Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

Dichter.
fehlt vornehmlich Lebendigkeit; Adel und Feinheit im zweyten. Hier ist von beyden, wie viel,
viel mehr! Wie viel Kühnheit, Festigkeit, Leichtigkeit im Ganzen! Wie schmilzt da Jüngling
und Mann in Eins! Wie sanft, wie ohn' alle Härte, Steifheit, Gespanntheit, Lockerheit; wie
unangestrengt und harmonisch wälzt sich der Umriß des Profils vom obersten Stirnpunkte her-
ab bis wo sich der Hals in die Kleidung verliert! Wie ist drinn der Verstand immer warm von
Empfindung -- Lichthell die Empfindung vom Verstande. --

Man bemerke vorzüglich die Lage und Form dieser -- nun gewiß -- gedächtnißrei-
chen, gedankenreichen -- warmen Stirne -- bemerke das mit Einem fortgehenden Schnellblicke
durchdringende, verliebte -- sanft geschweifte, nicht sehr tiefliegende, helle, leicht bewegliche Auge --
die so sanft sich drüber hinschleichende Augenbraune -- diese an sich allein so dichterische Nase --
diesen so eigentlich poetischen Uebergang zum lippichten -- von schneller Empfindung gleichsam
sanft zitternden, und das schwebende Zittern zurückhaltenden Munde -- dieß männliche Kinn --
dieß offne, markige Ohr -- Wer ist -- der absprechen könne diesem Gesichte --

Genie

Und Genie, ganzes, wahres Genie, ohne Herz -- ist, wie anderswo erwiesen werden soll --
Unding -- Denn nicht hoher Verstand allein; nicht Jmagination allein; nicht beyde
zusammen
machen Genie -- Liebe! Liebe! Liebe -- ist die Seele des Genies.

Und nun sollt' auch noch ein Wort von nachstehender Vignette -- dasselbe Gesicht --
gesagt werden -- Aller Zeichnungsfehler ungeachtet -- drückt dennoch beynahe keines von al-
len die dichterische hochaufschwebende Genialität aus, wie dieß. --

Und

Dichter.
fehlt vornehmlich Lebendigkeit; Adel und Feinheit im zweyten. Hier iſt von beyden, wie viel,
viel mehr! Wie viel Kuͤhnheit, Feſtigkeit, Leichtigkeit im Ganzen! Wie ſchmilzt da Juͤngling
und Mann in Eins! Wie ſanft, wie ohn’ alle Haͤrte, Steifheit, Geſpanntheit, Lockerheit; wie
unangeſtrengt und harmoniſch waͤlzt ſich der Umriß des Profils vom oberſten Stirnpunkte her-
ab bis wo ſich der Hals in die Kleidung verliert! Wie iſt drinn der Verſtand immer warm von
Empfindung — Lichthell die Empfindung vom Verſtande. —

Man bemerke vorzuͤglich die Lage und Form dieſer — nun gewiß — gedaͤchtnißrei-
chen, gedankenreichen — warmen Stirne — bemerke das mit Einem fortgehenden Schnellblicke
durchdringende, verliebte — ſanft geſchweifte, nicht ſehr tiefliegende, helle, leicht bewegliche Auge —
die ſo ſanft ſich druͤber hinſchleichende Augenbraune — dieſe an ſich allein ſo dichteriſche Naſe —
dieſen ſo eigentlich poetiſchen Uebergang zum lippichten — von ſchneller Empfindung gleichſam
ſanft zitternden, und das ſchwebende Zittern zuruͤckhaltenden Munde — dieß maͤnnliche Kinn —
dieß offne, markige Ohr — Wer iſt — der abſprechen koͤnne dieſem Geſichte —

Genie

Und Genie, ganzes, wahres Genie, ohne Herz — iſt, wie anderswo erwieſen werden ſoll —
Unding — Denn nicht hoher Verſtand allein; nicht Jmagination allein; nicht beyde
zuſammen
machen Genie — Liebe! Liebe! Liebe — iſt die Seele des Genies.

Und nun ſollt’ auch noch ein Wort von nachſtehender Vignette — daſſelbe Geſicht —
geſagt werden — Aller Zeichnungsfehler ungeachtet — druͤckt dennoch beynahe keines von al-
len die dichteriſche hochaufſchwebende Genialitaͤt aus, wie dieß. —

