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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Antwerpen.

Nach einer Sage soll in grauer Vorzeit an der Stelle des heutigen
Antwerpen eine Burg gestanden sein, welche der ebenso grausame
wie habgierige Riese Druon Antigon bewohnte. Dieser behob von
allen die Schelde flussauf- oder abwärts passirenden Waaren einen
Zoll. Wehe dem Handelsmanne, der zu zahlen sich weigerte; ihm
hieb der Riese die rechte Hand ab und warf diese in den Fluss. So
trieb er es lange Zeit, bis Salvius Brabo, ein Statthalter Caesars,
erschien, die Burg erstürmte und den Riesen enthauptete. Obgleich
in dieser Legende eigentlich das Sinnbild der schon im Alterthume
ganz besonders wichtigen Lage Antwerpens zu suchen ist, welche den
Besitzer zum Herrn und Gebieter eines ganzen Landes machte, so
fehlte es nicht an Versuchen, die Entstehung des Namens Antwerpen
aus der Sage selbst ableiten zu wollen, denn die Worte "Hand" und
"werpen", d. i. werfen, waren aus der Erzählung leicht herauszufinden,
und ebenso schienen die Burg und die Hände des Stadtwappens von
Antwerpen auf die Grausamkeit des mythischen Riesen hinzuweisen.

Mit grösserer Berechtigung darf indess die Ableitung des Namens
von Werf oder Werp, d. i. Anlegeplatz und im weitern Sinne Hafen,
geltend gemacht werden, denn die Ansiedlung an der Scheldemündung
am Ende des grossartigen, tief eingeschnittenen Golfes, den seither
die massenhaften Ablagerungen der Schelde und ihrer Nebenflüsse
einengten, bedurfte offenbar, weil weit und breit ein ähnlich wichtiger
Hafenort nicht bestand, keiner anderen Bezeichnung als der Worte
"ane de werp", d. i. am Hafen, woraus der Name Antwerpen ent-
standen sein mochte.

Unter allen Emporien der Nordsee, selbst Hamburg inbegriffen,
besitzt Antwerpen als Welthandelsplatz die günstigste geographische
Lage; vermöge ihrer Verbindung mit dem grossartigen Netze der
schiffbaren Wasserstrassen, welche Belgien durchziehen und das Land
mit Frankreich, Holland und Deutschland verbinden, sowie als hervor-

Antwerpen.

Nach einer Sage soll in grauer Vorzeit an der Stelle des heutigen
Antwerpen eine Burg gestanden sein, welche der ebenso grausame
wie habgierige Riese Druon Antigon bewohnte. Dieser behob von
allen die Schelde flussauf- oder abwärts passirenden Waaren einen
Zoll. Wehe dem Handelsmanne, der zu zahlen sich weigerte; ihm
hieb der Riese die rechte Hand ab und warf diese in den Fluss. So
trieb er es lange Zeit, bis Salvius Brabo, ein Statthalter Caesars,
erschien, die Burg erstürmte und den Riesen enthauptete. Obgleich
in dieser Legende eigentlich das Sinnbild der schon im Alterthume
ganz besonders wichtigen Lage Antwerpens zu suchen ist, welche den
Besitzer zum Herrn und Gebieter eines ganzen Landes machte, so
fehlte es nicht an Versuchen, die Entstehung des Namens Antwerpen
aus der Sage selbst ableiten zu wollen, denn die Worte „Hand“ und
„werpen“, d. i. werfen, waren aus der Erzählung leicht herauszufinden,
und ebenso schienen die Burg und die Hände des Stadtwappens von
Antwerpen auf die Grausamkeit des mythischen Riesen hinzuweisen.

Mit grösserer Berechtigung darf indess die Ableitung des Namens
von Werf oder Werp, d. i. Anlegeplatz und im weitern Sinne Hafen,
geltend gemacht werden, denn die Ansiedlung an der Scheldemündung
am Ende des grossartigen, tief eingeschnittenen Golfes, den seither
die massenhaften Ablagerungen der Schelde und ihrer Nebenflüsse
einengten, bedurfte offenbar, weil weit und breit ein ähnlich wichtiger
Hafenort nicht bestand, keiner anderen Bezeichnung als der Worte
„ane de werp“, d. i. am Hafen, woraus der Name Antwerpen ent-
standen sein mochte.

Unter allen Emporien der Nordsee, selbst Hamburg inbegriffen,
besitzt Antwerpen als Welthandelsplatz die günstigste geographische
Lage; vermöge ihrer Verbindung mit dem grossartigen Netze der
schiffbaren Wasserstrassen, welche Belgien durchziehen und das Land
mit Frankreich, Holland und Deutschland verbinden, sowie als hervor-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. [647]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/667>, abgerufen am 23.04.2024.