe von Virtuoſen — oder muſikaliſchen Genies auf. Jch bin leider nicht Ton-
verſtaͤndiger, um ihn von dieſer Seite beurtheilen zu koͤnnen — doch ſagt mir, ſo oft ich ihn, oder
nach ihm andere hoͤre — mein ungelehrtes Menſchengefuͤhl, daß Simplicitaͤt, ſchnelles Treffen
und Ergreifen der reinen wahren Natur — Reinheit und Drang tief heraus quillender Empfin-
dung — mit der wenigſten Manier — Charakter ſeines Genies ſey.

Gegenwaͤrtiges Bild — iſt ſo wunderbar aus Truͤbſinn, Uebellaune, und einer gewiſſen
Knaͤblichkeit, wenn ich ſo ſagen darf, zuſammengeſetzt, zuſammengeflickt ſollt’ ich ſagen, die im Ur-
bilde nicht iſt, und nicht ſeyn kann. So was Zaghaftes, Eingedruͤcktes, Unfeſtes, das ganz wider
den Naturcharakter iſt. So iſt dieß Aug im Mißverhaͤltniß des Ausdrucks zu dieſer kraft- und drang-
reichen Stirne! So die Vertiefung bey der Naſenwurzel — wieder heterogen mit der Stirne! Um
ein Haar auch die Spitze oder der Knopf der Naſe — Allzuausgerundet die Hoͤhlung der Oberlippe
von der Naſe zur eigentlichen Lippe. Die eigentliche Oberlippe, aus der noch viel tiefe, innige
Empfindſamkeit und poetiſcher Geiſt — nein poetiſche Seele hervorleuchtet — ebenfalls gegen das
Ende zu abgeſchnitten. Das Kinn — zu virtuoſiſch — aber merkwuͤrdig und ſprechend das oben-
her ſehr duͤnne und breite, unten aͤußerſt zarte ſpitzige Ohr.



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[202/0336] VIII. Abſchnitt. IV. Fragment. Muſiker. Viertes Fragment. Ein ſchattirtes maͤnnliches Portraͤt im Profil. K. Wieder eins von denen Geſichtern, die man nie aͤhnlich und nie unaͤhnlich nachzeich- nen kann, und einer von denen Charaktern, von welchen man ſo viel und ſo wenig zu ſagen weiß. Wir haben ſchon im II. Bande uͤber die Silhouette dieſes Mannes geſprochen. Hier tritt er in der Reihe von Virtuoſen — oder muſikaliſchen Genies auf. Jch bin leider nicht Ton- verſtaͤndiger, um ihn von dieſer Seite beurtheilen zu koͤnnen — doch ſagt mir, ſo oft ich ihn, oder nach ihm andere hoͤre — mein ungelehrtes Menſchengefuͤhl, daß Simplicitaͤt, ſchnelles Treffen und Ergreifen der reinen wahren Natur — Reinheit und Drang tief heraus quillender Empfin- dung — mit der wenigſten Manier — Charakter ſeines Genies ſey. Gegenwaͤrtiges Bild — iſt ſo wunderbar aus Truͤbſinn, Uebellaune, und einer gewiſſen Knaͤblichkeit, wenn ich ſo ſagen darf, zuſammengeſetzt, zuſammengeflickt ſollt’ ich ſagen, die im Ur- bilde nicht iſt, und nicht ſeyn kann. So was Zaghaftes, Eingedruͤcktes, Unfeſtes, das ganz wider den Naturcharakter iſt. So iſt dieß Aug im Mißverhaͤltniß des Ausdrucks zu dieſer kraft- und drang- reichen Stirne! So die Vertiefung bey der Naſenwurzel — wieder heterogen mit der Stirne! Um ein Haar auch die Spitze oder der Knopf der Naſe — Allzuausgerundet die Hoͤhlung der Oberlippe von der Naſe zur eigentlichen Lippe. Die eigentliche Oberlippe, aus der noch viel tiefe, innige Empfindſamkeit und poetiſcher Geiſt — nein poetiſche Seele hervorleuchtet — ebenfalls gegen das Ende zu abgeſchnitten. Das Kinn — zu virtuoſiſch — aber merkwuͤrdig und ſprechend das oben- her ſehr duͤnne und breite, unten aͤußerſt zarte ſpitzige Ohr. Des

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/336>, abgerufen am 19.04.2024.