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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Liverpool.

Nächst London ist Liverpool am Mersey die bedeutendste
Stadt Englands, der zweite Hafen Europas. Hier concentrirt sich der
Verkehr des westlichen Englands und von hier aus werden nach allen
Richtungen der Welt Verbindungen mit Dampf und Segel unterhalten.
Liverpool verdankt diese Stellung in erster Linie der günstigen Lage
Amerika gegenüber. Darum beginnt sein Stern auch erst im XVIII.
Jahrhundert zu leuchten, als der europäisch-amerikanische Handel
Bedeutung gewonnen hatte.

Kurz vor der Eroberung durch die Normannen wird zwar schon dieses Ortes
in einem angelsächsischen Documente Erwähnung gethan, aber zu irgend einer
Bedeutung konnte sich derselbe bis zum Ende des XVII. Jahrhunderts nicht
emporringen. Es war und blieb ein kleines Städtchen, das auch in der Geschichte
seines Landes keine Rolle spielte. Die Leute von Liverpool betrieben den kleinen
Küstenhandel mit dem benachbarten Irland und der Insel Man, führten später
auch Salz aus Cheshire aus und schlugen sich derart gut und schlecht, wie es
eben kam, durch. Eine wesentliche Aenderung trat erst durch die Entwicklung
der amerikanischen Colonien ein, da Liverpool eine für den Handel mit denselben
günstige Lage besass. Anfangs war das wichtigste Handelsobject, mit welchem
die Liverpooler Kaufleute ihren Reichthum begründeten, "Sclaven". Sie brachten
mit ihren Schiffen gewisse gangbare Waaren nach der Westküste von Afrika und
führten von dort Sclaven nach Nordamerika und Westindien, um amerikanische
Producte als Rückfracht nach England zu schaffen. Diese Art des Handels er-
wies sich als eine vortreffliche Quelle des Erwerbes, und man kann den Liver-
poolern damaliger Zeit nicht nachrühmen, dass sie bei dem Sclavengeschäfte mit
besonderer Rücksicht vorgegangen wären, vielmehr bemühten sie sich, ihre Con-
currenten in diesem Zweige, die Kaufleute von Bristol, noch an Energie zu über-
treffen. Unter dem Zeichen dieses wenig erbaulichen Geschäftes blühte die Stadt
auf und erreichte schon im Laufe des XVIII. Jahrhunderts eine ganz ansehnliche
Bedeutung. Sie zählte am Ausgange 77.000 Einwohner, während sie zu Beginn
desselben nur 6000 beherbergte und der Hafen Alles in Allem nur über 84
eigene Schiffe verfügte. Als dann zu Anfang unseres Jahrhunderts der Sclaven-
handel in England und seinen Colonien verboten ward, war Liverpools Stellung
so gefestigt, dass es für den Entgang seiner bisherigen wesentlichen Gewinn-
quelle reichlichen Ersatz in dem lange angebahnten und immer mehr aufblühenden

Liverpool.

Nächst London ist Liverpool am Mersey die bedeutendste
Stadt Englands, der zweite Hafen Europas. Hier concentrirt sich der
Verkehr des westlichen Englands und von hier aus werden nach allen
Richtungen der Welt Verbindungen mit Dampf und Segel unterhalten.
Liverpool verdankt diese Stellung in erster Linie der günstigen Lage
Amerika gegenüber. Darum beginnt sein Stern auch erst im XVIII.
Jahrhundert zu leuchten, als der europäisch-amerikanische Handel
Bedeutung gewonnen hatte.

