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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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X. Abschnitt. XII. Fragment.
Zwölftes Fragment.
Jesuiten.

Vielleicht ist unter allen religiosen Physiognomien keine leichter -- erkennbar, als die jesuitische.
Jesuiten-Augen sind zum Sprichwort geworden. Und in der That -- ich getraute mir fast Um-
risse jesuitischer Augen angeben zu können; und nicht nur der Augen, sondern auch beynahe der
Form des Kopfes. Ein Jesuit möchte beynahe, in welchem Kleid er wollte, erscheinen; er hätte das
Ordenszeichen im Blicke für den gemeinen, in dem Umrisse seines Kopfes für den geübten
Physiognomen. Zu diesem Umrisse gehören denn vornehmlich drey Stücke -- die Stirne, die
Nase, und das Kinn. Beynah immer starkgewölbte, vielfassende, selten scharfe, feste, gedrängte
Stirnen. Beynah immer große, meist gebogne, und vornen scharfknorpelige Nasen. Beynah immer
große, nicht fette, aber rund vorstehende Kinne. Jmmer fast etwas zusinkende Augen; bestimmt ge-
zeichnete Lippen. Merkwürdig, daß unter allen so gelehrten Jesuiten -- so wenig Beyspiele sind,
vielleicht nicht Ein entscheidendes ist -- von einem wahrhaft philosophischen Kopfe. Mathema-
tiker, Physiker, Politiker, Redner, Poeten -- wie viel hatten sie! wie wenige philosophische Kö-
pfe! Und das ist auch leicht zu begreifen. Die Art von Biegsamkeit, die Einschmeichlungskunst, die
künstliche Beredsamkeit, die Uebungen im Schweigen und Verstellen -- die ihnen so geläufig seyn
mußten -- wie konnten die sogar nicht neben freyer, kühner, allprüfender Philosophie bestehen! --
Also, wo das eine mußte gesetzt werden -- ward das andere eben dadurch schlechterdings aufgehoben.
Sehr wenige Jesuiten wird man finden von außerordentlicher Kühnheit. Eben die Bildung zur
Feinheit kann nicht mit der Bildung zur persönlichen Kühnheit bestehen. Wenigstens wird gewiß
nicht die Kühnheit, sondern die Feinheit immer die Oberhand behalten. Der religiose Enthusias-
mus, Enthusiasmus sag' ich, nicht die so oft damit verwechselte Affektation des Enthusiasmus --
haftet selten, ich dürfte sagen, niemals in starkgeknochten Körpern. Die Kühnheit der Jesuiten,
ich weiß es, war unbegränzt. Aber ihre Kühnheit war Geheimniß; gründete sich auf Verbor-
genheit; war Lichtschen. Und lichtschene Kühnheit ist so wenig wahre Kühnheit, als lichtscheue
Tugend,
Tugend ist.

Jgnatius
X. Abſchnitt. XII. Fragment.
Zwoͤlftes Fragment.
Jeſuiten.

