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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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Einige physiognomische Gedanken mit Anmerkungen.

Jn den Signalementen der Spitzbuben wird man wenig weiße Haare finden; wohl aber
viel dunkelbraune, auch wohl schwarze Haupthaare und weiße Augenbraunen beysammen.

Längere Haare haben die Weiber, als die Männer. -- Männer mit langen Haaren (und
diese langen Haare sind mehrentheils weiß -- schwarze habe ich wenigstens noch keine von sonderba-
rer Länge gesehen) haben immer mehr weibisches als männliches. Darum ists auch einem
Manne keine Ehre, wenn er lange Haare hat.
Die schwarzen Haare sind härter, als die
hellen; so wie die Haare der Erwachsenen härter, als der Jungen. Die Alten geben die, welche
hartes Haar haben, für wild aus.

Hispida membra quidem et durae per brachia setae
Promittunt atrocem animum.
12.

"Da auf die Beschaffenheit der Muskeln alles ankömmt, so ist klar, daß, was für Mus-
"keln zu einer gewissen Art des Denkens und Empfindens hauptsächlich gebraucht werden, in denen
"auch der Ausdruck einer gewissen Denk- und Empfindungsart zu suchen sey." -- Allerdings da zu
suchen, thue ich hinzu -- aber vielleicht schwerer zu finden, und gewiß schwerer zu bestimmen, als
durch die Stirnform.

13.

"Für den abstrakten Denker ist die Stirnmuskel das wichtigste Werkzeug. Dieß ist die
"Ursache, warum man hier den Ausdruck in der Stirne sucht." -- Vermuthlich in der Gegend in
und zwischen den Augenbraunen -- und besonders in dem Augenblicke zu bemerken, da dich der Den-
ker höret, da er sich auf eine scharfsinnige Einwendung oder Beantwortung gefaßt machet. Diesen
Moment erhascht -- und du hast wieder ein großes wichtiges Zeichen gefunden.

14.

"Bey Leuten, die nicht abstrahiren, bey denen alle Seelenkräfte thätig sind, also bey Witz-
"lingen, schönen Geistern, thätigen Genieen, müssen auch alle Muskeln vortheilhaft gebildet und
"geordnet seyn. Daher sucht man den Ausdruck mehr im ganzen Gesichte." -- Und kann ihn den-
noch auch wieder schon allein in der Stirne finden -- Diese Stirn ist weniger scharf -- weniger

gerad-
Phys. Fragm. IV Versuch. P
Einige phyſiognomiſche Gedanken mit Anmerkungen.

Jn den Signalementen der Spitzbuben wird man wenig weiße Haare finden; wohl aber
viel dunkelbraune, auch wohl ſchwarze Haupthaare und weiße Augenbraunen beyſammen.

Laͤngere Haare haben die Weiber, als die Maͤnner. — Maͤnner mit langen Haaren (und
dieſe langen Haare ſind mehrentheils weiß — ſchwarze habe ich wenigſtens noch keine von ſonderba-
rer Laͤnge geſehen) haben immer mehr weibiſches als maͤnnliches. Darum iſts auch einem
Manne keine Ehre, wenn er lange Haare hat.
Die ſchwarzen Haare ſind haͤrter, als die
hellen; ſo wie die Haare der Erwachſenen haͤrter, als der Jungen. Die Alten geben die, welche
hartes Haar haben, fuͤr wild aus.

Hiſpida membra quidem et durae per brachia ſetae
Promittunt atrocem animum.
12.

„Da auf die Beſchaffenheit der Muskeln alles ankoͤmmt, ſo iſt klar, daß, was fuͤr Mus-
„keln zu einer gewiſſen Art des Denkens und Empfindens hauptſaͤchlich gebraucht werden, in denen
„auch der Ausdruck einer gewiſſen Denk- und Empfindungsart zu ſuchen ſey.“ — Allerdings da zu
ſuchen, thue ich hinzu — aber vielleicht ſchwerer zu finden, und gewiß ſchwerer zu beſtimmen, als
durch die Stirnform.

