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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Piräus.

Cap Sunion in Sicht! Je mehr wir dem hellenischen Boden uns
nähern, desto mächtiger fühlen wir den Zauber, der in diesen Ge-
filden jeden Gebildeten bestrickt. Die Erinnerung an das uralte Staats-
wesen, das hier zu hoher Bedeutung gediehen war, an die glanzvolle
Culturepoche, die Edles schaffend von hier aus ihren Bannkreis zog,
dem selbst die Gegenwart noch nicht entrückt ist, tritt so mächtig
in den Vordergrund unserer Einbildung, dass uns im Anblicke des
classischen Bodens der Mangel an landschaftlichen Reizen kaum be-
wusst wird.

Der Hafen von Piräus ist durch eine felsige Landzunge gebildet,
auf der die beiden Hügel Akte (57 m) und Munychia (86 m) deutlich
hervortreten. Im Alterthume umzog die ganze Halbinsel eine weit-
läufige Befestigung, deren Ueberreste noch erhalten sind.

Ostwärts dehnt sich der flache Strand von Phaleron, über dem
die sanft geneigte attische Ebene bis zu den im Hintergrunde auf-
steigenden, über 1000 m hohen Berggruppen Pentelikon und Hymettos
wie eine Schaubühne zum Vorschein kommt.

Mit ihren feingeschnittenen Umrissen bildet dort die ehrwürdige
Akropolis, umgeben von dem zu ihren Füssen lagernden Athen, den
mächtigen Anziehungspunkt eines wahrhaft historischen Bildes, dessen
Verständniss zum Gemeingut der gebildeten Menschheit geworden ist,
denn Athen war das geistige Centrum nicht allein Griechenlands,
sondern der antiken Welt.

"Von Athen" -- sagt Gregorovius --, "einem Gemeinwesen
freier Bürger, klein an territorialem Umfange und gering an staat-
licher Macht, sind unermessliche Wirkungen in das Weltleben ausge-
gangen. Sie haben sich nicht in der Form grosser geschichtlicher Hand-
lungen und Völkerbeziehungen und jener kaum unterbrochenen Reihe
von politischen und socialen Schöpfungen dargestellt, wie sie Rom
hervorgebracht hat. Die an der Menschheit bildenden Kräfte der Stadt

Piräus.

Cap Sunion in Sicht! Je mehr wir dem hellenischen Boden uns
nähern, desto mächtiger fühlen wir den Zauber, der in diesen Ge-
filden jeden Gebildeten bestrickt. Die Erinnerung an das uralte Staats-
wesen, das hier zu hoher Bedeutung gediehen war, an die glanzvolle
Culturepoche, die Edles schaffend von hier aus ihren Bannkreis zog,
dem selbst die Gegenwart noch nicht entrückt ist, tritt so mächtig
in den Vordergrund unserer Einbildung, dass uns im Anblicke des
classischen Bodens der Mangel an landschaftlichen Reizen kaum be-
wusst wird.

Der Hafen von Piräus ist durch eine felsige Landzunge gebildet,
auf der die beiden Hügel Akte (57 m) und Munychia (86 m) deutlich
hervortreten. Im Alterthume umzog die ganze Halbinsel eine weit-
läufige Befestigung, deren Ueberreste noch erhalten sind.

Ostwärts dehnt sich der flache Strand von Phaleron, über dem
die sanft geneigte attische Ebene bis zu den im Hintergrunde auf-
steigenden, über 1000 m hohen Berggruppen Pentelikon und Hymettos
wie eine Schaubühne zum Vorschein kommt.

Mit ihren feingeschnittenen Umrissen bildet dort die ehrwürdige
Akropolis, umgeben von dem zu ihren Füssen lagernden Athen, den
mächtigen Anziehungspunkt eines wahrhaft historischen Bildes, dessen
Verständniss zum Gemeingut der gebildeten Menschheit geworden ist,
denn Athen war das geistige Centrum nicht allein Griechenlands,
sondern der antiken Welt.

„Von Athen“ — sagt Gregorovius —, „einem Gemeinwesen
freier Bürger, klein an territorialem Umfange und gering an staat-
licher Macht, sind unermessliche Wirkungen in das Weltleben ausge-
gangen. Sie haben sich nicht in der Form grosser geschichtlicher Hand-
lungen und Völkerbeziehungen und jener kaum unterbrochenen Reihe
von politischen und socialen Schöpfungen dargestellt, wie sie Rom
hervorgebracht hat. Die an der Menschheit bildenden Kräfte der Stadt

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[[80]/0100] Piräus. Cap Sunion in Sicht! Je mehr wir dem hellenischen Boden uns nähern, desto mächtiger fühlen wir den Zauber, der in diesen Ge- filden jeden Gebildeten bestrickt. Die Erinnerung an das uralte Staats- wesen, das hier zu hoher Bedeutung gediehen war, an die glanzvolle Culturepoche, die Edles schaffend von hier aus ihren Bannkreis zog, dem selbst die Gegenwart noch nicht entrückt ist, tritt so mächtig in den Vordergrund unserer Einbildung, dass uns im Anblicke des classischen Bodens der Mangel an landschaftlichen Reizen kaum be- wusst wird. Der Hafen von Piräus ist durch eine felsige Landzunge gebildet, auf der die beiden Hügel Akte (57 m) und Munychia (86 m) deutlich hervortreten. Im Alterthume umzog die ganze Halbinsel eine weit- läufige Befestigung, deren Ueberreste noch erhalten sind. Ostwärts dehnt sich der flache Strand von Phaleron, über dem die sanft geneigte attische Ebene bis zu den im Hintergrunde auf- steigenden, über 1000 m hohen Berggruppen Pentelikon und Hymettos wie eine Schaubühne zum Vorschein kommt. Mit ihren feingeschnittenen Umrissen bildet dort die ehrwürdige Akropolis, umgeben von dem zu ihren Füssen lagernden Athen, den mächtigen Anziehungspunkt eines wahrhaft historischen Bildes, dessen Verständniss zum Gemeingut der gebildeten Menschheit geworden ist, denn Athen war das geistige Centrum nicht allein Griechenlands, sondern der antiken Welt. „Von Athen“ — sagt Gregorovius —, „einem Gemeinwesen freier Bürger, klein an territorialem Umfange und gering an staat- licher Macht, sind unermessliche Wirkungen in das Weltleben ausge- gangen. Sie haben sich nicht in der Form grosser geschichtlicher Hand- lungen und Völkerbeziehungen und jener kaum unterbrochenen Reihe von politischen und socialen Schöpfungen dargestellt, wie sie Rom hervorgebracht hat. Die an der Menschheit bildenden Kräfte der Stadt

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. [80]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/100>, abgerufen am 16.04.2024.