Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite
I. Abschnitt. VIII. Fragment. Einfluß der Einbildungskraft
Erste Beylage.
Stöberin.
[Abbildung]

Ein sechzehnjähriges Mädchen, das nicht viel über 2. Fuß Höhe hatte -- Seine Physiognomie
ist offenbar nur vergröberte Kindheit. Die noch um etwas weniges vorhängende Stirn hat voll-
kommen das Gepräge der Kindheit; und einiger Schwachheit die Höhlung bey der Nasenwurzel --
das Alter aber blickt ganz sichtbar besonders durch den untern Theil des Gesichtes durch. Von der
Unterlippe an bis zum Halse scheint sich gleichsam das Mannbare aus dem obern Theile des Gesich-
tes präzipitirt zu haben. Ein geübtes physiognomisches Auge würde vermuthlich von selbst in
diesem Gesichte Kindheit und Alter heraus finden können.

Sonst war das Mädchen von gutem Verstande, oder vielmehr von großer Gedächtniß-
weite und Beredtheit -- Dieß ist vornehmlich im Auge und Munde sichtbar. Grazie und zartes
Gefühl sind weder im Charakter noch im Bilde dieses Kindes.

Zweyte
I. Abſchnitt. VIII. Fragment. Einfluß der Einbildungskraft
Erſte Beylage.
Stoͤberin.
[Abbildung]

Ein ſechzehnjaͤhriges Maͤdchen, das nicht viel uͤber 2. Fuß Hoͤhe hatte — Seine Phyſiognomie
iſt offenbar nur vergroͤberte Kindheit. Die noch um etwas weniges vorhaͤngende Stirn hat voll-
kommen das Gepraͤge der Kindheit; und einiger Schwachheit die Hoͤhlung bey der Naſenwurzel —
das Alter aber blickt ganz ſichtbar beſonders durch den untern Theil des Geſichtes durch. Von der
Unterlippe an bis zum Halſe ſcheint ſich gleichſam das Mannbare aus dem obern Theile des Geſich-
tes praͤzipitirt zu haben. Ein geuͤbtes phyſiognomiſches Auge wuͤrde vermuthlich von ſelbſt in
dieſem Geſichte Kindheit und Alter heraus finden koͤnnen.

Sonſt war das Maͤdchen von gutem Verſtande, oder vielmehr von großer Gedaͤchtniß-
weite und Beredtheit — Dieß iſt vornehmlich im Auge und Munde ſichtbar. Grazie und zartes
Gefuͤhl ſind weder im Charakter noch im Bilde dieſes Kindes.

Zweyte
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0098" n="72"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Ab&#x017F;chnitt. <hi rendition="#aq">VIII.</hi> Fragment. Einfluß der Einbildungskraft</hi> </fw><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Er&#x017F;te Beylage.<lb/>
Sto&#x0364;berin.</hi> </hi> </head><lb/>
              <figure/>
              <p><hi rendition="#in">E</hi>in &#x017F;echzehnja&#x0364;hriges Ma&#x0364;dchen, das nicht viel u&#x0364;ber 2. Fuß Ho&#x0364;he hatte &#x2014; Seine Phy&#x017F;iognomie<lb/>
i&#x017F;t offenbar nur vergro&#x0364;berte <hi rendition="#b">Kindheit.</hi> Die noch um etwas weniges vorha&#x0364;ngende Stirn hat voll-<lb/>
kommen das Gepra&#x0364;ge der <hi rendition="#b">Kindheit;</hi> und einiger Schwachheit die Ho&#x0364;hlung bey der Na&#x017F;enwurzel &#x2014;<lb/>
das Alter aber blickt ganz &#x017F;ichtbar be&#x017F;onders durch den untern Theil des Ge&#x017F;ichtes durch. Von der<lb/>
Unterlippe an bis zum Hal&#x017F;e &#x017F;cheint &#x017F;ich gleich&#x017F;am das Mannbare aus dem obern Theile des Ge&#x017F;ich-<lb/>
tes <hi rendition="#b">pra&#x0364;zipitirt</hi> zu haben. Ein geu&#x0364;btes phy&#x017F;iognomi&#x017F;ches Auge wu&#x0364;rde vermuthlich von &#x017F;elb&#x017F;t in<lb/>
die&#x017F;em Ge&#x017F;ichte Kindheit und Alter heraus finden ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
              <p>Son&#x017F;t war das Ma&#x0364;dchen von gutem Ver&#x017F;tande, oder vielmehr von großer Geda&#x0364;chtniß-<lb/>
weite und Beredtheit &#x2014; Dieß i&#x017F;t vornehmlich im Auge und Munde &#x017F;ichtbar. Grazie und zartes<lb/>
Gefu&#x0364;hl &#x017F;ind weder im Charakter noch im Bilde die&#x017F;es Kindes.</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Zweyte</hi> </fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0098] I. Abſchnitt. VIII. Fragment. Einfluß der Einbildungskraft Erſte Beylage. Stoͤberin. [Abbildung] Ein ſechzehnjaͤhriges Maͤdchen, das nicht viel uͤber 2. Fuß Hoͤhe hatte — Seine Phyſiognomie iſt offenbar nur vergroͤberte Kindheit. Die noch um etwas weniges vorhaͤngende Stirn hat voll- kommen das Gepraͤge der Kindheit; und einiger Schwachheit die Hoͤhlung bey der Naſenwurzel — das Alter aber blickt ganz ſichtbar beſonders durch den untern Theil des Geſichtes durch. Von der Unterlippe an bis zum Halſe ſcheint ſich gleichſam das Mannbare aus dem obern Theile des Geſich- tes praͤzipitirt zu haben. Ein geuͤbtes phyſiognomiſches Auge wuͤrde vermuthlich von ſelbſt in dieſem Geſichte Kindheit und Alter heraus finden koͤnnen. Sonſt war das Maͤdchen von gutem Verſtande, oder vielmehr von großer Gedaͤchtniß- weite und Beredtheit — Dieß iſt vornehmlich im Auge und Munde ſichtbar. Grazie und zartes Gefuͤhl ſind weder im Charakter noch im Bilde dieſes Kindes. Zweyte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/98
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/98>, abgerufen am 16.04.2024.