Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
Fünftes Fragment.
Ein schwäbischer Bauer von vornen. M. K.
Des III. Ban-
des LXX.
Tafel.

Ein Gesicht, das in der Natur viel mehr, als in diesem, jedoch nicht unkenntlichen,
Bilde -- ins Affengeschlecht sieht -- -- So hab' ich noch keinen Affenblick gesehen!
Und selten noch die vielseitige kindlich einfältige, und dennoch, obgleich planlos -- feine Natur-
kraft, und kalte, doch bisweilen heftige, kühne Religion.

Nah' an Wunderkraft gränzte einst der nun verloschne Glaube dieses Mannes -- Trock-
ner, kälter, unzärtlicher, und dennoch zugleich kindlich liebreicher -- hab' ich kaum einen Mann
und ein Gesicht gesehen. Diese von aller freundschaftlichen Sehnsucht, allem schmachtenden An-
ziehen ferne Trockenheit -- ist in den Falten der Stirne -- besonders aber in der pyramidalen
Falte über der Nasenwurzel -- in der Kleinheit und Kürze der Nase -- in der starken Wöl-
bung der Augen und Augenlieder und Augenfalten -- sichtbar; am sichtbarsten aber in dem
Munde, und der eckigten Falte unterm Munde -- und der Entfernung des Mundes von der
Nase. Jedoch leuchtet selber durch diese beynahe trutzige Trockenheit des Mundes, besonders
auf der rechten Seite der Mittellinie etwas von besagter Kindesgüte hervor. Das Aug ist
mehr des Tiefblickenden, als des Tiefforschenden.

Hier
J i 3
Fuͤnftes Fragment.
Ein ſchwaͤbiſcher Bauer von vornen. M. K.
Des III. Ban-
des LXX.
Tafel.

Ein Geſicht, das in der Natur viel mehr, als in dieſem, jedoch nicht unkenntlichen,
Bilde — ins Affengeſchlecht ſieht — — So hab’ ich noch keinen Affenblick geſehen!
Und ſelten noch die vielſeitige kindlich einfaͤltige, und dennoch, obgleich planlos — feine Natur-
kraft, und kalte, doch bisweilen heftige, kuͤhne Religion.

Nah’ an Wunderkraft graͤnzte einſt der nun verloſchne Glaube dieſes Mannes — Trock-
ner, kaͤlter, unzaͤrtlicher, und dennoch zugleich kindlich liebreicher — hab’ ich kaum einen Mann
und ein Geſicht geſehen. Dieſe von aller freundſchaftlichen Sehnſucht, allem ſchmachtenden An-
ziehen ferne Trockenheit — iſt in den Falten der Stirne — beſonders aber in der pyramidalen
Falte uͤber der Naſenwurzel — in der Kleinheit und Kuͤrze der Naſe — in der ſtarken Woͤl-
bung der Augen und Augenlieder und Augenfalten — ſichtbar; am ſichtbarſten aber in dem
Munde, und der eckigten Falte unterm Munde — und der Entfernung des Mundes von der
Naſe. Jedoch leuchtet ſelber durch dieſe beynahe trutzige Trockenheit des Mundes, beſonders
auf der rechten Seite der Mittellinie etwas von beſagter Kindesguͤte hervor. Das Aug iſt
mehr des Tiefblickenden, als des Tiefforſchenden.