Vielleicht iſt unter allen religioſen Phyſiognomien keine leichter — erkennbar, als die jeſuitiſche.
Jeſuiten-Augen ſind zum Sprichwort geworden. Und in der That — ich getraute mir faſt Um-
riſſe jeſuitiſcher Augen angeben zu koͤnnen; und nicht nur der Augen, ſondern auch beynahe der
Form des Kopfes. Ein Jeſuit moͤchte beynahe, in welchem Kleid er wollte, erſcheinen; er haͤtte das
Ordenszeichen im Blicke fuͤr den gemeinen, in dem Umriſſe ſeines Kopfes fuͤr den geuͤbten
Phyſiognomen. Zu dieſem Umriſſe gehoͤren denn vornehmlich drey Stuͤcke — die Stirne, die
Naſe, und das Kinn. Beynah immer ſtarkgewoͤlbte, vielfaſſende, ſelten ſcharfe, feſte, gedraͤngte
Stirnen. Beynah immer große, meiſt gebogne, und vornen ſcharfknorpelige Naſen. Beynah immer
große, nicht fette, aber rund vorſtehende Kinne. Jmmer faſt etwas zuſinkende Augen; beſtimmt ge-
zeichnete Lippen. Merkwuͤrdig, daß unter allen ſo gelehrten Jeſuiten — ſo wenig Beyſpiele ſind,
vielleicht nicht Ein entſcheidendes iſt — von einem wahrhaft philoſophiſchen Kopfe. Mathema-
tiker, Phyſiker, Politiker, Redner, Poeten — wie viel hatten ſie! wie wenige philoſophiſche Koͤ-
pfe! Und das iſt auch leicht zu begreifen. Die Art von Biegſamkeit, die Einſchmeichlungskunſt, die
kuͤnſtliche Beredſamkeit, die Uebungen im Schweigen und Verſtellen — die ihnen ſo gelaͤufig ſeyn
mußten — wie konnten die ſogar nicht neben freyer, kuͤhner, allpruͤfender Philoſophie beſtehen! —
Alſo, wo das eine mußte geſetzt werden — ward das andere eben dadurch ſchlechterdings aufgehoben.
Sehr wenige Jeſuiten wird man finden von außerordentlicher Kuͤhnheit. Eben die Bildung zur
Feinheit kann nicht mit der Bildung zur perſoͤnlichen Kuͤhnheit beſtehen. Wenigſtens wird gewiß
nicht die Kuͤhnheit, ſondern die Feinheit immer die Oberhand behalten. Der religioſe Enthuſias-
mus, Enthuſiasmus ſag’ ich, nicht die ſo oft damit verwechſelte Affektation des Enthuſiasmus —
haftet ſelten, ich duͤrfte ſagen, niemals in ſtarkgeknochten Koͤrpern. Die Kuͤhnheit der Jeſuiten,
ich weiß es, war unbegraͤnzt. Aber ihre Kuͤhnheit war Geheimniß; gruͤndete ſich auf Verbor-
genheit; war Lichtſchen. Und lichtſchene Kuͤhnheit iſt ſo wenig wahre Kuͤhnheit, als lichtſcheue
Tugend,
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[268/0434] X. Abſchnitt. XII. Fragment. Zwoͤlftes Fragment. Jeſuiten. Vielleicht iſt unter allen religioſen Phyſiognomien keine leichter — erkennbar, als die jeſuitiſche. Jeſuiten-Augen ſind zum Sprichwort geworden. Und in der That — ich getraute mir faſt Um- riſſe jeſuitiſcher Augen angeben zu koͤnnen; und nicht nur der Augen, ſondern auch beynahe der Form des Kopfes. Ein Jeſuit moͤchte beynahe, in welchem Kleid er wollte, erſcheinen; er haͤtte das Ordenszeichen im Blicke fuͤr den gemeinen, in dem Umriſſe ſeines Kopfes fuͤr den geuͤbten Phyſiognomen. Zu dieſem Umriſſe gehoͤren denn vornehmlich drey Stuͤcke — die Stirne, die Naſe, und das Kinn. Beynah immer ſtarkgewoͤlbte, vielfaſſende, ſelten ſcharfe, feſte, gedraͤngte Stirnen. Beynah immer große, meiſt gebogne, und vornen ſcharfknorpelige Naſen. Beynah immer große, nicht fette, aber rund vorſtehende Kinne. Jmmer faſt etwas zuſinkende Augen; beſtimmt ge- zeichnete Lippen. Merkwuͤrdig, daß unter allen ſo gelehrten Jeſuiten — ſo wenig Beyſpiele ſind, vielleicht nicht Ein entſcheidendes iſt — von einem wahrhaft philoſophiſchen Kopfe. Mathema- tiker, Phyſiker, Politiker, Redner, Poeten — wie viel hatten ſie! wie wenige philoſophiſche Koͤ- pfe! Und das iſt auch leicht zu begreifen. Die Art von Biegſamkeit, die Einſchmeichlungskunſt, die kuͤnſtliche Beredſamkeit, die Uebungen im Schweigen und Verſtellen — die ihnen ſo gelaͤufig ſeyn mußten — wie konnten die ſogar nicht neben freyer, kuͤhner, allpruͤfender Philoſophie beſtehen! — Alſo, wo das eine mußte geſetzt werden — ward das andere eben dadurch ſchlechterdings aufgehoben. Sehr wenige Jeſuiten wird man finden von außerordentlicher Kuͤhnheit. Eben die Bildung zur Feinheit kann nicht mit der Bildung zur perſoͤnlichen Kuͤhnheit beſtehen. Wenigſtens wird gewiß nicht die Kuͤhnheit, ſondern die Feinheit immer die Oberhand behalten. Der religioſe Enthuſias- mus, Enthuſiasmus ſag’ ich, nicht die ſo oft damit verwechſelte Affektation des Enthuſiasmus — haftet ſelten, ich duͤrfte ſagen, niemals in ſtarkgeknochten Koͤrpern. Die Kuͤhnheit der Jeſuiten, ich weiß es, war unbegraͤnzt. Aber ihre Kuͤhnheit war Geheimniß; gruͤndete ſich auf Verbor- genheit; war Lichtſchen. Und lichtſchene Kuͤhnheit iſt ſo wenig wahre Kuͤhnheit, als lichtſcheue Tugend, Tugend iſt. Jgnatius

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/434>, abgerufen am 19.04.2024.