Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lémery, Nicolas: Vollständiges Materialien-Lexicon. Leipzig, 1721.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] über kleine Höltzer, die in grossen irdenen Töpfen veste angemachet sind, so daß das Bley gleichsam wie schwebet; alsdann schütten sie Eßig auf den Boden der Töpfe, und, wann sie mit Bleye angefüllet sind, verstopfen und verwahren sie dieselben gantz genau, und setzen sie in den Mist, oder aber wo die Wärme sonsten darzu kommen kan, damit der Eßig sich erhitze und einen Dampf von sich geben möge, der die Materie gantz unvermercket dünne machet und zerfrist. Wann nun die Töpfe vier Wochen lang im Miste gestanden, so nehmen sie dieselbigen heraus, und öffnen sie, da befinden sie, daß alle diese bleyernen Blätter in eine weisse, gar brüchige Materie verwandelt worden sind, und das wird auf frantzösisch blanc de plomb, auf teutsch, Bleyweiß genannt: die Blätter werden zerbrochen und von den Mahlern gebrauchet. Sie sollen erlesen werden, wann sie zarte und schön rein, und auswendig, wie inwendig sein weiß sehen.

Das Bleyweiß reiben sie auf einem Reibesteine mit etwas Wasser ab, und machen einen Teig davon, aus diesem aber, in gewissen Formen, spitzige, wie kleine Pyramiden gestaltete Stücken, welche sie trocken werden lassen, damit sie können versendet werden. Sie wickeln dieselben in blau Papier viel lieber, als in anderes, damit das Bleyweiß desto weisser scheinen möge. Das beste, reineste und weisseste Bleyweiß wird uns von Venedig überbracht: unter das holländische und teutsche aber wird, wie Pomet angemercket hat, eine Gattung weisser Kreide oder Mergel gemischet. Man soll dasjenige erwehlen, welches feine gantze und grosse Stücken hat, die schneeweiß sehen, trucken sind, und sich gelind anfühlen lassen, auch leichtlich brechen. Es ist eigentlich zu reden, nichts anders, als Bley, welches gantz voll Spitzen von dem Eßig sitzt.

Es trocknet, kühlet und zertheilet; und wird zu Salben und zu Pflastern gebraucht.

Cerusa vel Cerussa, griechisch keroussa, kommt von keros, cera, das Wachs, dieweil das Bleyweiß also weiß und linde ist, wie Wachs.

Cervus.

Cervus, frantzösisch, Cerf, teutsch, der Hirsch, ist ein vierfüßiges Thier mit Hörnern, welches so groß und starck als wie ein Pferd, sehr hurtig und von schnellem Lauff, und wilde, lebet sehr lange, und ist mit fahlrothen oder röthlichten Haar bedecket. Der Vordertheil von seinem Kopf ist breit. Die Hörner sind lang und zanckigt, vest, hart und starck: frantzösisch heissen sie Bois de Cerf, auch Tete de Cerf teutsch, Gehörn, Geweih, Gewicht, Hirschgeweih; und dienen ihm zu seiner Beschützung. Kleine Ohren hat er, und einen langen Hals, der Schwantz ist kurtz, der Fuß, oder die Klaue, gespalten. Er hat seinen Aufenthalt im Holtze, und nähret sich mit Gras und Kräutern, von Früchten und von Schlangen, auch andern dergleichen kleinen Thieren. Er soll, der Sage nach, etliche hundert Jahre leben können. Sein Fleisch ist gut zu essen, wann er jung ist gefället worden, und nicht in der Brunst gestanden hat.

