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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Constantinopel.

Wie ein Zauberbild von bestrickender Grossartigkeit und mär-
chenhafter Pracht entsteigt Constantinopel, die "Weltmutter" der
orientalischen Dichter, in unzähligen phantastischen Formen den Fluten
des Bosporus. Wie ein wogendes Meer überflutet die regellose Häuser-
masse weit und breit die leichtbewegten Bodenwellen des europäischen
Küstensaumes, endlos über Höhen und Niederungen ziehend. Dazwi-
schen fesseln die Grossbauten der herrlichen Moscheen mit souveräner
Gewalt den Blick des Beschauers, hunderte hoher und schlanker
Minarete ragen da und dort, einzeln oder in auffallenden Gruppen
gesondert, in die Lüfte, und die prunkvollen Marmorpaläste des Padi-
schah spiegeln die gleissenden Fronten im Meere. Dazu die herrlichen
Gärten an der Serailspitze und gleich daneben als Gegenstück die
düsteren halbverfallenen Festungsmauern von Stambul mit dem ge-
heimnissvollen Cypressenwalde im Westen, wo die Todtenstadt das
ewige Reich des Jenseits verkörpert, dann gegen Osten hin das zu
Glanz und Reichthum aufstrebende Pera, die volkreiche Frankenstadt
mit dem zu ihren Füssen lagernden Geschäftsviertel von Galata, an
dessen Quais der lebensvolle Hafenverkehr pulsirt, und darüber wie
ein Wahrzeichen aus alter Zeit die dunkle robuste Gestalt des ge-
nuesischen Thurmes, der weit hinausblickt gegen Marmara und über
die ganze vielfach gewundene Wasserstrasse des ehrwürdigen Bos-
porus, an dessen lachenden Ufern Ortschaft an Ortschaft sich drängt;
fürwahr ein majestätisches Bild der wunderbaren Metropole des
Islams, die in nahezu eintausend Moscheen das Lob Allahs singt.

Ueberrascht und entzückt empfangen wir im Anblicke des viel
besungenen und viel geschmähten Byzanz einen der mächtigsten Ein-
drücke, deren die Menschenseele fähig ist, denn hier an der classi-
schen Route der Argonauten haben nicht allein Natur und Menschen-
hand zur Schaffung einer Fülle von Reizen sich vereinigt, die unsere
Sinne umfangen, sondern es durchdringt uns an dieser Stätte mit

Constantinopel.

Wie ein Zauberbild von bestrickender Grossartigkeit und mär-
chenhafter Pracht entsteigt Constantinopel, die „Weltmutter“ der
orientalischen Dichter, in unzähligen phantastischen Formen den Fluten
des Bosporus. Wie ein wogendes Meer überflutet die regellose Häuser-
masse weit und breit die leichtbewegten Bodenwellen des europäischen
Küstensaumes, endlos über Höhen und Niederungen ziehend. Dazwi-
schen fesseln die Grossbauten der herrlichen Moscheen mit souveräner
Gewalt den Blick des Beschauers, hunderte hoher und schlanker
Minarete ragen da und dort, einzeln oder in auffallenden Gruppen
gesondert, in die Lüfte, und die prunkvollen Marmorpaläste des Padi-
schah spiegeln die gleissenden Fronten im Meere. Dazu die herrlichen
Gärten an der Serailspitze und gleich daneben als Gegenstück die
düsteren halbverfallenen Festungsmauern von Stambul mit dem ge-
heimnissvollen Cypressenwalde im Westen, wo die Todtenstadt das
ewige Reich des Jenseits verkörpert, dann gegen Osten hin das zu
Glanz und Reichthum aufstrebende Pera, die volkreiche Frankenstadt
mit dem zu ihren Füssen lagernden Geschäftsviertel von Galata, an
dessen Quais der lebensvolle Hafenverkehr pulsirt, und darüber wie
ein Wahrzeichen aus alter Zeit die dunkle robuste Gestalt des ge-
nuesischen Thurmes, der weit hinausblickt gegen Marmara und über
die ganze vielfach gewundene Wasserstrasse des ehrwürdigen Bos-
porus, an dessen lachenden Ufern Ortschaft an Ortschaft sich drängt;
fürwahr ein majestätisches Bild der wunderbaren Metropole des
Islams, die in nahezu eintausend Moscheen das Lob Allahs singt.

Ueberrascht und entzückt empfangen wir im Anblicke des viel
besungenen und viel geschmähten Byzanz einen der mächtigsten Ein-
drücke, deren die Menschenseele fähig ist, denn hier an der classi-
schen Route der Argonauten haben nicht allein Natur und Menschen-
hand zur Schaffung einer Fülle von Reizen sich vereinigt, die unsere
Sinne umfangen, sondern es durchdringt uns an dieser Stätte mit

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[[108]/0128] Constantinopel. Wie ein Zauberbild von bestrickender Grossartigkeit und mär- chenhafter Pracht entsteigt Constantinopel, die „Weltmutter“ der orientalischen Dichter, in unzähligen phantastischen Formen den Fluten des Bosporus. Wie ein wogendes Meer überflutet die regellose Häuser- masse weit und breit die leichtbewegten Bodenwellen des europäischen Küstensaumes, endlos über Höhen und Niederungen ziehend. Dazwi- schen fesseln die Grossbauten der herrlichen Moscheen mit souveräner Gewalt den Blick des Beschauers, hunderte hoher und schlanker Minarete ragen da und dort, einzeln oder in auffallenden Gruppen gesondert, in die Lüfte, und die prunkvollen Marmorpaläste des Padi- schah spiegeln die gleissenden Fronten im Meere. Dazu die herrlichen Gärten an der Serailspitze und gleich daneben als Gegenstück die düsteren halbverfallenen Festungsmauern von Stambul mit dem ge- heimnissvollen Cypressenwalde im Westen, wo die Todtenstadt das ewige Reich des Jenseits verkörpert, dann gegen Osten hin das zu Glanz und Reichthum aufstrebende Pera, die volkreiche Frankenstadt mit dem zu ihren Füssen lagernden Geschäftsviertel von Galata, an dessen Quais der lebensvolle Hafenverkehr pulsirt, und darüber wie ein Wahrzeichen aus alter Zeit die dunkle robuste Gestalt des ge- nuesischen Thurmes, der weit hinausblickt gegen Marmara und über die ganze vielfach gewundene Wasserstrasse des ehrwürdigen Bos- porus, an dessen lachenden Ufern Ortschaft an Ortschaft sich drängt; fürwahr ein majestätisches Bild der wunderbaren Metropole des Islams, die in nahezu eintausend Moscheen das Lob Allahs singt. Ueberrascht und entzückt empfangen wir im Anblicke des viel besungenen und viel geschmähten Byzanz einen der mächtigsten Ein- drücke, deren die Menschenseele fähig ist, denn hier an der classi- schen Route der Argonauten haben nicht allein Natur und Menschen- hand zur Schaffung einer Fülle von Reizen sich vereinigt, die unsere Sinne umfangen, sondern es durchdringt uns an dieser Stätte mit

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. [108]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/128>, abgerufen am 29.03.2024.