Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite
Leidenschaftliche Charakter.

Der Schrecken ist hier mehr in Gebärden als Mienen ausgedrückt.

[Abbildung]
Zehntes Fragment.
Etwas über Kleidung, Stimme, Gang, Gebärdung, Stellung.

Stimme, Gang, Stellung, Gebärdung, Kleidung -- alles an dem Menschen ist physiognomisch --
alles, was der Mensch berührt, und was durch seine Hände geht, was in seinen Kreis tritt -- nimmt
etwas von ihm an. Jn allem erspiegelt er sich, drückt er sich ab, vervielfältigt er sein Bild, und
Büffon hat recht, wenn er sagt: "Ein kluger Mensch muß seine Kleider als einen Theil von sich
"selbst ansehen." Jch kann mich aber da nicht hineinlassen: Nur das einzige in Ansehung der Klei-
dung und des Putzes sage ich: Unreinlichkeit und Uebelordnung in der Kleidung ist wohl ein
entscheidendes Zeichen eines wo nicht unedlen, doch unfeinen Menschen, dem es an wahrem Ge-
schmacke fehlt. Aber sogleich muß ich auch das beyfügen: Die gewöhnlichen theils kostbaren und
blendenden -- theils lächerlichen und abgeschmackten Aufzüge unsers Frauenvolkes sind wohl eben
so sehr ein entscheidender Beweis von der Gesunkenheit des wahren Geschmacks und vom Mangel
an Kraft, blinden und tauben Modegesetzen zu widerstehen. Jch für mein Theil (nicht als Christ

und
Phys. Fragm. IV Versuch. G g g
Leidenſchaftliche Charakter.

Der Schrecken iſt hier mehr in Gebaͤrden als Mienen ausgedruͤckt.

[Abbildung]
Zehntes Fragment.
Etwas uͤber Kleidung, Stimme, Gang, Gebaͤrdung, Stellung.

Stimme, Gang, Stellung, Gebaͤrdung, Kleidung — alles an dem Menſchen iſt phyſiognomiſch —
alles, was der Menſch beruͤhrt, und was durch ſeine Haͤnde geht, was in ſeinen Kreis tritt — nimmt
etwas von ihm an. Jn allem erſpiegelt er ſich, druͤckt er ſich ab, vervielfaͤltigt er ſein Bild, und
Buͤffon hat recht, wenn er ſagt: „Ein kluger Menſch muß ſeine Kleider als einen Theil von ſich
„ſelbſt anſehen.“ Jch kann mich aber da nicht hineinlaſſen: Nur das einzige in Anſehung der Klei-
dung und des Putzes ſage ich: Unreinlichkeit und Uebelordnung in der Kleidung iſt wohl ein
entſcheidendes Zeichen eines wo nicht unedlen, doch unfeinen Menſchen, dem es an wahrem Ge-
ſchmacke fehlt. Aber ſogleich muß ich auch das beyfuͤgen: Die gewoͤhnlichen theils koſtbaren und
blendenden — theils laͤcherlichen und abgeſchmackten Aufzuͤge unſers Frauenvolkes ſind wohl eben
ſo ſehr ein entſcheidender Beweis von der Geſunkenheit des wahren Geſchmacks und vom Mangel
an Kraft, blinden und tauben Modegeſetzen zu widerſtehen. Jch fuͤr mein Theil (nicht als Chriſt