Alle Jahre wirfft er sein Gehörn, gegen den Monat April hin, und da kommt er schier gar nicht vor den Tag, sondern verkreucht und verschleicht sich im [Spaltenumbruch] Gebüsche, als ob er sich schämete, daß er sein Gewehr und seinen Zierrath eingebüsset, bis daß ihm ein neues Gewichte an des alten Stelle wieder kommen ist, oder, bis er wieder aufgesetzet hat. Weil diese Hörner noch im Wachsen, sind sie von Natur, mit einer dicken Haut, als wie mit einem Harnisch oder Küraß überzogen und drein eingehüllt, die ist mit dichten, kurtzen, grauen und gelinden Haar besetzt, die Spitzen aber sind zu der Zeit rund erhaben. Die stärcksten Hirsche setzen ihr Geweih viel eher, als die andern auf; das ist auch um ein gutes grösser und viel stärcker. Schneidet man darein, weil sie noch zart und weich, und mit der Haut bedecket sind, so laufft viel Blut heraus. Sobald sie aber ihre völlige Grösse überkommen haben, werden sie durch und durch gantz harte, als wie Bein: die Spitzen werden am langsamsten harte. Weil nun sodann die rauche Haut keine Nahrung weiter nicht empfängt, so vertrocknet sie, löset sich ab, und fällt stückweis herunter, hinterlässet solchergestalt die Hörner blos, dicht und glatt, und mannigfarbig; es werden auch die Zincken, wann sie nun nicht ferner eingewickelt seyn, viel spitziger. Wann sich die Haut nicht behende genug lösen will, so ist der Hirsch gewohnet sein Gewichte wider die Steine und Bäume zu reiben, damit er sie abstreiffeln möge (das heissen die teutschen Jäger und Schützen, schlagen.)

Das Weiblein heist lateinisch, Cerva, frantzösisch, Biche, teutsch, eine Hirschkuh, und ist so groß, als wie der Mann, hat aber keine Hörner. Sein Haar ist röthlicht: er siehet scharff, und läufft gar ungemeine schnell; tritt in die Brunst, als wie der Hirsch, gegen den Augustus und September, träget acht Monat lang, und setzt nur eines auf einmahl.

In Indien um Batavia herum giebts kleine Rehe, die werden niemahls höher als ein kleiner Hund, und ihre Läuffte sind nicht dicker, als eines Kindes kleiner Finger, die Klauen sind etwan so dick als eine mittelmäßige Bone, im übrigen gestalt als wie ein Rehefuß und grau. Diese kleinen Thierlein sind dermassen wilde, daß, wann sie eingefangen sind, ohn einiges aufhören herum springen und unruhig sind, sie lassen sich auch durchaus nicht zähmen und erhungern sich viel eher selbst.

Das junge vom Hirschen und der Hirschkuh heist auf lateinisch Hinnulus, frantzösisch, Faon oder Fan, teutsch, ein Hirschkalb.

Alle Theile am Hirsche führen viel flüchtig Saltz und Oel.

Das junge Gehörn, oder die Hirschkolben, frantzösisch, Cornichons, die ihm nur kürtzlich wieder gewachsen sind, und auch Tete oder Cru de Cerf genennet werden, sind einen gantzen Monat lang so zart und weich, daß man sie kan in Stücken schneiden. Wann sie solten eine gute Zeit im Wasser sieden, könte eine gute Gallerte daraus gemachet werden. Sie werden zu Beförderung der Geburt gebraucht.

Die grossen Hirschhörner oder Geweihe werden geraspelt, und die Späne davon zu Ptisanen oder Gerstenträncken, ingleichen zur Gallerte gebraucht, sie werden auch unter allerhand Pulver und Electuaria oder Lattwergen gemischet. Sie sind auch gut zu Stillung des Durchfalls, und der Blutstürtzung, zur Stärckung, und Ersetzung der verlornen Kräfte, widerstehen dem Gift.

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] über kleine Höltzer, die in grossen irdenen Töpfen veste angemachet sind, so daß das Bley gleichsam wie schwebet; alsdann schütten sie Eßig auf den Boden der Töpfe, und, wann sie mit Bleye angefüllet sind, verstopfen und verwahren sie dieselben gantz genau, und setzen sie in den Mist, oder aber wo die Wärme sonsten darzu kommen kan, damit der Eßig sich erhitze und einen Dampf von sich geben möge, der die Materie gantz unvermercket dünne machet und zerfrist. Wann nun die Töpfe vier Wochen lang im Miste gestanden, so nehmen sie dieselbigen heraus, und öffnen sie, da befinden sie, daß alle diese bleyernen Blätter in eine weisse, gar brüchige Materie verwandelt worden sind, und das wird auf frantzösisch blanc de plomb, auf teutsch, Bleyweiß genannt: die Blätter werden zerbrochen und von den Mahlern gebrauchet. Sie sollen erlesen werden, wann sie zarte und schön rein, und auswendig, wie inwendig sein weiß sehen.

