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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Dover.

An der engsten Stelle des englischen Canales, dort wo die
Küsten von England und Frankreich so nahe aneinandertreten, dass
man bei hellem Lichte von der einen aus die andere erblickt, liegt auf
den scharfen, kreidigen Formationen der englischen Küste die Stadt
Dover. Sie ist von altersher berühmt, weil der kürzeste Weg vom
Festlande über Calais nach England führt und man bei gutem Wetter
mittelst moderner Dampfer in einer Stunde die Ueberfahrt zurücklegen
kann. Freilich ist diese Ueberfahrt trotz ihrer Kürze doch auch
übel berufen, denn an jener engen Stelle drängen die Wellen des
Canales gewaltig der Nordsee zu und setzen das Schiff, welches sie
durchqueren muss, in oft gar arge Bewegung. Glücklich darum der
Reisende, welcher ohne dem Meeresgotte seinen Tribut entrichtet
zu haben, wieder festen Boden unter seinen Füssen fühlt. Wie ein
rettender Hort erscheint jedem von der Seekrankheit Gepeinigten
der Landungsdamm von Dover, allwo der Dampfer anlegt und die
Passagiere ausschifft.

Dovers Bedeutung beruht heute nicht so sehr in seiner Handels-
thätigkeit, als in der Vermittlung der grossen Passage von Reisenden.
Dann hat der Punkt bis heute seine strategische Wichtigkeit nicht
nur nicht eingebüsst, sondern er hat eher an Bedeutung gewonnen,
seit die Ausführbarkeit eines Tunnels durch den bausicheren Meeres-
grund nach den Resultaten der Probebohrung über alle Zweifel
erhaben ist und der Ausführung dieses commerziell so wichtigen
Bauwerkes nur militärische Bedenken der Engländer im Wege stehen.

Hier wollte Cäsar, als er im Jahre 54 v. Chr. seine erste Expedition gegen
Britannien unternahm, landen, musste jedoch, weil die Briten in starker Wehr
dort versammelt waren, davon abstehen und eine andere Stelle, bei Deal, zur
Ausschiffung wählen. Daraus folgt, dass schon damals Dover ein bekannter Ort
war. Die Römer erkannten auch sofort nach Eroberung der Insel die Wichtigkeit

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 122
Dover.

An der engsten Stelle des englischen Canales, dort wo die
Küsten von England und Frankreich so nahe aneinandertreten, dass
man bei hellem Lichte von der einen aus die andere erblickt, liegt auf
den scharfen, kreidigen Formationen der englischen Küste die Stadt
Dover. Sie ist von altersher berühmt, weil der kürzeste Weg vom
Festlande über Calais nach England führt und man bei gutem Wetter
mittelst moderner Dampfer in einer Stunde die Ueberfahrt zurücklegen
kann. Freilich ist diese Ueberfahrt trotz ihrer Kürze doch auch
übel berufen, denn an jener engen Stelle drängen die Wellen des
Canales gewaltig der Nordsee zu und setzen das Schiff, welches sie
durchqueren muss, in oft gar arge Bewegung. Glücklich darum der
Reisende, welcher ohne dem Meeresgotte seinen Tribut entrichtet
zu haben, wieder festen Boden unter seinen Füssen fühlt. Wie ein
rettender Hort erscheint jedem von der Seekrankheit Gepeinigten
der Landungsdamm von Dover, allwo der Dampfer anlegt und die
Passagiere ausschifft.

Dovers Bedeutung beruht heute nicht so sehr in seiner Handels-
thätigkeit, als in der Vermittlung der grossen Passage von Reisenden.
Dann hat der Punkt bis heute seine strategische Wichtigkeit nicht
nur nicht eingebüsst, sondern er hat eher an Bedeutung gewonnen,
seit die Ausführbarkeit eines Tunnels durch den bausicheren Meeres-
grund nach den Resultaten der Probebohrung über alle Zweifel
erhaben ist und der Ausführung dieses commerziell so wichtigen
Bauwerkes nur militärische Bedenken der Engländer im Wege stehen.

Hier wollte Cäsar, als er im Jahre 54 v. Chr. seine erste Expedition gegen
Britannien unternahm, landen, musste jedoch, weil die Briten in starker Wehr
dort versammelt waren, davon abstehen und eine andere Stelle, bei Deal, zur
Ausschiffung wählen. Daraus folgt, dass schon damals Dover ein bekannter Ort
war. Die Römer erkannten auch sofort nach Eroberung der Insel die Wichtigkeit

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 122
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[[969]/0989] Dover. An der engsten Stelle des englischen Canales, dort wo die Küsten von England und Frankreich so nahe aneinandertreten, dass man bei hellem Lichte von der einen aus die andere erblickt, liegt auf den scharfen, kreidigen Formationen der englischen Küste die Stadt Dover. Sie ist von altersher berühmt, weil der kürzeste Weg vom Festlande über Calais nach England führt und man bei gutem Wetter mittelst moderner Dampfer in einer Stunde die Ueberfahrt zurücklegen kann. Freilich ist diese Ueberfahrt trotz ihrer Kürze doch auch übel berufen, denn an jener engen Stelle drängen die Wellen des Canales gewaltig der Nordsee zu und setzen das Schiff, welches sie durchqueren muss, in oft gar arge Bewegung. Glücklich darum der Reisende, welcher ohne dem Meeresgotte seinen Tribut entrichtet zu haben, wieder festen Boden unter seinen Füssen fühlt. Wie ein rettender Hort erscheint jedem von der Seekrankheit Gepeinigten der Landungsdamm von Dover, allwo der Dampfer anlegt und die Passagiere ausschifft. Dovers Bedeutung beruht heute nicht so sehr in seiner Handels- thätigkeit, als in der Vermittlung der grossen Passage von Reisenden. Dann hat der Punkt bis heute seine strategische Wichtigkeit nicht nur nicht eingebüsst, sondern er hat eher an Bedeutung gewonnen, seit die Ausführbarkeit eines Tunnels durch den bausicheren Meeres- grund nach den Resultaten der Probebohrung über alle Zweifel erhaben ist und der Ausführung dieses commerziell so wichtigen Bauwerkes nur militärische Bedenken der Engländer im Wege stehen. Hier wollte Cäsar, als er im Jahre 54 v. Chr. seine erste Expedition gegen Britannien unternahm, landen, musste jedoch, weil die Briten in starker Wehr dort versammelt waren, davon abstehen und eine andere Stelle, bei Deal, zur Ausschiffung wählen. Daraus folgt, dass schon damals Dover ein bekannter Ort war. Die Römer erkannten auch sofort nach Eroberung der Insel die Wichtigkeit Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 122

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. [969]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/989>, abgerufen am 25.04.2024.