Kurz vor der Eroberung durch die Normannen wird zwar schon dieses Ortes
in einem angelsächsischen Documente Erwähnung gethan, aber zu irgend einer
Bedeutung konnte sich derselbe bis zum Ende des XVII. Jahrhunderts nicht
emporringen. Es war und blieb ein kleines Städtchen, das auch in der Geschichte
seines Landes keine Rolle spielte. Die Leute von Liverpool betrieben den kleinen
Küstenhandel mit dem benachbarten Irland und der Insel Man, führten später
auch Salz aus Cheshire aus und schlugen sich derart gut und schlecht, wie es
eben kam, durch. Eine wesentliche Aenderung trat erst durch die Entwicklung
der amerikanischen Colonien ein, da Liverpool eine für den Handel mit denselben
günstige Lage besass. Anfangs war das wichtigste Handelsobject, mit welchem
die Liverpooler Kaufleute ihren Reichthum begründeten, „Sclaven“. Sie brachten
mit ihren Schiffen gewisse gangbare Waaren nach der Westküste von Afrika und
führten von dort Sclaven nach Nordamerika und Westindien, um amerikanische
Producte als Rückfracht nach England zu schaffen. Diese Art des Handels er-
wies sich als eine vortreffliche Quelle des Erwerbes, und man kann den Liver-
poolern damaliger Zeit nicht nachrühmen, dass sie bei dem Sclavengeschäfte mit
besonderer Rücksicht vorgegangen wären, vielmehr bemühten sie sich, ihre Con-
currenten in diesem Zweige, die Kaufleute von Bristol, noch an Energie zu über-
treffen. Unter dem Zeichen dieses wenig erbaulichen Geschäftes blühte die Stadt
auf und erreichte schon im Laufe des XVIII. Jahrhunderts eine ganz ansehnliche
Bedeutung. Sie zählte am Ausgange 77.000 Einwohner, während sie zu Beginn
desselben nur 6000 beherbergte und der Hafen Alles in Allem nur über 84
eigene Schiffe verfügte. Als dann zu Anfang unseres Jahrhunderts der Sclaven-
handel in England und seinen Colonien verboten ward, war Liverpools Stellung
so gefestigt, dass es für den Entgang seiner bisherigen wesentlichen Gewinn-
quelle reichlichen Ersatz in dem lange angebahnten und immer mehr aufblühenden

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[[1024]/1044] Liverpool. Nächst London ist Liverpool am Mersey die bedeutendste Stadt Englands, der zweite Hafen Europas. Hier concentrirt sich der Verkehr des westlichen Englands und von hier aus werden nach allen Richtungen der Welt Verbindungen mit Dampf und Segel unterhalten. Liverpool verdankt diese Stellung in erster Linie der günstigen Lage Amerika gegenüber. Darum beginnt sein Stern auch erst im XVIII. Jahrhundert zu leuchten, als der europäisch-amerikanische Handel Bedeutung gewonnen hatte. Kurz vor der Eroberung durch die Normannen wird zwar schon dieses Ortes in einem angelsächsischen Documente Erwähnung gethan, aber zu irgend einer Bedeutung konnte sich derselbe bis zum Ende des XVII. Jahrhunderts nicht emporringen. Es war und blieb ein kleines Städtchen, das auch in der Geschichte seines Landes keine Rolle spielte. Die Leute von Liverpool betrieben den kleinen Küstenhandel mit dem benachbarten Irland und der Insel Man, führten später auch Salz aus Cheshire aus und schlugen sich derart gut und schlecht, wie es eben kam, durch. Eine wesentliche Aenderung trat erst durch die Entwicklung der amerikanischen Colonien ein, da Liverpool eine für den Handel mit denselben günstige Lage besass. Anfangs war das wichtigste Handelsobject, mit welchem die Liverpooler Kaufleute ihren Reichthum begründeten, „Sclaven“. Sie brachten mit ihren Schiffen gewisse gangbare Waaren nach der Westküste von Afrika und führten von dort Sclaven nach Nordamerika und Westindien, um amerikanische Producte als Rückfracht nach England zu schaffen. Diese Art des Handels er- wies sich als eine vortreffliche Quelle des Erwerbes, und man kann den Liver- poolern damaliger Zeit nicht nachrühmen, dass sie bei dem Sclavengeschäfte mit besonderer Rücksicht vorgegangen wären, vielmehr bemühten sie sich, ihre Con- currenten in diesem Zweige, die Kaufleute von Bristol, noch an Energie zu über- treffen. Unter dem Zeichen dieses wenig erbaulichen Geschäftes blühte die Stadt auf und erreichte schon im Laufe des XVIII. Jahrhunderts eine ganz ansehnliche Bedeutung. Sie zählte am Ausgange 77.000 Einwohner, während sie zu Beginn desselben nur 6000 beherbergte und der Hafen Alles in Allem nur über 84 eigene Schiffe verfügte. Als dann zu Anfang unseres Jahrhunderts der Sclaven- handel in England und seinen Colonien verboten ward, war Liverpools Stellung so gefestigt, dass es für den Entgang seiner bisherigen wesentlichen Gewinn- quelle reichlichen Ersatz in dem lange angebahnten und immer mehr aufblühenden

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. [1024]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/1044>, abgerufen am 25.04.2024.