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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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Schriftstellen.
vor denen, in welchen sein Geist ist -- der nicht nur Tiefen der Menschheit ergründet, sondern Tie-
fen der Gottheit. Wer will, wem's Zweck ist, daß das Gute in ihm in seinem Gesichte gesehen
werde -- Er hat seinen Lohn dahin.

3.

Das Auge ist des Leibes Licht. Wenn nun dein Aug einfältig ist, so wird dein
ganzer Leib heiter seyn; wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib
finster seyn. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsterniß ist, wie groß wird dann
die Finsterniß seyn? So siehe nun, ob nicht das Licht, das in dir ist, Finsterniß sey --
Wenn nun dein ganzer Leib heiter ist, also daß er keinen finstern Theil hat, so wird er
ganz heiter seyn, als wenn ein Licht dich mit seinem Glanz umleuchtete.
Matth. VI. 22.
23. Luc. XI. 36.

Dieß ist auch physiognomisch, ist buchstäblich wahr. Ein gutes Auge, ein guter Leib. Wie
das Auge, so der Körper. Finsterer Blick, finsterer Körper. Reiner Blick; reiner, freyer, edler
Körper. Jst das Auge Lichtlos, (nämlich nicht durch Krankheit oder Zufälle) -- so ist der ganze
Körper spröde, zähe, freudenlos; drückend und überlästig wie die Nacht. Und wiederum phy-
siognomisch ist's wahr: wenn nichts schiefes, fatales, finsteres, sprödes, heterogenes, angeflicktes
im Körper ist, alles gesund, alles Harmonie ist -- so ist wirklich alles heiter um dich her! Alles er-
scheint dir im schönsten Lichte! Du siehest alles neu! Licht ist genug in und auf allem -- Nur dein
Auge sey einfältig, gesund, unbefangen; siehe was da ist, ohne anders sehen zu wollen, als was
da ist, und wie's da ist.

4.

Etliches vom Saamen fällt an den Weg -- und es kommen Vögel und fressens
auf; anderes fällt in steinigten Grund, wo es nicht viel Erdreich hat, und geht von
Stund an auf, weil es nicht tiefe Erde hat. Wenn die Sonne aufgeht, verbrennt es,
und verdorrt, weil es nicht Wurzel hat. Anderes fällt unter die Dornen; und die
Dornen wachsen auf und erstickens. Anderes fällt in den guten Grund, und trägt
Frucht hundertfältig, sechzigfältig, dreyßigfältig.
Matth. XIII.

Viererley
C c 2

Schriftſtellen.
vor denen, in welchen ſein Geiſt iſt — der nicht nur Tiefen der Menſchheit ergruͤndet, ſondern Tie-
fen der Gottheit. Wer will, wem’s Zweck iſt, daß das Gute in ihm in ſeinem Geſichte geſehen
werde — Er hat ſeinen Lohn dahin.

3.

Das Auge iſt des Leibes Licht. Wenn nun dein Aug einfaͤltig iſt, ſo wird dein
ganzer Leib heiter ſeyn; wenn aber dein Auge boͤſe iſt, ſo wird dein ganzer Leib
finſter ſeyn. Wenn nun das Licht, das in dir iſt, Finſterniß iſt, wie groß wird dann
die Finſterniß ſeyn? So ſiehe nun, ob nicht das Licht, das in dir iſt, Finſterniß ſey —
Wenn nun dein ganzer Leib heiter iſt, alſo daß er keinen finſtern Theil hat, ſo wird er
ganz heiter ſeyn, als wenn ein Licht dich mit ſeinem Glanz umleuchtete.
Matth. VI. 22.
23. Luc. XI. 36.

Dieß iſt auch phyſiognomiſch, iſt buchſtaͤblich wahr. Ein gutes Auge, ein guter Leib. Wie
das Auge, ſo der Koͤrper. Finſterer Blick, finſterer Koͤrper. Reiner Blick; reiner, freyer, edler
Koͤrper. Jſt das Auge Lichtlos, (naͤmlich nicht durch Krankheit oder Zufaͤlle) — ſo iſt der ganze
Koͤrper ſproͤde, zaͤhe, freudenlos; druͤckend und uͤberlaͤſtig wie die Nacht. Und wiederum phy-
ſiognomiſch iſt’s wahr: wenn nichts ſchiefes, fatales, finſteres, ſproͤdes, heterogenes, angeflicktes
im Koͤrper iſt, alles geſund, alles Harmonie iſt — ſo iſt wirklich alles heiter um dich her! Alles er-
ſcheint dir im ſchoͤnſten Lichte! Du ſieheſt alles neu! Licht iſt genug in und auf allem — Nur dein
Auge ſey einfaͤltig, geſund, unbefangen; ſiehe was da iſt, ohne anders ſehen zu wollen, als was
da iſt, und wie’s da iſt.

