Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
Beschluß.
Achtzehntes Fragment.
Beschluß.
Der Himmel wölbt und bog die Kreisbahn
Der Erd und ihrem Nachtgefährt, der stille Tröstung
Herab ins Aug des Thränensäers sendet;
Wem er zurück und zirkelbogigt wölbte
Die Faltenlose, flachgespannte Stirn;
Weß Aug der nicht tief, nicht unter sanfte Schatten
Der Stirn eingrub -- weß Lippe sich nicht fest
Verbeißt, nicht offen niederhängt im Augenblick
Thatloser Ruh -- Er wird -- im Durst, im Vollgenuß der Wonne --
Geschöpft aus Himmeln, aus dem Herzen
Des Gottes Menschheit tief geschöpft,
Verschmachten oft ... Jhn wird der Zukunft
Gewitternacht oft mit Verzweiflung lasten;
Mit Herrlichkeit ihn tränken oft im Stral des Morgens;
Der Abendröthe Schimmer wird ihn oft
Hinüberzaubern an der Unsichtbarkeit
Bewölkte Gränze. -- Er wird beym Thau der Mondnacht
Jn Meeren Himmelreicher Liebe schwimmen,
Zerfließen oft in Wonneschauer und leicht
Jn Arme sinken, die fromme Wollust ihm
Entgegenstreckt. --
Weß Nase bogigt sich der Stirn entdrängt,
Weß Auges Oberlippe sinkt bis sie die Hälfte
Des matten Sternes deckt -- wer leicht
Die sanft geschweiften Lippen schließt; weß Kinn
Hervor sich rundet, daß auf die Rundung
Herniederschaut der Oberlippe Spitze -- der wird
Voll Drang nach Gott und nach Unsterblichkeit
Viel stille Thaten thun, die nicht erforschen kann
Des Spähers Aug! kein Freundes Ohr vernimmt,
Davon die Ahndung nicht im Busen
Des
Beſchluß.
Achtzehntes Fragment.
Beſchluß.
Der Himmel woͤlbt und bog die Kreisbahn
Der Erd und ihrem Nachtgefaͤhrt, der ſtille Troͤſtung
Herab ins Aug des Thraͤnenſaͤers ſendet;
Wem er zuruͤck und zirkelbogigt woͤlbte
Die Faltenloſe, flachgeſpannte Stirn;
Weß Aug der nicht tief, nicht unter ſanfte Schatten
Der Stirn eingrub — weß Lippe ſich nicht feſt
Verbeißt, nicht offen niederhaͤngt im Augenblick
Thatloſer Ruh — Er wird — im Durſt, im Vollgenuß der Wonne —
Geſchoͤpft aus Himmeln, aus dem Herzen
Des Gottes Menſchheit tief geſchoͤpft,
Verſchmachten oft ... Jhn wird der Zukunft
Gewitternacht oft mit Verzweiflung laſten;
Mit Herrlichkeit ihn traͤnken oft im Stral des Morgens;
Der Abendroͤthe Schimmer wird ihn oft
Hinuͤberzaubern an der Unſichtbarkeit
Bewoͤlkte Graͤnze. — Er wird beym Thau der Mondnacht
Jn Meeren Himmelreicher Liebe ſchwimmen,
Zerfließen oft in Wonneſchauer und leicht
Jn Arme ſinken, die fromme Wolluſt ihm
Entgegenſtreckt. —
Weß Naſe bogigt ſich der Stirn entdraͤngt,
Weß Auges Oberlippe ſinkt bis ſie die Haͤlfte
Des matten Sternes deckt — wer leicht
Die ſanft geſchweiften Lippen ſchließt; weß Kinn
Hervor ſich rundet, daß auf die Rundung
Herniederſchaut der Oberlippe Spitze — der wird
Voll Drang nach Gott und nach Unſterblichkeit
Viel ſtille Thaten thun, die nicht erforſchen kann
Des Spaͤhers Aug! kein Freundes Ohr vernimmt,
Davon die Ahndung nicht im Buſen
Des
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0461" n="287"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Be&#x017F;chluß.</hi> </hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Achtzehntes Fragment.<lb/><hi rendition="#g">Be&#x017F;chluß.</hi></hi> </head><lb/>
          <lg type="poem">
            <l><hi rendition="#in">D</hi>er Himmel wo&#x0364;lbt und bog die Kreisbahn</l><lb/>
            <l>Der Erd und ihrem Nachtgefa&#x0364;hrt, der &#x017F;tille Tro&#x0364;&#x017F;tung</l><lb/>
            <l>Herab ins Aug des Thra&#x0364;nen&#x017F;a&#x0364;ers &#x017F;endet;</l><lb/>
            <l>Wem er zuru&#x0364;ck und zirkelbogigt wo&#x0364;lbte</l><lb/>
            <l>Die Faltenlo&#x017F;e, flachge&#x017F;pannte Stirn;</l><lb/>
            <l>Weß Aug der nicht tief, nicht unter &#x017F;anfte Schatten</l><lb/>
