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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Das Mittelmeerbecken.
Boden vollzogen und gingen im tiefen Schweigen der Vergangenheit
unter, bevor die Namen Carthago, Athen oder Rom zum erstenmale
erklangen. Nur das alte Egypten und die vorassyrischen Reiche standen
der syrischen Culturwelt zur Seite.

Diese erblühte schon frühzeitig in den fruchtbaren Thälern des
Libanon und an den sonnigen Gestaden der Meeresküste, denn hieher
wälzte sich ein Arm des Völkerstromes aus dem Mutterlande Indien,
in jener fernen Vergangenheit, die uns selbst das älteste classische
Geschichtswerk, die heilige Schrift der Juden, nicht aufzuhellen
vermag.

Die Bibel nennt die Kanaaniter, das sind die handelsfähigen Phönikier
als Urbewohner des Küstenstriches zwischen dem Libanon und dem Meere.
Südwärts im heutigen Palästina lebten andere semitische, in viele Stämme
getheilte Völker, die mit den asiatischen und afrikanischen Reichen zwar in enger
Fühlung standen, aber, zu einem gemeinsamen Staatswesen nicht vereinigt, nur
geringe Macht besassen. Daher fiel das Land jedem Eroberer, der in Westasien
zur Herrschaft gelangte, als Beute zu Füssen. Die Assyrer, Babylonier, Meder,
Makedonier, Römer, Egypter und Araber, Saracenen und Osmanen, all diese
Völker wälzten ihre Heeresmassen in das einstmals gelobte Land, dessen Wohl-
stand vernichtend.

Zahllose, mitunter kolossale Trümmerfelder, die ehrwürdigen Ueberreste
mächtiger und glanzvoller Städte, deuten auf die entsetzlichen Schicksale fleissi-
ger, erwerbsamer Völkerschaften, die dort gelebt und gehofft. An welchem Punkte
des Landes wir die Erinnerung an seine Vergangenheit aufgreifen mögen, überall
begegnen wir den Spuren gewaltiger politischer Stürme, unter deren Macht selbst
grosse und gewaltige Reiche in Schutt und Trümmer sanken.

Gedenken wir der grossen phönikischen Zeit, so glänzen uns die Namen
Sidon und Tyrus als jene der damals reichsten Handels- und Industriestädte
Phönikiens entgegen, von wo aus die Colonisirung der Mittelmeerküsten stattge-
funden hatte; ja Schiffe dieser Emporien drangen selbst im Atlantischen Ocean
weit nach Norden und Süden vor.

Sidon, das heutige Saida, war die ältere der beiden Königsstädte, die erst
um 1100 v. Chr. durch den Glanz von Tyrus verdunkelt wurde. Von grosser
Ausdehnung, mit herrlichen Bauwerken geschmückt, waren diese Metropolen die
Hauptsitze einer blühenden Industrie in Metallarbeiten, Glaswaaren, Bern-
stein, Purpurfärberei; die Kunstrichtung kam durch Bildhauerei in Elfenbein,
Ebenholz und Stein zur Geltung. Grossartige Tempel des Baal und Moloch, der
Astarte und anderer unheimlicher Gottheiten, welche Phönikien mit den Babylo-
niern gemeinsam verehrte, öffneten die weiten Hallen zu prunk- und geräusch-
vollen Festlichkeiten, bei welchen Liebeslust mit den Schauern des Todes sich
mengte. Moloch, der Feuergott, Astarte, die Göttin der verderblichen Naturkraft,
des Todes und Krieges, beide die schauerlichsten Götzen, welche die Phantasie
des Menschen jemals zu ersinnen vermochte, empfingen in ihren rauchgeschwärzten
Haupttempeln die oft sehr zahlreichen Kriegsgefangenen -- zum qualvollen
Feuertode.


Das Mittelmeerbecken.
Boden vollzogen und gingen im tiefen Schweigen der Vergangenheit
unter, bevor die Namen Carthago, Athen oder Rom zum erstenmale
erklangen. Nur das alte Egypten und die vorassyrischen Reiche standen
der syrischen Culturwelt zur Seite.

Diese erblühte schon frühzeitig in den fruchtbaren Thälern des
Libanon und an den sonnigen Gestaden der Meeresküste, denn hieher
wälzte sich ein Arm des Völkerstromes aus dem Mutterlande Indien,
in jener fernen Vergangenheit, die uns selbst das älteste classische
Geschichtswerk, die heilige Schrift der Juden, nicht aufzuhellen
vermag.

Die Bibel nennt die Kanaaniter, das sind die handelsfähigen Phönikier
als Urbewohner des Küstenstriches zwischen dem Libanon und dem Meere.
Südwärts im heutigen Palästina lebten andere semitische, in viele Stämme
getheilte Völker, die mit den asiatischen und afrikanischen Reichen zwar in enger
Fühlung standen, aber, zu einem gemeinsamen Staatswesen nicht vereinigt, nur
geringe Macht besassen. Daher fiel das Land jedem Eroberer, der in Westasien
zur Herrschaft gelangte, als Beute zu Füssen. Die Assyrer, Babylonier, Meder,
Makedonier, Römer, Egypter und Araber, Saracenen und Osmanen, all diese
Völker wälzten ihre Heeresmassen in das einstmals gelobte Land, dessen Wohl-
stand vernichtend.

Zahllose, mitunter kolossale Trümmerfelder, die ehrwürdigen Ueberreste
mächtiger und glanzvoller Städte, deuten auf die entsetzlichen Schicksale fleissi-
ger, erwerbsamer Völkerschaften, die dort gelebt und gehofft. An welchem Punkte
des Landes wir die Erinnerung an seine Vergangenheit aufgreifen mögen, überall
begegnen wir den Spuren gewaltiger politischer Stürme, unter deren Macht selbst
grosse und gewaltige Reiche in Schutt und Trümmer sanken.

