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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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III. Abschnitt. VIII. Fragment.
nichts wissen will. Auch in den häßlichsten kranken Gesichtern leuchtet sehr oft der unsterbliche Geist
lieblich und mit neuer nie gesehener Milde und Heiterkeit hervor.

14.

Der Weise rühme sich nicht seiner Weisheit, und der Starke rühme sich nicht
seiner Stärke, sondern wer sich rühmen will -- der rühme sich im Herrn.
2 Cor. X. 17.
Je mehr physiognomische Kenntniß -- desto unmöglicher aller Selbstruhm.

15.

Die Erde, die den Regen, der oft über sie kömmt, trinket, und denen bequem
Kraut trägt, durch die sie gebauet wird, die empfahet den Segen von Gott. Welche
aber Dornen und Disteln trägt, die ist untüchtig, und dem Fluche nahe. Welcher En-
de zur Verbrennung dient.
Hebr. VI. 7.

Das Gesicht, welches aus allem, was ihm begegnet, Licht und Lehre schöpft, wird im-
mer freyer, reiner, lichtvoller; das, so nichts annimmt, verwildert -- und ist dem Fluche nahe.

Und nun zum Beschlusse die wichtige Stelle Röm. IX.

Da die Kinder noch nicht geboren waren, und noch weder Gutes noch Böses ge-
than hatten, auf daß der Fürsatz Gottes, welcher nach der Wahl ist, fest bleibe, nicht
aus den Werken, sondern aus der Gnade des Berufers, ist zu ihr gesagt worden, der
Größere wird des Kleinern Knecht werden. Wie dann geschrieben ist: Jch habe den
Jacob geliebet, den Esau aber habe ich gehasset. Was wollen wir nun sagen: Jst dann
Ungerechtigkeit bey Gott? das sey ferne! Denn er spricht zu Mose: welchem ich gnädig
bin, dem bin ich gnädig -- und weß ich mich erbarmen will, dessen erbarme ich mich. So
stehet es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen;
denn die Schrift sagt zu Pharao: Eben darum habe ich dich erwecket, daß ich an dir
meine Macht erzeige, und daß mein Name auf dem ganzen Erdreich verkündiget wer-
de. So erbarmet er sich nun, wessen er will; und verstocket, welche er will. So wirst
du dann zu mir sagen: was beschuldiget er denn noch? Denn wer mag seinem Willen

widerste-

III. Abſchnitt. VIII. Fragment.
nichts wiſſen will. Auch in den haͤßlichſten kranken Geſichtern leuchtet ſehr oft der unſterbliche Geiſt
lieblich und mit neuer nie geſehener Milde und Heiterkeit hervor.

14.

Der Weiſe ruͤhme ſich nicht ſeiner Weisheit, und der Starke ruͤhme ſich nicht
ſeiner Staͤrke, ſondern wer ſich ruͤhmen will — der ruͤhme ſich im Herrn.
2 Cor. X. 17.
Je mehr phyſiognomiſche Kenntniß — deſto unmoͤglicher aller Selbſtruhm.

15.

Die Erde, die den Regen, der oft uͤber ſie koͤmmt, trinket, und denen bequem
Kraut traͤgt, durch die ſie gebauet wird, die empfahet den Segen von Gott. Welche
aber Dornen und Diſteln traͤgt, die iſt untuͤchtig, und dem Fluche nahe. Welcher En-
de zur Verbrennung dient.
Hebr. VI. 7.

Das Geſicht, welches aus allem, was ihm begegnet, Licht und Lehre ſchoͤpft, wird im-
mer freyer, reiner, lichtvoller; das, ſo nichts annimmt, verwildert — und iſt dem Fluche nahe.

Und nun zum Beſchluſſe die wichtige Stelle Roͤm. IX.

Da die Kinder noch nicht geboren waren, und noch weder Gutes noch Boͤſes ge-
than hatten, auf daß der Fuͤrſatz Gottes, welcher nach der Wahl iſt, feſt bleibe, nicht
aus den Werken, ſondern aus der Gnade des Berufers, iſt zu ihr geſagt worden, der
Groͤßere wird des Kleinern Knecht werden. Wie dann geſchrieben iſt: Jch habe den
Jacob geliebet, den Eſau aber habe ich gehaſſet. Was wollen wir nun ſagen: Jſt dann
Ungerechtigkeit bey Gott? das ſey ferne! Denn er ſpricht zu Moſe: welchem ich gnaͤdig
bin, dem bin ich gnaͤdig — und weß ich mich erbarmen will, deſſen erbarme ich mich. So
ſtehet es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, ſondern an Gottes Erbarmen;
denn die Schrift ſagt zu Pharao: Eben darum habe ich dich erwecket, daß ich an dir
meine Macht erzeige, und daß mein Name auf dem ganzen Erdreich verkuͤndiget wer-
de. So erbarmet er ſich nun, weſſen er will; und verſtocket, welche er will. So wirſt
du dann zu mir ſagen: was beſchuldiget er denn noch? Denn wer mag ſeinem Willen

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[212/0242] III. Abſchnitt. VIII. Fragment. nichts wiſſen will. Auch in den haͤßlichſten kranken Geſichtern leuchtet ſehr oft der unſterbliche Geiſt lieblich und mit neuer nie geſehener Milde und Heiterkeit hervor. 14. Der Weiſe ruͤhme ſich nicht ſeiner Weisheit, und der Starke ruͤhme ſich nicht ſeiner Staͤrke, ſondern wer ſich ruͤhmen will — der ruͤhme ſich im Herrn. 2 Cor. X. 17. Je mehr phyſiognomiſche Kenntniß — deſto unmoͤglicher aller Selbſtruhm. 15. Die Erde, die den Regen, der oft uͤber ſie koͤmmt, trinket, und denen bequem Kraut traͤgt, durch die ſie gebauet wird, die empfahet den Segen von Gott. Welche aber Dornen und Diſteln traͤgt, die iſt untuͤchtig, und dem Fluche nahe. Welcher En- de zur Verbrennung dient. Hebr. VI. 7. Das Geſicht, welches aus allem, was ihm begegnet, Licht und Lehre ſchoͤpft, wird im- mer freyer, reiner, lichtvoller; das, ſo nichts annimmt, verwildert — und iſt dem Fluche nahe. Und nun zum Beſchluſſe die wichtige Stelle Roͤm. IX. Da die Kinder noch nicht geboren waren, und noch weder Gutes noch Boͤſes ge- than hatten, auf daß der Fuͤrſatz Gottes, welcher nach der Wahl iſt, feſt bleibe, nicht aus den Werken, ſondern aus der Gnade des Berufers, iſt zu ihr geſagt worden, der Groͤßere wird des Kleinern Knecht werden. Wie dann geſchrieben iſt: Jch habe den Jacob geliebet, den Eſau aber habe ich gehaſſet. Was wollen wir nun ſagen: Jſt dann Ungerechtigkeit bey Gott? das ſey ferne! Denn er ſpricht zu Moſe: welchem ich gnaͤdig bin, dem bin ich gnaͤdig — und weß ich mich erbarmen will, deſſen erbarme ich mich. So ſtehet es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, ſondern an Gottes Erbarmen; denn die Schrift ſagt zu Pharao: Eben darum habe ich dich erwecket, daß ich an dir meine Macht erzeige, und daß mein Name auf dem ganzen Erdreich verkuͤndiget wer- de. So erbarmet er ſich nun, weſſen er will; und verſtocket, welche er will. So wirſt du dann zu mir ſagen: was beſchuldiget er denn noch? Denn wer mag ſeinem Willen widerſte-

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/242>, abgerufen am 28.03.2024.