13.

„Fuͤr den abſtrakten Denker iſt die Stirnmuskel das wichtigſte Werkzeug. Dieß iſt die
„Urſache, warum man hier den Ausdruck in der Stirne ſucht.“ — Vermuthlich in der Gegend in
und zwiſchen den Augenbraunen — und beſonders in dem Augenblicke zu bemerken, da dich der Den-
ker hoͤret, da er ſich auf eine ſcharfſinnige Einwendung oder Beantwortung gefaßt machet. Dieſen
Moment erhaſcht — und du haſt wieder ein großes wichtiges Zeichen gefunden.

14.

„Bey Leuten, die nicht abſtrahiren, bey denen alle Seelenkraͤfte thaͤtig ſind, alſo bey Witz-
„lingen, ſchoͤnen Geiſtern, thaͤtigen Genieen, muͤſſen auch alle Muskeln vortheilhaft gebildet und
„geordnet ſeyn. Daher ſucht man den Ausdruck mehr im ganzen Geſichte.“ — Und kann ihn den-
noch auch wieder ſchon allein in der Stirne finden — Dieſe Stirn iſt weniger ſcharf — weniger

gerad-
Phyſ. Fragm. IV Verſuch. P
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[113/0141] Einige phyſiognomiſche Gedanken mit Anmerkungen. Jn den Signalementen der Spitzbuben wird man wenig weiße Haare finden; wohl aber viel dunkelbraune, auch wohl ſchwarze Haupthaare und weiße Augenbraunen beyſammen. Laͤngere Haare haben die Weiber, als die Maͤnner. — Maͤnner mit langen Haaren (und dieſe langen Haare ſind mehrentheils weiß — ſchwarze habe ich wenigſtens noch keine von ſonderba- rer Laͤnge geſehen) haben immer mehr weibiſches als maͤnnliches. Darum iſts auch einem Manne keine Ehre, wenn er lange Haare hat. Die ſchwarzen Haare ſind haͤrter, als die hellen; ſo wie die Haare der Erwachſenen haͤrter, als der Jungen. Die Alten geben die, welche hartes Haar haben, fuͤr wild aus. Hiſpida membra quidem et durae per brachia ſetae Promittunt atrocem animum. 12. „Da auf die Beſchaffenheit der Muskeln alles ankoͤmmt, ſo iſt klar, daß, was fuͤr Mus- „keln zu einer gewiſſen Art des Denkens und Empfindens hauptſaͤchlich gebraucht werden, in denen „auch der Ausdruck einer gewiſſen Denk- und Empfindungsart zu ſuchen ſey.“ — Allerdings da zu ſuchen, thue ich hinzu — aber vielleicht ſchwerer zu finden, und gewiß ſchwerer zu beſtimmen, als durch die Stirnform. 13. „Fuͤr den abſtrakten Denker iſt die Stirnmuskel das wichtigſte Werkzeug. Dieß iſt die „Urſache, warum man hier den Ausdruck in der Stirne ſucht.“ — Vermuthlich in der Gegend in und zwiſchen den Augenbraunen — und beſonders in dem Augenblicke zu bemerken, da dich der Den- ker hoͤret, da er ſich auf eine ſcharfſinnige Einwendung oder Beantwortung gefaßt machet. Dieſen Moment erhaſcht — und du haſt wieder ein großes wichtiges Zeichen gefunden. 14. „Bey Leuten, die nicht abſtrahiren, bey denen alle Seelenkraͤfte thaͤtig ſind, alſo bey Witz- „lingen, ſchoͤnen Geiſtern, thaͤtigen Genieen, muͤſſen auch alle Muskeln vortheilhaft gebildet und „geordnet ſeyn. Daher ſucht man den Ausdruck mehr im ganzen Geſichte.“ — Und kann ihn den- noch auch wieder ſchon allein in der Stirne finden — Dieſe Stirn iſt weniger ſcharf — weniger gerad- Phyſ. Fragm. IV Verſuch. P

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/141>, abgerufen am 18.04.2024.