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Ledebur, Adolf: Handbuch der Eisenhüttenkunde. Leipzig, 1884.

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Der Siemensprocess.

Das von dem Erfinder des Siemensprocesses ins Auge gefasste
und mit zäher Ausdauer ein Jahrzehnt hindurch verfolgte Ziel war,
mit Hilfe des Processes aus phosphorhaltigen Erzen ein Schweisseisen
darzustellen, welches seinen Eigenschaften zufolge dem aus phosphor-
armem Roheisen erzeugten Schweisseisen ebenbürtig zur Seite treten
könnte, ohne doch kostspieliger als dieses zu sein.

Dieses Ziel ist in vollem Umfange nicht erreicht worden. Die
Erfahrung lehrte, dass die entstehenden Luppen reichlich von einer
theilweise strengflüssigen Schlacke durchsetzt waren, deren Entfernung
nur durch eine abermalige Erhitzung in einem besondern Ofen und
fortgesetzte Bearbeitung möglich war. Die lockere Beschaffenheit der
Luppen aber gab bei dieser Erhitzung Gelegenheit zu reichlicher Oxy-
dation, und alle diese Umstände vereinigten sich, die Erzeugungskosten
des fertigen Eisens zu erhöhen. An mehreren Orten, wo der Process
versuchsweise eingeführt wurde (1873 zu Prävali in Kärnten, 1878 zu
Pittsburg) und wo man gleichfalls nur darauf ausging, geschweisstes
Eisen als Enderzeugniss (Fertigwaare) darzustellen, waren die Ergeb-
nisse unbefriedigend, und selbst in Towcester ist der Betrieb schliess-
lich eingestellt worden.

Günstiger sind die Aussichten für die Lebensfähigkeit des Pro-
cesses, wenn man davon absieht, ihn zur Darstellung von geschweiss-
tem Handelseisen zu benutzen, und dagegen die erhaltenen Luppen
als Material für Flusseisenerzeugung verwendet. Bei dem Schmelzen
wird die Schlacke leicht und vollständig abgeschieden; die Haupt-
schwierigkeit für die Verwerthung des Processes ist hierdurch be-
seitigt. Für diese Bestimmung wurde der oben mehrfach erwähnte Ofen
zu Tyrone gebaut; und nachdem die dort erlangten Ergebnisse be-
friedigend ausfielen, wurde im Jahre 1881 von derselben Firma (Sie-
mens-Anderson
Steel Company) ein zweites grösseres Werk mit
vier Drehöfen nahe bei Pittsburg am Monongahela-Flusse errichtet.

In gleicher Weise wird auf den Landore-Steelworks in England
der Process jetzt durchgeführt, nachdem schon in früheren Jahren dort
ein Theil der in Towcester erzeugten Luppen ebenfalls auf Flusseisen
verarbeitet worden war. 1)

Da der chemischen Natur des Processes zufolge ein gewisser Eisen-
gehalt der erfolgenden Schlacke nothwendig ist, so wird mit der Menge
der erfolgenden Schlacke auch der Verlust an Eisen zunehmen. Die
Menge der Schlacke aber ist abhängig von der Menge der Gangarten
des Erzes. Es folgt hieraus, dass der Process vorzugsweise für Ver-
arbeitung reicher Erze geeignet ist.

4. Sonstige Processe für Darstellung von Schweisseisen
oder Eisenschwamm aus Erzen.

Die scheinbar grössere Einfachheit der unmittelbaren Darstellung
schmiedbaren Eisens aus Erzen macht es erklärlich, dass der Erfin-
dungsgeist der neueren Zeit sich gerade diesem Gebiete mit besonderer
Vorliebe zuwandte, seitdem die chemische Forschung die Vorgänge

1) Näheres über den Betrieb in Landore: "Stahl und Eisen" 1883, S. 259.
Der Siemensprocess.

Das von dem Erfinder des Siemensprocesses ins Auge gefasste
und mit zäher Ausdauer ein Jahrzehnt hindurch verfolgte Ziel war,
mit Hilfe des Processes aus phosphorhaltigen Erzen ein Schweisseisen
darzustellen, welches seinen Eigenschaften zufolge dem aus phosphor-
armem Roheisen erzeugten Schweisseisen ebenbürtig zur Seite treten
könnte, ohne doch kostspieliger als dieses zu sein.

Dieses Ziel ist in vollem Umfange nicht erreicht worden. Die
Erfahrung lehrte, dass die entstehenden Luppen reichlich von einer
theilweise strengflüssigen Schlacke durchsetzt waren, deren Entfernung
nur durch eine abermalige Erhitzung in einem besondern Ofen und
fortgesetzte Bearbeitung möglich war. Die lockere Beschaffenheit der
Luppen aber gab bei dieser Erhitzung Gelegenheit zu reichlicher Oxy-
dation, und alle diese Umstände vereinigten sich, die Erzeugungskosten
des fertigen Eisens zu erhöhen. An mehreren Orten, wo der Process
versuchsweise eingeführt wurde (1873 zu Prävali in Kärnten, 1878 zu
Pittsburg) und wo man gleichfalls nur darauf ausging, geschweisstes
Eisen als Enderzeugniss (Fertigwaare) darzustellen, waren die Ergeb-
nisse unbefriedigend, und selbst in Towcester ist der Betrieb schliess-
lich eingestellt worden.

