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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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III. Fragment.
Gesicht, wenigstens das Wesentlichste desselben, und die Form des Ganzen kann er nicht ändern --
Diese ist nicht Frucht, sondern Stamm und Wurzel der Frucht -- und ob's gleich wahr ist,
daß man aus der Frucht den Baum erkennt, ist's doch auch mitbestehende Wahrheit -- Aus
dem Stamme und Baume läßt sich noch sicherer auf die Frucht schließen.
Es kann seyn,
daß dieß mehr Uebung im Beobachten erfordert und voraussetzt. Aber wo diese einmal vorhanden
ist, o sie wird nicht nur die zufälliger Weise schlechten Früchte, (denn auch der gesundeste Baum
kann von Jnsekten von außenher fruchtlos gemacht werden) -- nicht nur diese zu den Datis der
Entscheidung machen -- nicht was ist, nur einmal ist, sehen -- sondern auch, was seyn kann --
wenn der Stamm nur gegen Jnsekten von außen -- gesichert wird. Der vom geübten Physiogno-
men rein physiognomischer Weise gewählte Freund -- wird Freund bleiben -- und wenn ihn
auch alle Welt um einiger Fehler oder Laster willen verdammte.

Erste Tafel.
Zwanzig Silhouetten von Liebenden und Geliebten.

Man erlaube mir, hier eine hieher gehörige Tafel von zwanzig Köpfen vorzulegen, die alle leicht
in Einem Kreise coexistiren können; davon jeder für jeden viel trauliches und anziehendes haben
kann und hat. Es ist unter allen diesen Gesichtern, wovon freylich manches in der Verkleinerung
von seiner Kraft und Bestimmtheit merklich verloren hat, nicht Eines, das mit dem andern so he-
terogen sey, daß nicht wechselseitige Achtung und Zutraulichkeit, und wenigstens ein gewisser Grad
von innerer physiognomischer Freundschaft möglich wäre. Alle ohne Ausnahme kommen darinn
überein, daß ein jeder von diesen 20, die übrigen 19. achtet und liebt -- freylich jeder in beson-
derm Grade und mit einer eigenen Art der Liebe -- Etwa 9. ausgenommen, ist kein schwacher Kopf
drunter -- und keiner ohne besonders vorzügliche Talente, manche außerordentliche und allgemein
anerkannte Genies. Alle hängen durch einen gewissen Grad von Bonhomie zusammen.

1) Ein äußerst ruhig würkender, guter, bescheidener Mann. Verstand auf der Stirne;
Verstand und Treue auf der Nase. Ruhe im untern Theile des Gesichtes. -- Liebt ruhig -- un-
enthusiastisch -- aber edel und treu, und wird hinwiederum von denjenigen auf dieser Tafel, die ihn
kennen, also geliebt.
2) Trug-

III. Fragment.
Geſicht, wenigſtens das Weſentlichſte deſſelben, und die Form des Ganzen kann er nicht aͤndern —
Dieſe iſt nicht Frucht, ſondern Stamm und Wurzel der Frucht — und ob’s gleich wahr iſt,
daß man aus der Frucht den Baum erkennt, iſt’s doch auch mitbeſtehende Wahrheit — Aus
dem Stamme und Baume laͤßt ſich noch ſicherer auf die Frucht ſchließen.
Es kann ſeyn,
daß dieß mehr Uebung im Beobachten erfordert und vorausſetzt. Aber wo dieſe einmal vorhanden
iſt, o ſie wird nicht nur die zufaͤlliger Weiſe ſchlechten Fruͤchte, (denn auch der geſundeſte Baum
kann von Jnſekten von außenher fruchtlos gemacht werden) — nicht nur dieſe zu den Datis der
Entſcheidung machen — nicht was iſt, nur einmal iſt, ſehen — ſondern auch, was ſeyn kann
wenn der Stamm nur gegen Jnſekten von außen — geſichert wird. Der vom geuͤbten Phyſiogno-
men rein phyſiognomiſcher Weiſe gewaͤhlte Freund — wird Freund bleiben — und wenn ihn
auch alle Welt um einiger Fehler oder Laſter willen verdammte.

Erſte Tafel.
Zwanzig Silhouetten von Liebenden und Geliebten.

