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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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Religiose.

Das Aug' ist besonders merkwürdig, obgleich das äußerst gütige, und wenn ich so sagen
darf, ohne von irgend einem wortklaubenden Kunstrichter wieder einen Peitschenschlag dafür zu be-
kommen -- die Salbung fehlt. Die Oberlippe des Auges ist nicht so breit, und schärfer. Der
an den Augapfel gränzende Umriß hat in der Natur mehr Schweifung, und wird dadurch bestimm-
terer Ausdruck von Schüchternheit und Bescheidenheit, von einem Religionsgeiste, der sich in
Gottes Reich sanft hineindenkt -- nicht hineinstürmt, nicht hineinfliegt.

Das Wahreste ist der Umriß der Nase, die jedoch in der Natur, an der Spitze noch zärter,
feiner, schärfer ist. Sowohl der Winkel unter der Nase, als der geschloßne (obgleich von der Ernst-
haftigkeit und dem Salze der Natur abweichende) Mund, wie auch zum Theil das Kinn, sind wah-
rer, entscheidender Ausdruck von Weisheit und Klugheit. Viel zärter und geistreicher ist in der
Natur der Umriß vom feinen, zarten, Eindruck empfänglichen Ohre herab bis zum Kinne. Ob
das zarte schwarze Haar -- überhaupt Ausdruck von kälterer Complexion sey, ist mir noch nicht
vollkommen entschieden.

Von diesem Gesichte, wie es da liegt, noch mehr aber von dem viel geistigern Urbilde läßt
sich mit Gewißheit sagen -- daß es alles in der Welt eher werden wird und kann, als -- ein Re-
ligionsfeind -- und ein Herrnhuter.

Drittes Fragment.
Vier männliche Profile weiß und schwarz; umrissen und schattirt.
Des III. Ban-
des LXVIII.
Tafel. Z.

Vier Profile, die einen und ebendenselben Menschen vorstellen sollten -- Wahr ist
keines, als der Schattenriß 4. Alle viere aber, so ungleich sie sich sind -- bezeichnen
einen feinzarten, helldenkenden, ruhigen, wohl überlegenden, zu einer lichtdeutlichen Religion or-
ganisirten Mann -- der alles mit Weisheit, Anstand, Gefälligkeit, Ruhe, Frömmigkeit thut.

Freylich in der Zeichnung des Mundes ist das Gefällige nicht auffällend -- höchstens
durchscheinend in 2.

Hell-
Phys. Fragm. III Versuch. J i
Religioſe.

Das Aug’ iſt beſonders merkwuͤrdig, obgleich das aͤußerſt guͤtige, und wenn ich ſo ſagen
darf, ohne von irgend einem wortklaubenden Kunſtrichter wieder einen Peitſchenſchlag dafuͤr zu be-
kommen — die Salbung fehlt. Die Oberlippe des Auges iſt nicht ſo breit, und ſchaͤrfer. Der
an den Augapfel graͤnzende Umriß hat in der Natur mehr Schweifung, und wird dadurch beſtimm-
terer Ausdruck von Schuͤchternheit und Beſcheidenheit, von einem Religionsgeiſte, der ſich in
Gottes Reich ſanft hineindenkt — nicht hineinſtuͤrmt, nicht hineinfliegt.

Das Wahreſte iſt der Umriß der Naſe, die jedoch in der Natur, an der Spitze noch zaͤrter,
feiner, ſchaͤrfer iſt. Sowohl der Winkel unter der Naſe, als der geſchloßne (obgleich von der Ernſt-
haftigkeit und dem Salze der Natur abweichende) Mund, wie auch zum Theil das Kinn, ſind wah-
rer, entſcheidender Ausdruck von Weisheit und Klugheit. Viel zaͤrter und geiſtreicher iſt in der
Natur der Umriß vom feinen, zarten, Eindruck empfaͤnglichen Ohre herab bis zum Kinne. Ob
das zarte ſchwarze Haar — uͤberhaupt Ausdruck von kaͤlterer Complexion ſey, iſt mir noch nicht
vollkommen entſchieden.

