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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Rotterdam.

Der weitgedehnten holländischen Tiefebene hat die Natur den
Reiz der Abwechslung versagt. Wie die bestrickende Schönheit des
Golfes von Neapel, das grossartige Bild Constantinopels, die gewal-
tige Natur des Hochgebirges oder die Herrlichkeit von Rio Janeiro
in unserer Vorstellung leben, ebenso ist uns die völlig heroische Ein-
tönigkeit der holländischen Landschaft bekannt. Hier scheint die
Natur sich Enthaltsamkeit auferlegt zu haben, aber Fleiss und Künstler-
hand haben gleichwohl den Boden mit dem Reize der Poesie geziert,
und holländische Art hat ihn geadelt.

So klein das Land, so gross ist seine Geschichte, so bedeu-
tend seine Stellung auf allen Gebieten des menschlichen Schaffens.

Holland ist nicht allein das Land der Tulpen und der Häringe,
sondern auch des Fleisses und der zähen Ausdauer, und die lebens-
frohen Söhne dieses den Wellen abgerungenen Bodens sind ebenso
tüchtig am Pfluge wie auf hoher See, ebenso gross als Entdecker
wie als Seehelden. Ihr Handel war Welthandel, ihre Kunst ein Ele-
ment des Glanzes wie ihre Leistung auf rein wissenschaftlichem
Gebiete.

Mit bewunderungswürdiger Zähigkeit vertheidigt der Holländer
die Deiche und Polder seines geliebten Vaterlandes gegen die zer-
störende Gewalt des Meeres, und mit Stolz gedenkt er des althollän-
dischen Spruches: "Gott hat die See, wir die Küsten geschaffen."

Wie frivol musste Napoleon I. dem tüchtigen Volke erscheinen
als er Holland "für eine Anschwemmung der französischen Flüsse"
erklärte und der ehrwürdigen Tradition spottend das Land mit seinem
Reiche vereinigte!

In seinen Schutzbauten und Canälen hat Holland eine enorme
Arbeit aufgespeichert. Namentlich ist der Reichthum an Canälen be-
wunderungswürdig. Was die alte Republik Venedig auf dem Gebiete
der künstlichen Wasserstrassen geleistet hat, erscheint mit dem hol-

Rotterdam.

Der weitgedehnten holländischen Tiefebene hat die Natur den
Reiz der Abwechslung versagt. Wie die bestrickende Schönheit des
Golfes von Neapel, das grossartige Bild Constantinopels, die gewal-
tige Natur des Hochgebirges oder die Herrlichkeit von Rio Janeiro
in unserer Vorstellung leben, ebenso ist uns die völlig heroische Ein-
tönigkeit der holländischen Landschaft bekannt. Hier scheint die
Natur sich Enthaltsamkeit auferlegt zu haben, aber Fleiss und Künstler-
hand haben gleichwohl den Boden mit dem Reize der Poesie geziert,
und holländische Art hat ihn geadelt.

So klein das Land, so gross ist seine Geschichte, so bedeu-
tend seine Stellung auf allen Gebieten des menschlichen Schaffens.

Holland ist nicht allein das Land der Tulpen und der Häringe,
sondern auch des Fleisses und der zähen Ausdauer, und die lebens-
frohen Söhne dieses den Wellen abgerungenen Bodens sind ebenso
tüchtig am Pfluge wie auf hoher See, ebenso gross als Entdecker
wie als Seehelden. Ihr Handel war Welthandel, ihre Kunst ein Ele-
ment des Glanzes wie ihre Leistung auf rein wissenschaftlichem
Gebiete.

Mit bewunderungswürdiger Zähigkeit vertheidigt der Holländer
die Deiche und Polder seines geliebten Vaterlandes gegen die zer-
störende Gewalt des Meeres, und mit Stolz gedenkt er des althollän-
dischen Spruches: „Gott hat die See, wir die Küsten geschaffen.“

Wie frivol musste Napoleon I. dem tüchtigen Volke erscheinen
als er Holland „für eine Anschwemmung der französischen Flüsse“
erklärte und der ehrwürdigen Tradition spottend das Land mit seinem
Reiche vereinigte!

In seinen Schutzbauten und Canälen hat Holland eine enorme
Arbeit aufgespeichert. Namentlich ist der Reichthum an Canälen be-
wunderungswürdig. Was die alte Republik Venedig auf dem Gebiete
der künstlichen Wasserstrassen geleistet hat, erscheint mit dem hol-

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[[671]/0691] Rotterdam. Der weitgedehnten holländischen Tiefebene hat die Natur den Reiz der Abwechslung versagt. Wie die bestrickende Schönheit des Golfes von Neapel, das grossartige Bild Constantinopels, die gewal- tige Natur des Hochgebirges oder die Herrlichkeit von Rio Janeiro in unserer Vorstellung leben, ebenso ist uns die völlig heroische Ein- tönigkeit der holländischen Landschaft bekannt. Hier scheint die Natur sich Enthaltsamkeit auferlegt zu haben, aber Fleiss und Künstler- hand haben gleichwohl den Boden mit dem Reize der Poesie geziert, und holländische Art hat ihn geadelt. So klein das Land, so gross ist seine Geschichte, so bedeu- tend seine Stellung auf allen Gebieten des menschlichen Schaffens. Holland ist nicht allein das Land der Tulpen und der Häringe, sondern auch des Fleisses und der zähen Ausdauer, und die lebens- frohen Söhne dieses den Wellen abgerungenen Bodens sind ebenso tüchtig am Pfluge wie auf hoher See, ebenso gross als Entdecker wie als Seehelden. Ihr Handel war Welthandel, ihre Kunst ein Ele- ment des Glanzes wie ihre Leistung auf rein wissenschaftlichem Gebiete. Mit bewunderungswürdiger Zähigkeit vertheidigt der Holländer die Deiche und Polder seines geliebten Vaterlandes gegen die zer- störende Gewalt des Meeres, und mit Stolz gedenkt er des althollän- dischen Spruches: „Gott hat die See, wir die Küsten geschaffen.“ Wie frivol musste Napoleon I. dem tüchtigen Volke erscheinen als er Holland „für eine Anschwemmung der französischen Flüsse“ erklärte und der ehrwürdigen Tradition spottend das Land mit seinem Reiche vereinigte! In seinen Schutzbauten und Canälen hat Holland eine enorme Arbeit aufgespeichert. Namentlich ist der Reichthum an Canälen be- wunderungswürdig. Was die alte Republik Venedig auf dem Gebiete der künstlichen Wasserstrassen geleistet hat, erscheint mit dem hol-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. [671]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/691>, abgerufen am 29.03.2024.