Das Bleyweiß reiben sie auf einem Reibesteine mit etwas Wasser ab, und machen einen Teig davon, aus diesem aber, in gewissen Formen, spitzige, wie kleine Pyramiden gestaltete Stücken, welche sie trocken werden lassen, damit sie können versendet werden. Sie wickeln dieselben in blau Papier viel lieber, als in anderes, damit das Bleyweiß desto weisser scheinen möge. Das beste, reineste und weisseste Bleyweiß wird uns von Venedig überbracht: unter das holländische und teutsche aber wird, wie Pomet angemercket hat, eine Gattung weisser Kreide oder Mergel gemischet. Man soll dasjenige erwehlen, welches feine gantze und grosse Stücken hat, die schneeweiß sehen, trucken sind, und sich gelind anfühlen lassen, auch leichtlich brechen. Es ist eigentlich zu reden, nichts anders, als Bley, welches gantz voll Spitzen von dem Eßig sitzt.

Es trocknet, kühlet und zertheilet; und wird zu Salben und zu Pflastern gebraucht.

Cerusa vel Cerussa, griechisch κεροῦσσα, kommt von κηρὸς, cera, das Wachs, dieweil das Bleyweiß also weiß und linde ist, wie Wachs.

Cervus.

Cervus, frantzösisch, Cerf, teutsch, der Hirsch, ist ein vierfüßiges Thier mit Hörnern, welches so groß und starck als wie ein Pferd, sehr hurtig und von schnellem Lauff, und wilde, lebet sehr lange, und ist mit fahlrothen oder röthlichten Haar bedecket. Der Vordertheil von seinem Kopf ist breit. Die Hörner sind lang und zanckigt, vest, hart und starck: frantzösisch heissen sie Bois de Cerf, auch Tête de Cerf teutsch, Gehörn, Geweih, Gewicht, Hirschgeweih; und dienen ihm zu seiner Beschützung. Kleine Ohren hat er, und einen langen Hals, der Schwantz ist kurtz, der Fuß, oder die Klaue, gespalten. Er hat seinen Aufenthalt im Holtze, und nähret sich mit Gras und Kräutern, von Früchten und von Schlangen, auch andern dergleichen kleinen Thieren. Er soll, der Sage nach, etliche hundert Jahre leben können. Sein Fleisch ist gut zu essen, wann er jung ist gefället worden, und nicht in der Brunst gestanden hat.

Alle Jahre wirfft er sein Gehörn, gegen den Monat April hin, und da kommt er schier gar nicht vor den Tag, sondern verkreucht und verschleicht sich im [Spaltenumbruch] Gebüsche, als ob er sich schämete, daß er sein Gewehr und seinen Zierrath eingebüsset, bis daß ihm ein neues Gewichte an des alten Stelle wieder kommen ist, oder, bis er wieder aufgesetzet hat. Weil diese Hörner noch im Wachsen, sind sie von Natur, mit einer dicken Haut, als wie mit einem Harnisch oder Küraß überzogen und drein eingehüllt, die ist mit dichten, kurtzen, grauen und gelinden Haar besetzt, die Spitzen aber sind zu der Zeit rund erhaben. Die stärcksten Hirsche setzen ihr Geweih viel eher, als die andern auf; das ist auch um ein gutes grösser und viel stärcker. Schneidet man darein, weil sie noch zart und weich, und mit der Haut bedecket sind, so laufft viel Blut heraus. Sobald sie aber ihre völlige Grösse überkommen haben, werden sie durch und durch gantz harte, als wie Bein: die Spitzen werden am langsamsten harte. Weil nun sodann die rauche Haut keine Nahrung weiter nicht empfängt, so vertrocknet sie, löset sich ab, und fällt stückweis herunter, hinterlässet solchergestalt die Hörner blos, dicht und glatt, und mannigfarbig; es werden auch die Zincken, wann sie nun nicht ferner eingewickelt seyn, viel spitziger. Wann sich die Haut nicht behende genug lösen will, so ist der Hirsch gewohnet sein Gewichte wider die Steine und Bäume zu reiben, damit er sie abstreiffeln möge (das heissen die teutschen Jäger und Schützen, schlagen.)