und
Phyſ. Fragm. IV Verſuch. G g g
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0525" n="417"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Leiden&#x017F;chaftliche Charakter.</hi> </fw><lb/>
              <p>Der Schrecken i&#x017F;t hier mehr in Geba&#x0364;rden als Mienen ausgedru&#x0364;ckt.</p><lb/>
              <figure/>
            </div>
          </div>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Zehntes Fragment</hi>.<lb/>
Etwas u&#x0364;ber Kleidung, Stimme, Gang, Geba&#x0364;rdung, Stellung.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">S</hi>timme, Gang, Stellung, Geba&#x0364;rdung, Kleidung &#x2014; alles an dem Men&#x017F;chen i&#x017F;t phy&#x017F;iognomi&#x017F;ch &#x2014;<lb/>
alles, was der Men&#x017F;ch beru&#x0364;hrt, und was durch &#x017F;eine Ha&#x0364;nde geht, was in &#x017F;einen Kreis tritt &#x2014; nimmt<lb/>
etwas von ihm an. Jn allem er&#x017F;piegelt er &#x017F;ich, dru&#x0364;ckt er &#x017F;ich ab, vervielfa&#x0364;ltigt er &#x017F;ein Bild, und<lb/><hi rendition="#fr">Bu&#x0364;ffon</hi> hat recht, wenn er &#x017F;agt: &#x201E;Ein kluger Men&#x017F;ch muß &#x017F;eine Kleider als einen Theil von &#x017F;ich<lb/>
&#x201E;&#x017F;elb&#x017F;t an&#x017F;ehen.&#x201C; Jch kann mich aber da nicht hineinla&#x017F;&#x017F;en: Nur das einzige in An&#x017F;ehung der Klei-<lb/>
dung und des Putzes &#x017F;age ich: <hi rendition="#fr">Unreinlichkeit</hi> und <hi rendition="#fr">Uebelordnung</hi> in der Kleidung i&#x017F;t wohl ein<lb/>
ent&#x017F;cheidendes Zeichen eines wo nicht <hi rendition="#fr">unedlen,</hi> doch <hi rendition="#fr">unfeinen</hi> Men&#x017F;chen, dem es an wahrem Ge-<lb/>
&#x017F;chmacke fehlt. Aber &#x017F;ogleich muß ich auch das beyfu&#x0364;gen: Die gewo&#x0364;hnlichen theils ko&#x017F;tbaren und<lb/>
blendenden &#x2014; theils la&#x0364;cherlichen und abge&#x017F;chmackten Aufzu&#x0364;ge un&#x017F;ers Frauenvolkes &#x017F;ind wohl eben<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ehr ein ent&#x017F;cheidender Beweis von der Ge&#x017F;unkenheit des wahren Ge&#x017F;chmacks und vom Mangel<lb/>
an Kraft, blinden und tauben Modege&#x017F;etzen zu wider&#x017F;tehen. Jch fu&#x0364;r mein Theil (nicht als Chri&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Phy&#x017F;. Fragm.</hi><hi rendition="#aq">IV</hi><hi rendition="#fr">Ver&#x017F;uch.</hi> G g g</fw><fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[417/0525] Leidenſchaftliche Charakter. Der Schrecken iſt hier mehr in Gebaͤrden als Mienen ausgedruͤckt. [Abbildung] Zehntes Fragment. Etwas uͤber Kleidung, Stimme, Gang, Gebaͤrdung, Stellung. Stimme, Gang, Stellung, Gebaͤrdung, Kleidung — alles an dem Menſchen iſt phyſiognomiſch — alles, was der Menſch beruͤhrt, und was durch ſeine Haͤnde geht, was in ſeinen Kreis tritt — nimmt etwas von ihm an. Jn allem erſpiegelt er ſich, druͤckt er ſich ab, vervielfaͤltigt er ſein Bild, und Buͤffon hat recht, wenn er ſagt: „Ein kluger Menſch muß ſeine Kleider als einen Theil von ſich „ſelbſt anſehen.“ Jch kann mich aber da nicht hineinlaſſen: Nur das einzige in Anſehung der Klei- dung und des Putzes ſage ich: Unreinlichkeit und Uebelordnung in der Kleidung iſt wohl ein entſcheidendes Zeichen eines wo nicht unedlen, doch unfeinen Menſchen, dem es an wahrem Ge- ſchmacke fehlt. Aber ſogleich muß ich auch das beyfuͤgen: Die gewoͤhnlichen theils koſtbaren und blendenden — theils laͤcherlichen und abgeſchmackten Aufzuͤge unſers Frauenvolkes ſind wohl eben ſo ſehr ein entſcheidender Beweis von der Geſunkenheit des wahren Geſchmacks und vom Mangel an Kraft, blinden und tauben Modegeſetzen zu widerſtehen. Jch fuͤr mein Theil (nicht als Chriſt und Phyſ. Fragm. IV Verſuch. G g g

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/525
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/525>, abgerufen am 23.04.2024.