Gedenken wir der grossen phönikischen Zeit, so glänzen uns die Namen
Sidon und Tyrus als jene der damals reichsten Handels- und Industriestädte
Phönikiens entgegen, von wo aus die Colonisirung der Mittelmeerküsten stattge-
funden hatte; ja Schiffe dieser Emporien drangen selbst im Atlantischen Ocean
weit nach Norden und Süden vor.

Sidon, das heutige Saïda, war die ältere der beiden Königsstädte, die erst
um 1100 v. Chr. durch den Glanz von Tyrus verdunkelt wurde. Von grosser
Ausdehnung, mit herrlichen Bauwerken geschmückt, waren diese Metropolen die
Hauptsitze einer blühenden Industrie in Metallarbeiten, Glaswaaren, Bern-
stein, Purpurfärberei; die Kunstrichtung kam durch Bildhauerei in Elfenbein,
Ebenholz und Stein zur Geltung. Grossartige Tempel des Baal und Moloch, der
Astarte und anderer unheimlicher Gottheiten, welche Phönikien mit den Babylo-
niern gemeinsam verehrte, öffneten die weiten Hallen zu prunk- und geräusch-
vollen Festlichkeiten, bei welchen Liebeslust mit den Schauern des Todes sich
mengte. Moloch, der Feuergott, Astarte, die Göttin der verderblichen Naturkraft,
des Todes und Krieges, beide die schauerlichsten Götzen, welche die Phantasie
des Menschen jemals zu ersinnen vermochte, empfingen in ihren rauchgeschwärzten
Haupttempeln die oft sehr zahlreichen Kriegsgefangenen — zum qualvollen
Feuertode.


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[230/0250] Das Mittelmeerbecken. Boden vollzogen und gingen im tiefen Schweigen der Vergangenheit unter, bevor die Namen Carthago, Athen oder Rom zum erstenmale erklangen. Nur das alte Egypten und die vorassyrischen Reiche standen der syrischen Culturwelt zur Seite. Diese erblühte schon frühzeitig in den fruchtbaren Thälern des Libanon und an den sonnigen Gestaden der Meeresküste, denn hieher wälzte sich ein Arm des Völkerstromes aus dem Mutterlande Indien, in jener fernen Vergangenheit, die uns selbst das älteste classische Geschichtswerk, die heilige Schrift der Juden, nicht aufzuhellen vermag. Die Bibel nennt die Kanaaniter, das sind die handelsfähigen Phönikier als Urbewohner des Küstenstriches zwischen dem Libanon und dem Meere. Südwärts im heutigen Palästina lebten andere semitische, in viele Stämme getheilte Völker, die mit den asiatischen und afrikanischen Reichen zwar in enger Fühlung standen, aber, zu einem gemeinsamen Staatswesen nicht vereinigt, nur geringe Macht besassen. Daher fiel das Land jedem Eroberer, der in Westasien zur Herrschaft gelangte, als Beute zu Füssen. Die Assyrer, Babylonier, Meder, Makedonier, Römer, Egypter und Araber, Saracenen und Osmanen, all diese Völker wälzten ihre Heeresmassen in das einstmals gelobte Land, dessen Wohl- stand vernichtend. Zahllose, mitunter kolossale Trümmerfelder, die ehrwürdigen Ueberreste mächtiger und glanzvoller Städte, deuten auf die entsetzlichen Schicksale fleissi- ger, erwerbsamer Völkerschaften, die dort gelebt und gehofft. An welchem Punkte des Landes wir die Erinnerung an seine Vergangenheit aufgreifen mögen, überall begegnen wir den Spuren gewaltiger politischer Stürme, unter deren Macht selbst grosse und gewaltige Reiche in Schutt und Trümmer sanken. Gedenken wir der grossen phönikischen Zeit, so glänzen uns die Namen Sidon und Tyrus als jene der damals reichsten Handels- und Industriestädte Phönikiens entgegen, von wo aus die Colonisirung der Mittelmeerküsten stattge- funden hatte; ja Schiffe dieser Emporien drangen selbst im Atlantischen Ocean weit nach Norden und Süden vor. Sidon, das heutige Saïda, war die ältere der beiden Königsstädte, die erst um 1100 v. Chr. durch den Glanz von Tyrus verdunkelt wurde. Von grosser Ausdehnung, mit herrlichen Bauwerken geschmückt, waren diese Metropolen die Hauptsitze einer blühenden Industrie in Metallarbeiten, Glaswaaren, Bern- stein, Purpurfärberei; die Kunstrichtung kam durch Bildhauerei in Elfenbein, Ebenholz und Stein zur Geltung. Grossartige Tempel des Baal und Moloch, der Astarte und anderer unheimlicher Gottheiten, welche Phönikien mit den Babylo- niern gemeinsam verehrte, öffneten die weiten Hallen zu prunk- und geräusch- vollen Festlichkeiten, bei welchen Liebeslust mit den Schauern des Todes sich mengte. Moloch, der Feuergott, Astarte, die Göttin der verderblichen Naturkraft, des Todes und Krieges, beide die schauerlichsten Götzen, welche die Phantasie des Menschen jemals zu ersinnen vermochte, empfingen in ihren rauchgeschwärzten Haupttempeln die oft sehr zahlreichen Kriegsgefangenen — zum qualvollen Feuertode.

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/250>, abgerufen am 24.04.2024.