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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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Vermischte Porträte.
Neuntes Fragment.
Ein Vollgesicht. W ... l.
Des III. Ban-
des CII.
Tafel. W ... l.

Jch glaube, man wird gleich sehen, daß dieß kein Alltagsgesicht ist. Ein offner Kopf
ist's gewiß -- und noch mehr, als das -- sey's nun dem mir unbekannten Urbilde ähn-
lich, oder unähnlich -- nicht nur ein offner Kopf -- ein tiefblickender, durchgründender Genius.
Jch weiß nicht, wie mir bey diesem Gesichte wird? Die ruhige, stille Tiefe dieser Physiognomie
scheint mich in sich hinab zu ziehen; nicht mit Gewalt hinabzuwirbeln. Sanft stille scheint sie mich
immer weiter in sich hinein zu denken. Diesem Auge ist gegeben zu sehen, was da ist, und zu su-
chen, was nicht da ist. Diese Stirne faßt mit festem Sinn äußerste Ende der Dinge. Dieser
Raum zwischen den Augenbraunen und der Nasenwurzel, besonders die Nase -- wie zeigt's einen
ruhigen, tiefen, kalten, doch theilnehmenden Forscher, Finder, Festhalter. Der Mund edle, ru-
hige, weise Güte, Treue, Dienstfertigkeit. Das Kinn Festigkeit, Kraft, und gesunden Sinn.

Nachstehende Vignette keines abstrakten Denkers, aber eines alle wahre Gefühle anderer
schnell aufnehmenden, treuverwahrenden, edlen, Gütevollen Mannes.

[Abbildung]

Zehntes
X x 2
Vermiſchte Portraͤte.
Neuntes Fragment.
Ein Vollgeſicht. W ... l.
Des III. Ban-
des CII.
Tafel. W ... l.

Jch glaube, man wird gleich ſehen, daß dieß kein Alltagsgeſicht iſt. Ein offner Kopf
iſt’s gewiß — und noch mehr, als das — ſey’s nun dem mir unbekannten Urbilde aͤhn-
lich, oder unaͤhnlich — nicht nur ein offner Kopf — ein tiefblickender, durchgruͤndender Genius.
Jch weiß nicht, wie mir bey dieſem Geſichte wird? Die ruhige, ſtille Tiefe dieſer Phyſiognomie
ſcheint mich in ſich hinab zu ziehen; nicht mit Gewalt hinabzuwirbeln. Sanft ſtille ſcheint ſie mich
immer weiter in ſich hinein zu denken. Dieſem Auge iſt gegeben zu ſehen, was da iſt, und zu ſu-
chen, was nicht da iſt. Dieſe Stirne faßt mit feſtem Sinn aͤußerſte Ende der Dinge. Dieſer
Raum zwiſchen den Augenbraunen und der Naſenwurzel, beſonders die Naſe — wie zeigt’s einen
ruhigen, tiefen, kalten, doch theilnehmenden Forſcher, Finder, Feſthalter. Der Mund edle, ru-
hige, weiſe Guͤte, Treue, Dienſtfertigkeit. Das Kinn Feſtigkeit, Kraft, und geſunden Sinn.

Nachſtehende Vignette keines abſtrakten Denkers, aber eines alle wahre Gefuͤhle anderer
ſchnell aufnehmenden, treuverwahrenden, edlen, Guͤtevollen Mannes.

[Abbildung]

Zehntes
X x 2
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[347/0567] Vermiſchte Portraͤte. Neuntes Fragment. Ein Vollgeſicht. W ... l. Jch glaube, man wird gleich ſehen, daß dieß kein Alltagsgeſicht iſt. Ein offner Kopf iſt’s gewiß — und noch mehr, als das — ſey’s nun dem mir unbekannten Urbilde aͤhn- lich, oder unaͤhnlich — nicht nur ein offner Kopf — ein tiefblickender, durchgruͤndender Genius. Jch weiß nicht, wie mir bey dieſem Geſichte wird? Die ruhige, ſtille Tiefe dieſer Phyſiognomie ſcheint mich in ſich hinab zu ziehen; nicht mit Gewalt hinabzuwirbeln. Sanft ſtille ſcheint ſie mich immer weiter in ſich hinein zu denken. Dieſem Auge iſt gegeben zu ſehen, was da iſt, und zu ſu- chen, was nicht da iſt. Dieſe Stirne faßt mit feſtem Sinn aͤußerſte Ende der Dinge. Dieſer Raum zwiſchen den Augenbraunen und der Naſenwurzel, beſonders die Naſe — wie zeigt’s einen ruhigen, tiefen, kalten, doch theilnehmenden Forſcher, Finder, Feſthalter. Der Mund edle, ru- hige, weiſe Guͤte, Treue, Dienſtfertigkeit. Das Kinn Feſtigkeit, Kraft, und geſunden Sinn. Nachſtehende Vignette keines abſtrakten Denkers, aber eines alle wahre Gefuͤhle anderer ſchnell aufnehmenden, treuverwahrenden, edlen, Guͤtevollen Mannes. [Abbildung] Zehntes X x 2

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/567>, abgerufen am 23.04.2024.