Günstiger sind die Aussichten für die Lebensfähigkeit des Pro-
cesses, wenn man davon absieht, ihn zur Darstellung von geschweiss-
tem Handelseisen zu benutzen, und dagegen die erhaltenen Luppen
als Material für Flusseisenerzeugung verwendet. Bei dem Schmelzen
wird die Schlacke leicht und vollständig abgeschieden; die Haupt-
schwierigkeit für die Verwerthung des Processes ist hierdurch be-
seitigt. Für diese Bestimmung wurde der oben mehrfach erwähnte Ofen
zu Tyrone gebaut; und nachdem die dort erlangten Ergebnisse be-
friedigend ausfielen, wurde im Jahre 1881 von derselben Firma (Sie-
mens-Anderson
Steel Company) ein zweites grösseres Werk mit
vier Drehöfen nahe bei Pittsburg am Monongahela-Flusse errichtet.

In gleicher Weise wird auf den Landore-Steelworks in England
der Process jetzt durchgeführt, nachdem schon in früheren Jahren dort
ein Theil der in Towcester erzeugten Luppen ebenfalls auf Flusseisen
verarbeitet worden war. 1)

Da der chemischen Natur des Processes zufolge ein gewisser Eisen-
gehalt der erfolgenden Schlacke nothwendig ist, so wird mit der Menge
der erfolgenden Schlacke auch der Verlust an Eisen zunehmen. Die
Menge der Schlacke aber ist abhängig von der Menge der Gangarten
des Erzes. Es folgt hieraus, dass der Process vorzugsweise für Ver-
arbeitung reicher Erze geeignet ist.

4. Sonstige Processe für Darstellung von Schweisseisen
oder Eisenschwamm aus Erzen.

Die scheinbar grössere Einfachheit der unmittelbaren Darstellung
schmiedbaren Eisens aus Erzen macht es erklärlich, dass der Erfin-
dungsgeist der neueren Zeit sich gerade diesem Gebiete mit besonderer
Vorliebe zuwandte, seitdem die chemische Forschung die Vorgänge

1) Näheres über den Betrieb in Landore: „Stahl und Eisen“ 1883, S. 259.
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[753/0825] Der Siemensprocess. Das von dem Erfinder des Siemensprocesses ins Auge gefasste und mit zäher Ausdauer ein Jahrzehnt hindurch verfolgte Ziel war, mit Hilfe des Processes aus phosphorhaltigen Erzen ein Schweisseisen darzustellen, welches seinen Eigenschaften zufolge dem aus phosphor- armem Roheisen erzeugten Schweisseisen ebenbürtig zur Seite treten könnte, ohne doch kostspieliger als dieses zu sein. Dieses Ziel ist in vollem Umfange nicht erreicht worden. Die Erfahrung lehrte, dass die entstehenden Luppen reichlich von einer theilweise strengflüssigen Schlacke durchsetzt waren, deren Entfernung nur durch eine abermalige Erhitzung in einem besondern Ofen und fortgesetzte Bearbeitung möglich war. Die lockere Beschaffenheit der Luppen aber gab bei dieser Erhitzung Gelegenheit zu reichlicher Oxy- dation, und alle diese Umstände vereinigten sich, die Erzeugungskosten des fertigen Eisens zu erhöhen. An mehreren Orten, wo der Process versuchsweise eingeführt wurde (1873 zu Prävali in Kärnten, 1878 zu Pittsburg) und wo man gleichfalls nur darauf ausging, geschweisstes Eisen als Enderzeugniss (Fertigwaare) darzustellen, waren die Ergeb- nisse unbefriedigend, und selbst in Towcester ist der Betrieb schliess- lich eingestellt worden. Günstiger sind die Aussichten für die Lebensfähigkeit des Pro- cesses, wenn man davon absieht, ihn zur Darstellung von geschweiss- tem Handelseisen zu benutzen, und dagegen die erhaltenen Luppen als Material für Flusseisenerzeugung verwendet. Bei dem Schmelzen wird die Schlacke leicht und vollständig abgeschieden; die Haupt- schwierigkeit für die Verwerthung des Processes ist hierdurch be- seitigt. Für diese Bestimmung wurde der oben mehrfach erwähnte Ofen zu Tyrone gebaut; und nachdem die dort erlangten Ergebnisse be- friedigend ausfielen, wurde im Jahre 1881 von derselben Firma (Sie- mens-Anderson Steel Company) ein zweites grösseres Werk mit vier Drehöfen nahe bei Pittsburg am Monongahela-Flusse errichtet. In gleicher Weise wird auf den Landore-Steelworks in England der Process jetzt durchgeführt, nachdem schon in früheren Jahren dort ein Theil der in Towcester erzeugten Luppen ebenfalls auf Flusseisen verarbeitet worden war. 1) Da der chemischen Natur des Processes zufolge ein gewisser Eisen- gehalt der erfolgenden Schlacke nothwendig ist, so wird mit der Menge der erfolgenden Schlacke auch der Verlust an Eisen zunehmen. Die Menge der Schlacke aber ist abhängig von der Menge der Gangarten des Erzes. Es folgt hieraus, dass der Process vorzugsweise für Ver- arbeitung reicher Erze geeignet ist. 4. Sonstige Processe für Darstellung von Schweisseisen oder Eisenschwamm aus Erzen. Die scheinbar grössere Einfachheit der unmittelbaren Darstellung schmiedbaren Eisens aus Erzen macht es erklärlich, dass der Erfin- dungsgeist der neueren Zeit sich gerade diesem Gebiete mit besonderer Vorliebe zuwandte, seitdem die chemische Forschung die Vorgänge 1) Näheres über den Betrieb in Landore: „Stahl und Eisen“ 1883, S. 259.

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Zitationshilfe: Ledebur, Adolf: Handbuch der Eisenhüttenkunde. Leipzig, 1884, S. 753. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ledebur_eisenhuettenkunde_1884/825>, abgerufen am 19.04.2024.