Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
XII. Abschnitt. II. Fragment.
Zweytes Fragment.
Samuel Engel.
Des III. Ban-
des XCVII.
Tafel.

Und was sehen wir in dem ziemlich ähnlichen Bilde des siebenzigjährigen Greises, das
vor uns liegt? -- Sehen wir einen tiefen metaphysischen Forscher? Sehen wir einen
mächtigumfassenden, zusammendrängenden, scharf einschneidenden, in großen Zügen keck darstellen-
den -- Kraftgeist? Sehen wir einen hochschwebenden Dichtergeist in seinem Gesichte? oder --
leichte, weite Empfänglichkeit? redliche schnelle Thätigkeit? ... Wo eine gerade, eine scharfe Linie in
seinem Gesichte? als etwa die von der Nase zum Munde? Diese aber zeigt Gedehntheit -- Leicht-
beweglichkeit, Gutheit; -- hier abermals stark gebogne Stirne, hohe Augenbraunen, große obere
Augenlieder, hohle Linie von der Stirne zur Nase -- nicht spitze Nase.

Jn der Gegend zwischen Mund und Nase -- äußerst viel Gefälligkeit und Güte; "Ein
"Mann, der sein Leben verwendet hat, alles wißbare, was zur Beförderung der Menschen Wohl-
"fahrt dienen konnte, aufzusuchen, und sich's zur Freude machte, aller Welt, und besonders seinem
"Vaterlande, nützlich zu seyn. Unermüdeter Fleiß in den mannichfaltigsten, gemeinnützigsten Ge-
"schäfften; redliche Absicht und freyer Muth, Recht und Freyheit zu vertheidigen; die höchste
"Würksamkeit in jeder Noth, jedem Gedränge des Vaterlandes; leidenschaftliche Liebe zum Feld-
"bau, und unauslöschlicher Eifer, den zu vervollkommnen; frohe Betriebsamkeit für alles Gute,
"auch was andere thaten oder thun wollten; lauter Gefälligkeit, Dienstbegierde; Patriotismus für
"sein Vaterland, die Schweiz, und die Welt."*) -- So bezeichnet ein Freund, der ihn kennt,
seinen Charakter.



Drittes
*) [Spaltenumbruch]
Seine Bemühungen, die Durchfahrt aus dem
Nordmeer in das Südmeer zu finden; seine Schlüsse,
die er aus Vergleichung der Karten und Reisebeschrei-
bungen gezogen, und die Vorschläge, die er gethan,
[Spaltenumbruch] verdienten die Aufmerksamkeit großer Schiffscapitaine;
sein Werk über Amerika soll auch voll der wichtigsten
Anmerkungen seyn für die physische und sittliche Ver-
vollkommnung des menschlichen Geschlechts.
XII. Abſchnitt. II. Fragment.
Zweytes Fragment.
Samuel Engel.
Des III. Ban-
des XCVII.
Tafel.

Und was ſehen wir in dem ziemlich aͤhnlichen Bilde des ſiebenzigjaͤhrigen Greiſes, das
vor uns liegt? — Sehen wir einen tiefen metaphyſiſchen Forſcher? Sehen wir einen
maͤchtigumfaſſenden, zuſammendraͤngenden, ſcharf einſchneidenden, in großen Zuͤgen keck darſtellen-
den — Kraftgeiſt? Sehen wir einen hochſchwebenden Dichtergeiſt in ſeinem Geſichte? oder —
leichte, weite Empfaͤnglichkeit? redliche ſchnelle Thaͤtigkeit? ... Wo eine gerade, eine ſcharfe Linie in
ſeinem Geſichte? als etwa die von der Naſe zum Munde? Dieſe aber zeigt Gedehntheit — Leicht-
beweglichkeit, Gutheit; — hier abermals ſtark gebogne Stirne, hohe Augenbraunen, große obere
Augenlieder, hohle Linie von der Stirne zur Naſe — nicht ſpitze Naſe.

Jn der Gegend zwiſchen Mund und Naſe — aͤußerſt viel Gefaͤlligkeit und Guͤte; „Ein
„Mann, der ſein Leben verwendet hat, alles wißbare, was zur Befoͤrderung der Menſchen Wohl-
„fahrt dienen konnte, aufzuſuchen, und ſich’s zur Freude machte, aller Welt, und beſonders ſeinem
„Vaterlande, nuͤtzlich zu ſeyn. Unermuͤdeter Fleiß in den mannichfaltigſten, gemeinnuͤtzigſten Ge-
„ſchaͤfften; redliche Abſicht und freyer Muth, Recht und Freyheit zu vertheidigen; die hoͤchſte
„Wuͤrkſamkeit in jeder Noth, jedem Gedraͤnge des Vaterlandes; leidenſchaftliche Liebe zum Feld-
„bau, und unausloͤſchlicher Eifer, den zu vervollkommnen; frohe Betriebſamkeit fuͤr alles Gute,
„auch was andere thaten oder thun wollten; lauter Gefaͤlligkeit, Dienſtbegierde; Patriotismus fuͤr
„ſein Vaterland, die Schweiz, und die Welt.“*) — So bezeichnet ein Freund, der ihn kennt,
ſeinen Charakter.