Hier
J i 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0409" n="253"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Fu&#x0364;nftes Fragment.<lb/>
Ein &#x017F;chwa&#x0364;bi&#x017F;cher Bauer von vornen. <hi rendition="#aq">M. K.</hi></hi> </head><lb/>
          <note place="left">Des <hi rendition="#aq">III.</hi> Ban-<lb/>
des <hi rendition="#aq">LXX.</hi><lb/>
Tafel.</note>
          <p><hi rendition="#in">E</hi>in Ge&#x017F;icht, das in der Natur viel mehr, als in die&#x017F;em, jedoch nicht unkenntlichen,<lb/>
Bilde &#x2014; ins Affenge&#x017F;chlecht &#x017F;ieht &#x2014; &#x2014; So hab&#x2019; ich noch keinen Affenblick ge&#x017F;ehen!<lb/>
Und &#x017F;elten noch die viel&#x017F;eitige kindlich einfa&#x0364;ltige, und dennoch, obgleich planlos &#x2014; feine Natur-<lb/>
kraft, und kalte, doch bisweilen heftige, ku&#x0364;hne Religion.</p><lb/>
          <p>Nah&#x2019; an Wunderkraft gra&#x0364;nzte ein&#x017F;t der nun verlo&#x017F;chne Glaube die&#x017F;es Mannes &#x2014; Trock-<lb/>
ner, ka&#x0364;lter, unza&#x0364;rtlicher, und dennoch zugleich kindlich liebreicher &#x2014; hab&#x2019; ich kaum einen Mann<lb/>
und ein Ge&#x017F;icht ge&#x017F;ehen. Die&#x017F;e von aller freund&#x017F;chaftlichen Sehn&#x017F;ucht, allem &#x017F;chmachtenden An-<lb/>
ziehen ferne Trockenheit &#x2014; i&#x017F;t in den Falten der Stirne &#x2014; be&#x017F;onders aber in der pyramidalen<lb/>
Falte u&#x0364;ber der Na&#x017F;enwurzel &#x2014; in der Kleinheit und Ku&#x0364;rze der Na&#x017F;e &#x2014; in der &#x017F;tarken Wo&#x0364;l-<lb/>
bung der Augen und Augenlieder und Augenfalten &#x2014; &#x017F;ichtbar; am &#x017F;ichtbar&#x017F;ten aber in dem<lb/>
Munde, und der eckigten Falte unterm Munde &#x2014; und der Entfernung des Mundes von der<lb/>
Na&#x017F;e. Jedoch leuchtet &#x017F;elber durch die&#x017F;e beynahe trutzige Trockenheit des Mundes, be&#x017F;onders<lb/>
auf der rechten Seite der Mittellinie etwas von be&#x017F;agter Kindesgu&#x0364;te hervor. Das Aug i&#x017F;t<lb/>
mehr des Tiefblickenden, als des Tieffor&#x017F;chenden.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">J i 3</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Hier</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[253/0409] Fuͤnftes Fragment. Ein ſchwaͤbiſcher Bauer von vornen. M. K. Ein Geſicht, das in der Natur viel mehr, als in dieſem, jedoch nicht unkenntlichen, Bilde — ins Affengeſchlecht ſieht — — So hab’ ich noch keinen Affenblick geſehen! Und ſelten noch die vielſeitige kindlich einfaͤltige, und dennoch, obgleich planlos — feine Natur- kraft, und kalte, doch bisweilen heftige, kuͤhne Religion. Nah’ an Wunderkraft graͤnzte einſt der nun verloſchne Glaube dieſes Mannes — Trock- ner, kaͤlter, unzaͤrtlicher, und dennoch zugleich kindlich liebreicher — hab’ ich kaum einen Mann und ein Geſicht geſehen. Dieſe von aller freundſchaftlichen Sehnſucht, allem ſchmachtenden An- ziehen ferne Trockenheit — iſt in den Falten der Stirne — beſonders aber in der pyramidalen Falte uͤber der Naſenwurzel — in der Kleinheit und Kuͤrze der Naſe — in der ſtarken Woͤl- bung der Augen und Augenlieder und Augenfalten — ſichtbar; am ſichtbarſten aber in dem Munde, und der eckigten Falte unterm Munde — und der Entfernung des Mundes von der Naſe. Jedoch leuchtet ſelber durch dieſe beynahe trutzige Trockenheit des Mundes, beſonders auf der rechten Seite der Mittellinie etwas von beſagter Kindesguͤte hervor. Das Aug iſt mehr des Tiefblickenden, als des Tiefforſchenden. Hier J i 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/409
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/409>, abgerufen am 24.04.2024.