Man erlaube mir, hier eine hieher gehoͤrige Tafel von zwanzig Koͤpfen vorzulegen, die alle leicht
in Einem Kreiſe coexiſtiren koͤnnen; davon jeder fuͤr jeden viel trauliches und anziehendes haben
kann und hat. Es iſt unter allen dieſen Geſichtern, wovon freylich manches in der Verkleinerung
von ſeiner Kraft und Beſtimmtheit merklich verloren hat, nicht Eines, das mit dem andern ſo he-
terogen ſey, daß nicht wechſelſeitige Achtung und Zutraulichkeit, und wenigſtens ein gewiſſer Grad
von innerer phyſiognomiſcher Freundſchaft moͤglich waͤre. Alle ohne Ausnahme kommen darinn
uͤberein, daß ein jeder von dieſen 20, die uͤbrigen 19. achtet und liebt — freylich jeder in beſon-
derm Grade und mit einer eigenen Art der Liebe — Etwa 9. ausgenommen, iſt kein ſchwacher Kopf
drunter — und keiner ohne beſonders vorzuͤgliche Talente, manche außerordentliche und allgemein
anerkannte Genies. Alle haͤngen durch einen gewiſſen Grad von Bonhomie zuſammen.

1) Ein aͤußerſt ruhig wuͤrkender, guter, beſcheidener Mann. Verſtand auf der Stirne;
Verſtand und Treue auf der Naſe. Ruhe im untern Theile des Geſichtes. — Liebt ruhig — un-
enthuſiaſtiſch — aber edel und treu, und wird hinwiederum von denjenigen auf dieſer Tafel, die ihn
kennen, alſo geliebt.
2) Trug-
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[36/0052] III. Fragment. Geſicht, wenigſtens das Weſentlichſte deſſelben, und die Form des Ganzen kann er nicht aͤndern — Dieſe iſt nicht Frucht, ſondern Stamm und Wurzel der Frucht — und ob’s gleich wahr iſt, daß man aus der Frucht den Baum erkennt, iſt’s doch auch mitbeſtehende Wahrheit — Aus dem Stamme und Baume laͤßt ſich noch ſicherer auf die Frucht ſchließen. Es kann ſeyn, daß dieß mehr Uebung im Beobachten erfordert und vorausſetzt. Aber wo dieſe einmal vorhanden iſt, o ſie wird nicht nur die zufaͤlliger Weiſe ſchlechten Fruͤchte, (denn auch der geſundeſte Baum kann von Jnſekten von außenher fruchtlos gemacht werden) — nicht nur dieſe zu den Datis der Entſcheidung machen — nicht was iſt, nur einmal iſt, ſehen — ſondern auch, was ſeyn kann — wenn der Stamm nur gegen Jnſekten von außen — geſichert wird. Der vom geuͤbten Phyſiogno- men rein phyſiognomiſcher Weiſe gewaͤhlte Freund — wird Freund bleiben — und wenn ihn auch alle Welt um einiger Fehler oder Laſter willen verdammte. Erſte Tafel. Zwanzig Silhouetten von Liebenden und Geliebten. Man erlaube mir, hier eine hieher gehoͤrige Tafel von zwanzig Koͤpfen vorzulegen, die alle leicht in Einem Kreiſe coexiſtiren koͤnnen; davon jeder fuͤr jeden viel trauliches und anziehendes haben kann und hat. Es iſt unter allen dieſen Geſichtern, wovon freylich manches in der Verkleinerung von ſeiner Kraft und Beſtimmtheit merklich verloren hat, nicht Eines, das mit dem andern ſo he- terogen ſey, daß nicht wechſelſeitige Achtung und Zutraulichkeit, und wenigſtens ein gewiſſer Grad von innerer phyſiognomiſcher Freundſchaft moͤglich waͤre. Alle ohne Ausnahme kommen darinn uͤberein, daß ein jeder von dieſen 20, die uͤbrigen 19. achtet und liebt — freylich jeder in beſon- derm Grade und mit einer eigenen Art der Liebe — Etwa 9. ausgenommen, iſt kein ſchwacher Kopf drunter — und keiner ohne beſonders vorzuͤgliche Talente, manche außerordentliche und allgemein anerkannte Genies. Alle haͤngen durch einen gewiſſen Grad von Bonhomie zuſammen. 1) Ein aͤußerſt ruhig wuͤrkender, guter, beſcheidener Mann. Verſtand auf der Stirne; Verſtand und Treue auf der Naſe. Ruhe im untern Theile des Geſichtes. — Liebt ruhig — un- enthuſiaſtiſch — aber edel und treu, und wird hinwiederum von denjenigen auf dieſer Tafel, die ihn kennen, alſo geliebt. 2) Trug-

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/52>, abgerufen am 28.03.2024.