Drittes
*) [Spaltenumbruch]
Seine Bemuͤhungen, die Durchfahrt aus dem
Nordmeer in das Suͤdmeer zu finden; ſeine Schluͤſſe,
die er aus Vergleichung der Karten und Reiſebeſchrei-
bungen gezogen, und die Vorſchlaͤge, die er gethan,
[Spaltenumbruch] verdienten die Aufmerkſamkeit großer Schiffscapitaine;
ſein Werk uͤber Amerika ſoll auch voll der wichtigſten
Anmerkungen ſeyn fuͤr die phyſiſche und ſittliche Ver-
vollkommnung des menſchlichen Geſchlechts.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0542" n="334"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XII.</hi> Ab&#x017F;chnitt. <hi rendition="#aq">II.</hi> Fragment.</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Zweytes Fragment.<lb/>
Samuel Engel.</hi> </hi> </head><lb/>
          <note place="left">Des <hi rendition="#aq">III.</hi> Ban-<lb/>
des <hi rendition="#aq">XCVII.</hi><lb/>
Tafel.</note>
          <p><hi rendition="#in">U</hi>nd was &#x017F;ehen wir in dem ziemlich a&#x0364;hnlichen Bilde des &#x017F;iebenzigja&#x0364;hrigen Grei&#x017F;es, das<lb/>
vor uns liegt? &#x2014; Sehen wir einen tiefen metaphy&#x017F;i&#x017F;chen For&#x017F;cher? Sehen wir einen<lb/>
ma&#x0364;chtigumfa&#x017F;&#x017F;enden, zu&#x017F;ammendra&#x0364;ngenden, &#x017F;charf ein&#x017F;chneidenden, in großen Zu&#x0364;gen keck dar&#x017F;tellen-<lb/>
den &#x2014; Kraftgei&#x017F;t? Sehen wir einen hoch&#x017F;chwebenden Dichtergei&#x017F;t in &#x017F;einem Ge&#x017F;ichte? oder &#x2014;<lb/>
leichte, weite Empfa&#x0364;nglichkeit? redliche &#x017F;chnelle Tha&#x0364;tigkeit? ... Wo eine gerade, eine &#x017F;charfe Linie in<lb/>
&#x017F;einem Ge&#x017F;ichte? als etwa die von der Na&#x017F;e zum Munde? Die&#x017F;e aber zeigt Gedehntheit &#x2014; Leicht-<lb/>
beweglichkeit, Gutheit; &#x2014; hier abermals &#x017F;tark gebogne Stirne, hohe Augenbraunen, große obere<lb/>
Augenlieder, hohle Linie von der Stirne zur Na&#x017F;e &#x2014; nicht &#x017F;pitze Na&#x017F;e.</p><lb/>
          <p>Jn der Gegend zwi&#x017F;chen Mund und Na&#x017F;e &#x2014; a&#x0364;ußer&#x017F;t viel Gefa&#x0364;lligkeit und Gu&#x0364;te; &#x201E;Ein<lb/>
&#x201E;Mann, der &#x017F;ein Leben verwendet hat, alles wißbare, was zur Befo&#x0364;rderung der Men&#x017F;chen Wohl-<lb/>
&#x201E;fahrt dienen konnte, aufzu&#x017F;uchen, und &#x017F;ich&#x2019;s zur Freude machte, aller Welt, und be&#x017F;onders &#x017F;einem<lb/>
&#x201E;Vaterlande, nu&#x0364;tzlich zu &#x017F;eyn. Unermu&#x0364;deter Fleiß in den mannichfaltig&#x017F;ten, gemeinnu&#x0364;tzig&#x017F;ten Ge-<lb/>
&#x201E;&#x017F;cha&#x0364;fften; redliche Ab&#x017F;icht und freyer Muth, Recht und Freyheit zu vertheidigen; die ho&#x0364;ch&#x017F;te<lb/>
&#x201E;Wu&#x0364;rk&#x017F;amkeit in jeder Noth, jedem Gedra&#x0364;nge des Vaterlandes; leiden&#x017F;chaftliche Liebe zum Feld-<lb/>
&#x201E;bau, und unauslo&#x0364;&#x017F;chlicher Eifer, den zu vervollkommnen; frohe Betrieb&#x017F;amkeit fu&#x0364;r alles Gute,<lb/>
&#x201E;auch was andere thaten oder thun wollten; lauter Gefa&#x0364;lligkeit, Dien&#x017F;tbegierde; Patriotismus fu&#x0364;r<lb/>