4.

Etliches vom Saamen faͤllt an den Weg — und es kommen Voͤgel und freſſens
auf; anderes faͤllt in ſteinigten Grund, wo es nicht viel Erdreich hat, und geht von
Stund an auf, weil es nicht tiefe Erde hat. Wenn die Sonne aufgeht, verbrennt es,
und verdorrt, weil es nicht Wurzel hat. Anderes faͤllt unter die Dornen; und die
Dornen wachſen auf und erſtickens. Anderes faͤllt in den guten Grund, und traͤgt
Frucht hundertfaͤltig, ſechzigfaͤltig, dreyßigfaͤltig.
Matth. XIII.

Viererley
C c 2
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[203/0233] Schriftſtellen. vor denen, in welchen ſein Geiſt iſt — der nicht nur Tiefen der Menſchheit ergruͤndet, ſondern Tie- fen der Gottheit. Wer will, wem’s Zweck iſt, daß das Gute in ihm in ſeinem Geſichte geſehen werde — Er hat ſeinen Lohn dahin. 3. Das Auge iſt des Leibes Licht. Wenn nun dein Aug einfaͤltig iſt, ſo wird dein ganzer Leib heiter ſeyn; wenn aber dein Auge boͤſe iſt, ſo wird dein ganzer Leib finſter ſeyn. Wenn nun das Licht, das in dir iſt, Finſterniß iſt, wie groß wird dann die Finſterniß ſeyn? So ſiehe nun, ob nicht das Licht, das in dir iſt, Finſterniß ſey — Wenn nun dein ganzer Leib heiter iſt, alſo daß er keinen finſtern Theil hat, ſo wird er ganz heiter ſeyn, als wenn ein Licht dich mit ſeinem Glanz umleuchtete. Matth. VI. 22. 23. Luc. XI. 36. Dieß iſt auch phyſiognomiſch, iſt buchſtaͤblich wahr. Ein gutes Auge, ein guter Leib. Wie das Auge, ſo der Koͤrper. Finſterer Blick, finſterer Koͤrper. Reiner Blick; reiner, freyer, edler Koͤrper. Jſt das Auge Lichtlos, (naͤmlich nicht durch Krankheit oder Zufaͤlle) — ſo iſt der ganze Koͤrper ſproͤde, zaͤhe, freudenlos; druͤckend und uͤberlaͤſtig wie die Nacht. Und wiederum phy- ſiognomiſch iſt’s wahr: wenn nichts ſchiefes, fatales, finſteres, ſproͤdes, heterogenes, angeflicktes im Koͤrper iſt, alles geſund, alles Harmonie iſt — ſo iſt wirklich alles heiter um dich her! Alles er- ſcheint dir im ſchoͤnſten Lichte! Du ſieheſt alles neu! Licht iſt genug in und auf allem — Nur dein Auge ſey einfaͤltig, geſund, unbefangen; ſiehe was da iſt, ohne anders ſehen zu wollen, als was da iſt, und wie’s da iſt. 4. Etliches vom Saamen faͤllt an den Weg — und es kommen Voͤgel und freſſens auf; anderes faͤllt in ſteinigten Grund, wo es nicht viel Erdreich hat, und geht von Stund an auf, weil es nicht tiefe Erde hat. Wenn die Sonne aufgeht, verbrennt es, und verdorrt, weil es nicht Wurzel hat. Anderes faͤllt unter die Dornen; und die Dornen wachſen auf und erſtickens. Anderes faͤllt in den guten Grund, und traͤgt Frucht hundertfaͤltig, ſechzigfaͤltig, dreyßigfaͤltig. Matth. XIII. Viererley C c 2

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/233>, abgerufen am 16.04.2024.