Von dieſem Geſichte, wie es da liegt, noch mehr aber von dem viel geiſtigern Urbilde laͤßt
ſich mit Gewißheit ſagen — daß es alles in der Welt eher werden wird und kann, als — ein Re-
ligionsfeind — und ein Herrnhuter.

Drittes Fragment.
Vier maͤnnliche Profile weiß und ſchwarz; umriſſen und ſchattirt.
Des III. Ban-
des LXVIII.
Tafel. Z.

Vier Profile, die einen und ebendenſelben Menſchen vorſtellen ſollten — Wahr iſt
keines, als der Schattenriß 4. Alle viere aber, ſo ungleich ſie ſich ſind — bezeichnen
einen feinzarten, helldenkenden, ruhigen, wohl uͤberlegenden, zu einer lichtdeutlichen Religion or-
ganiſirten Mann — der alles mit Weisheit, Anſtand, Gefaͤlligkeit, Ruhe, Froͤmmigkeit thut.

Freylich in der Zeichnung des Mundes iſt das Gefaͤllige nicht auffaͤllend — hoͤchſtens
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Hell-
Phyſ. Fragm. III Verſuch. J i
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[249/0401] Religioſe. Das Aug’ iſt beſonders merkwuͤrdig, obgleich das aͤußerſt guͤtige, und wenn ich ſo ſagen darf, ohne von irgend einem wortklaubenden Kunſtrichter wieder einen Peitſchenſchlag dafuͤr zu be- kommen — die Salbung fehlt. Die Oberlippe des Auges iſt nicht ſo breit, und ſchaͤrfer. Der an den Augapfel graͤnzende Umriß hat in der Natur mehr Schweifung, und wird dadurch beſtimm- terer Ausdruck von Schuͤchternheit und Beſcheidenheit, von einem Religionsgeiſte, der ſich in Gottes Reich ſanft hineindenkt — nicht hineinſtuͤrmt, nicht hineinfliegt. Das Wahreſte iſt der Umriß der Naſe, die jedoch in der Natur, an der Spitze noch zaͤrter, feiner, ſchaͤrfer iſt. Sowohl der Winkel unter der Naſe, als der geſchloßne (obgleich von der Ernſt- haftigkeit und dem Salze der Natur abweichende) Mund, wie auch zum Theil das Kinn, ſind wah- rer, entſcheidender Ausdruck von Weisheit und Klugheit. Viel zaͤrter und geiſtreicher iſt in der Natur der Umriß vom feinen, zarten, Eindruck empfaͤnglichen Ohre herab bis zum Kinne. Ob das zarte ſchwarze Haar — uͤberhaupt Ausdruck von kaͤlterer Complexion ſey, iſt mir noch nicht vollkommen entſchieden. Von dieſem Geſichte, wie es da liegt, noch mehr aber von dem viel geiſtigern Urbilde laͤßt ſich mit Gewißheit ſagen — daß es alles in der Welt eher werden wird und kann, als — ein Re- ligionsfeind — und ein Herrnhuter. Drittes Fragment. Vier maͤnnliche Profile weiß und ſchwarz; umriſſen und ſchattirt. Vier Profile, die einen und ebendenſelben Menſchen vorſtellen ſollten — Wahr iſt keines, als der Schattenriß 4. Alle viere aber, ſo ungleich ſie ſich ſind — bezeichnen einen feinzarten, helldenkenden, ruhigen, wohl uͤberlegenden, zu einer lichtdeutlichen Religion or- ganiſirten Mann — der alles mit Weisheit, Anſtand, Gefaͤlligkeit, Ruhe, Froͤmmigkeit thut. Freylich in der Zeichnung des Mundes iſt das Gefaͤllige nicht auffaͤllend — hoͤchſtens durchſcheinend in 2. Hell- Phyſ. Fragm. III Verſuch. J i

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/401>, abgerufen am 28.03.2024.