            <l>Der Stirn eingrub &#x2014; weß Lippe &#x017F;ich nicht fe&#x017F;t</l><lb/>
            <l>Verbeißt, nicht offen niederha&#x0364;ngt im Augenblick</l><lb/>
            <l>Thatlo&#x017F;er Ruh &#x2014; Er wird &#x2014; im Dur&#x017F;t, im Vollgenuß der Wonne &#x2014;</l><lb/>
            <l>Ge&#x017F;cho&#x0364;pft aus Himmeln, aus dem Herzen</l><lb/>
            <l>Des Gottes Men&#x017F;chheit tief ge&#x017F;cho&#x0364;pft,</l><lb/>
            <l>Ver&#x017F;chmachten oft ... Jhn wird der Zukunft</l><lb/>
            <l>Gewitternacht oft mit Verzweiflung la&#x017F;ten;</l><lb/>
            <l>Mit Herrlichkeit ihn tra&#x0364;nken oft im Stral des Morgens;</l><lb/>
            <l>Der Abendro&#x0364;the Schimmer wird ihn oft</l><lb/>
            <l>Hinu&#x0364;berzaubern an der Un&#x017F;ichtbarkeit</l><lb/>
            <l>Bewo&#x0364;lkte Gra&#x0364;nze. &#x2014; Er wird beym Thau der Mondnacht</l><lb/>
            <l>Jn Meeren Himmelreicher Liebe &#x017F;chwimmen,</l><lb/>
            <l>Zerfließen oft in Wonne&#x017F;chauer und leicht</l><lb/>
            <l>Jn Arme &#x017F;inken, die fromme Wollu&#x017F;t ihm</l><lb/>
            <l>Entgegen&#x017F;treckt. &#x2014;</l><lb/>
            <l>Weß Na&#x017F;e bogigt &#x017F;ich der Stirn entdra&#x0364;ngt,</l><lb/>
            <l>Weß Auges Oberlippe &#x017F;inkt bis &#x017F;ie die Ha&#x0364;lfte</l><lb/>
            <l>Des matten Sternes deckt &#x2014; wer leicht</l><lb/>
            <l>Die &#x017F;anft ge&#x017F;chweiften Lippen &#x017F;chließt; weß Kinn</l><lb/>
            <l>Hervor &#x017F;ich rundet, daß auf die Rundung</l><lb/>
            <l>Hernieder&#x017F;chaut der Oberlippe Spitze &#x2014; der wird</l><lb/>
            <l>Voll Drang nach Gott und nach Un&#x017F;terblichkeit</l><lb/>
            <l>Viel &#x017F;tille Thaten thun, die nicht erfor&#x017F;chen kann</l><lb/>
            <l>Des Spa&#x0364;hers Aug! kein Freundes Ohr vernimmt,</l><lb/>
            <l>Davon die Ahndung nicht im Bu&#x017F;en</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Des</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[287/0461] Beſchluß. Achtzehntes Fragment. Beſchluß. Der Himmel woͤlbt und bog die Kreisbahn Der Erd und ihrem Nachtgefaͤhrt, der ſtille Troͤſtung Herab ins Aug des Thraͤnenſaͤers ſendet; Wem er zuruͤck und zirkelbogigt woͤlbte Die Faltenloſe, flachgeſpannte Stirn; Weß Aug der nicht tief, nicht unter ſanfte Schatten Der Stirn eingrub — weß Lippe ſich nicht feſt Verbeißt, nicht offen niederhaͤngt im Augenblick Thatloſer Ruh — Er wird — im Durſt, im Vollgenuß der Wonne — Geſchoͤpft aus Himmeln, aus dem Herzen Des Gottes Menſchheit tief geſchoͤpft, Verſchmachten oft ... Jhn wird der Zukunft Gewitternacht oft mit Verzweiflung laſten; Mit Herrlichkeit ihn traͤnken oft im Stral des Morgens; Der Abendroͤthe Schimmer wird ihn oft Hinuͤberzaubern an der Unſichtbarkeit Bewoͤlkte Graͤnze. — Er wird beym Thau der Mondnacht Jn Meeren Himmelreicher Liebe ſchwimmen, Zerfließen oft in Wonneſchauer und leicht Jn Arme ſinken, die fromme Wolluſt ihm Entgegenſtreckt. — Weß Naſe bogigt ſich der Stirn entdraͤngt, Weß Auges Oberlippe ſinkt bis ſie die Haͤlfte Des matten Sternes deckt — wer leicht Die ſanft geſchweiften Lippen ſchließt; weß Kinn Hervor ſich rundet, daß auf die Rundung Herniederſchaut der Oberlippe Spitze — der wird Voll Drang nach Gott und nach Unſterblichkeit Viel ſtille Thaten thun, die nicht erforſchen kann Des Spaͤhers Aug! kein Freundes Ohr vernimmt, Davon die Ahndung nicht im Buſen Des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/461
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/461>, abgerufen am 29.03.2024.