Und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0371" n="223"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Dichter</hi>.</hi></fw><lb/>
fehlt vornehmlich Lebendigkeit; Adel und Feinheit im zweyten. Hier i&#x017F;t von beyden, wie viel,<lb/>
viel mehr! Wie viel Ku&#x0364;hnheit, Fe&#x017F;tigkeit, Leichtigkeit im Ganzen! Wie &#x017F;chmilzt da Ju&#x0364;ngling<lb/>
und Mann in Eins! Wie &#x017F;anft, wie ohn&#x2019; alle Ha&#x0364;rte, Steifheit, Ge&#x017F;panntheit, Lockerheit; wie<lb/>
unange&#x017F;trengt und harmoni&#x017F;ch wa&#x0364;lzt &#x017F;ich der Umriß des Profils vom ober&#x017F;ten Stirnpunkte her-<lb/>
ab bis wo &#x017F;ich der Hals in die Kleidung verliert! Wie i&#x017F;t drinn der Ver&#x017F;tand immer warm von<lb/>
Empfindung &#x2014; Lichthell die Empfindung vom Ver&#x017F;tande. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Man bemerke vorzu&#x0364;glich die <hi rendition="#fr">Lage</hi> und <hi rendition="#fr">Form</hi> die&#x017F;er &#x2014; nun gewiß &#x2014; geda&#x0364;chtnißrei-<lb/>
chen, gedankenreichen &#x2014; warmen Stirne &#x2014; bemerke das mit Einem fortgehenden Schnellblicke<lb/>
durchdringende, verliebte &#x2014; &#x017F;anft ge&#x017F;chweifte, nicht &#x017F;ehr tiefliegende, helle, leicht bewegliche Auge &#x2014;<lb/>
die &#x017F;o &#x017F;anft &#x017F;ich dru&#x0364;ber hin&#x017F;chleichende Augenbraune &#x2014; die&#x017F;e an &#x017F;ich allein &#x017F;o dichteri&#x017F;che Na&#x017F;e &#x2014;<lb/>
die&#x017F;en &#x017F;o eigentlich poeti&#x017F;chen Uebergang zum lippichten &#x2014; von &#x017F;chneller Empfindung gleich&#x017F;am<lb/>
&#x017F;anft zitternden, und das &#x017F;chwebende Zittern zuru&#x0364;ckhaltenden Munde &#x2014; dieß ma&#x0364;nnliche Kinn &#x2014;<lb/>
dieß offne, markige Ohr &#x2014; Wer i&#x017F;t &#x2014; der ab&#x017F;prechen ko&#x0364;nne die&#x017F;em Ge&#x017F;ichte &#x2014;</p><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Genie</hi> </hi> </head><lb/>
              <p>Und Genie, <hi rendition="#fr">ganzes,</hi> wahres Genie, <hi rendition="#fr">ohne Herz</hi> &#x2014; i&#x017F;t, wie anderswo erwie&#x017F;en werden &#x017F;oll &#x2014;<lb/><hi rendition="#fr">Unding</hi> &#x2014; Denn nicht <hi rendition="#fr">hoher Ver&#x017F;tand allein;</hi> nicht <hi rendition="#fr">Jmagination allein;</hi> nicht <hi rendition="#fr">beyde<lb/>
zu&#x017F;ammen</hi> machen <hi rendition="#fr">Genie &#x2014; Liebe! Liebe! Liebe</hi> &#x2014; i&#x017F;t die <hi rendition="#fr">Seele des Genies.</hi></p><lb/>
              <p>Und nun &#x017F;ollt&#x2019; auch noch ein Wort von nach&#x017F;tehender Vignette &#x2014; da&#x017F;&#x017F;elbe Ge&#x017F;icht &#x2014;<lb/>
ge&#x017F;agt werden &#x2014; Aller Zeichnungsfehler ungeachtet &#x2014; dru&#x0364;ckt dennoch beynahe keines von al-<lb/>
len die dichteri&#x017F;che hochauf&#x017F;chwebende Genialita&#x0364;t aus, wie dieß. &#x2014;</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0371] Dichter. fehlt vornehmlich Lebendigkeit; Adel und Feinheit im zweyten. Hier iſt von beyden, wie viel, viel mehr! Wie viel Kuͤhnheit, Feſtigkeit, Leichtigkeit im Ganzen! Wie ſchmilzt da Juͤngling und Mann in Eins! Wie ſanft, wie ohn’ alle Haͤrte, Steifheit, Geſpanntheit, Lockerheit; wie unangeſtrengt und harmoniſch waͤlzt ſich der Umriß des Profils vom oberſten Stirnpunkte her- ab bis wo ſich der Hals in die Kleidung verliert! Wie iſt drinn der Verſtand immer warm von Empfindung — Lichthell die Empfindung vom Verſtande. — Man bemerke vorzuͤglich die Lage und Form dieſer — nun gewiß — gedaͤchtnißrei- chen, gedankenreichen — warmen Stirne — bemerke das mit Einem fortgehenden Schnellblicke durchdringende, verliebte — ſanft geſchweifte, nicht ſehr tiefliegende, helle, leicht bewegliche Auge — die ſo ſanft ſich druͤber hinſchleichende Augenbraune — dieſe an ſich allein ſo dichteriſche Naſe — dieſen ſo eigentlich poetiſchen Uebergang zum lippichten — von ſchneller Empfindung gleichſam ſanft zitternden, und das ſchwebende Zittern zuruͤckhaltenden Munde — dieß maͤnnliche Kinn — dieß offne, markige Ohr — Wer iſt — der abſprechen koͤnne dieſem Geſichte — Genie Und Genie, ganzes, wahres Genie, ohne Herz — iſt, wie anderswo erwieſen werden ſoll — Unding — Denn nicht hoher Verſtand allein; nicht Jmagination allein; nicht beyde zuſammen machen Genie — Liebe! Liebe! Liebe — iſt die Seele des Genies. Und nun ſollt’ auch noch ein Wort von nachſtehender Vignette — daſſelbe Geſicht — geſagt werden — Aller Zeichnungsfehler ungeachtet — druͤckt dennoch beynahe keines von al- len die dichteriſche hochaufſchwebende Genialitaͤt aus, wie dieß. — Und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/371
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/371>, abgerufen am 24.04.2024.