&#x201E;&#x017F;ein Vaterland, die Schweiz, und die Welt.&#x201C;<note place="foot" n="*)"><cb/><lb/>
Seine Bemu&#x0364;hungen, die Durchfahrt aus dem<lb/>
Nordmeer in das Su&#x0364;dmeer zu finden; &#x017F;eine Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
die er aus Vergleichung der Karten und Rei&#x017F;ebe&#x017F;chrei-<lb/>
bungen gezogen, und die Vor&#x017F;chla&#x0364;ge, die er gethan,<lb/><cb/>
verdienten die Aufmerk&#x017F;amkeit großer Schiffscapitaine;<lb/>
&#x017F;ein Werk u&#x0364;ber Amerika &#x017F;oll auch voll der wichtig&#x017F;ten<lb/>
Anmerkungen &#x017F;eyn fu&#x0364;r die phy&#x017F;i&#x017F;che und &#x017F;ittliche Ver-<lb/>
vollkommnung des men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;chlechts.</note> &#x2014; So bezeichnet ein Freund, der ihn kennt,<lb/>
&#x017F;einen Charakter.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Drittes</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[334/0542] XII. Abſchnitt. II. Fragment. Zweytes Fragment. Samuel Engel. Und was ſehen wir in dem ziemlich aͤhnlichen Bilde des ſiebenzigjaͤhrigen Greiſes, das vor uns liegt? — Sehen wir einen tiefen metaphyſiſchen Forſcher? Sehen wir einen maͤchtigumfaſſenden, zuſammendraͤngenden, ſcharf einſchneidenden, in großen Zuͤgen keck darſtellen- den — Kraftgeiſt? Sehen wir einen hochſchwebenden Dichtergeiſt in ſeinem Geſichte? oder — leichte, weite Empfaͤnglichkeit? redliche ſchnelle Thaͤtigkeit? ... Wo eine gerade, eine ſcharfe Linie in ſeinem Geſichte? als etwa die von der Naſe zum Munde? Dieſe aber zeigt Gedehntheit — Leicht- beweglichkeit, Gutheit; — hier abermals ſtark gebogne Stirne, hohe Augenbraunen, große obere Augenlieder, hohle Linie von der Stirne zur Naſe — nicht ſpitze Naſe. Jn der Gegend zwiſchen Mund und Naſe — aͤußerſt viel Gefaͤlligkeit und Guͤte; „Ein „Mann, der ſein Leben verwendet hat, alles wißbare, was zur Befoͤrderung der Menſchen Wohl- „fahrt dienen konnte, aufzuſuchen, und ſich’s zur Freude machte, aller Welt, und beſonders ſeinem „Vaterlande, nuͤtzlich zu ſeyn. Unermuͤdeter Fleiß in den mannichfaltigſten, gemeinnuͤtzigſten Ge- „ſchaͤfften; redliche Abſicht und freyer Muth, Recht und Freyheit zu vertheidigen; die hoͤchſte „Wuͤrkſamkeit in jeder Noth, jedem Gedraͤnge des Vaterlandes; leidenſchaftliche Liebe zum Feld- „bau, und unausloͤſchlicher Eifer, den zu vervollkommnen; frohe Betriebſamkeit fuͤr alles Gute, „auch was andere thaten oder thun wollten; lauter Gefaͤlligkeit, Dienſtbegierde; Patriotismus fuͤr „ſein Vaterland, die Schweiz, und die Welt.“ *) — So bezeichnet ein Freund, der ihn kennt, ſeinen Charakter. Drittes *) Seine Bemuͤhungen, die Durchfahrt aus dem Nordmeer in das Suͤdmeer zu finden; ſeine Schluͤſſe, die er aus Vergleichung der Karten und Reiſebeſchrei- bungen gezogen, und die Vorſchlaͤge, die er gethan, verdienten die Aufmerkſamkeit großer Schiffscapitaine; ſein Werk uͤber Amerika ſoll auch voll der wichtigſten Anmerkungen ſeyn fuͤr die phyſiſche und ſittliche Ver- vollkommnung des menſchlichen Geſchlechts.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/542
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/542>, abgerufen am 19.04.2024.