Das Weiblein heist lateinisch, Cerva, frantzösisch, Biche, teutsch, eine Hirschkuh, und ist so groß, als wie der Mann, hat aber keine Hörner. Sein Haar ist röthlicht: er siehet scharff, und läufft gar ungemeine schnell; tritt in die Brunst, als wie der Hirsch, gegen den Augustus und September, träget acht Monat lang, und setzt nur eines auf einmahl.

In Indien um Batavia herum giebts kleine Rehe, die werden niemahls höher als ein kleiner Hund, und ihre Läuffte sind nicht dicker, als eines Kindes kleiner Finger, die Klauen sind etwan so dick als eine mittelmäßige Bone, im übrigen gestalt als wie ein Rehefuß und grau. Diese kleinen Thierlein sind dermassen wilde, daß, wann sie eingefangen sind, ohn einiges aufhören herum springen und unruhig sind, sie lassen sich auch durchaus nicht zähmen und erhungern sich viel eher selbst.

Das junge vom Hirschen und der Hirschkuh heist auf lateinisch Hinnulus, frantzösisch, Faon oder Fan, teutsch, ein Hirschkalb.

Alle Theile am Hirsche führen viel flüchtig Saltz und Oel.

Das junge Gehörn, oder die Hirschkolben, frantzösisch, Cornichons, die ihm nur kürtzlich wieder gewachsen sind, und auch Tête oder Cru de Cerf genennet werden, sind einen gantzen Monat lang so zart und weich, daß man sie kan in Stücken schneiden. Wann sie solten eine gute Zeit im Wasser sieden, könte eine gute Gallerte daraus gemachet werden. Sie werden zu Beförderung der Geburt gebraucht.

Die grossen Hirschhörner oder Geweihe werden geraspelt, und die Späne davon zu Ptisanen oder Gerstenträncken, ingleichen zur Gallerte gebraucht, sie werden auch unter allerhand Pulver und Electuaria oder Lattwergen gemischet. Sie sind auch gut zu Stillung des Durchfalls, und der Blutstürtzung, zur Stärckung, und Ersetzung der verlornen Kräfte, widerstehen dem Gift.

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div type="lexiconEntry">
          <p><pb facs="#f0160"/><cb type="start"/>
über kleine Höltzer, die in grossen irdenen Töpfen veste angemachet sind, so daß das Bley gleichsam wie schwebet; alsdann schütten sie Eßig auf den Boden der Töpfe, und, wann sie mit Bleye angefüllet sind, verstopfen und verwahren sie dieselben gantz genau, und setzen sie in den Mist, oder aber wo die Wärme sonsten darzu kommen kan, damit der Eßig sich erhitze und einen Dampf von sich geben möge, der die Materie gantz unvermercket dünne machet und zerfrist. Wann nun die Töpfe vier Wochen lang im Miste gestanden, so nehmen sie dieselbigen heraus, und öffnen sie, da befinden sie, daß alle diese bleyernen Blätter in eine weisse, gar brüchige Materie verwandelt worden sind, und das wird auf frantzösisch <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">blanc de plomb,</hi></hi> auf teutsch, <hi rendition="#fr">Bleyweiß</hi> genannt: die Blätter werden zerbrochen und von den Mahlern gebrauchet. Sie sollen erlesen werden, wann sie zarte und schön rein, und auswendig, wie inwendig sein weiß sehen.</p><lb/>
          <p>Das Bleyweiß reiben sie auf einem Reibesteine mit etwas Wasser ab, und machen einen Teig davon, aus diesem aber, in gewissen Formen, spitzige, wie kleine Pyramiden gestaltete Stücken, welche sie trocken werden lassen, damit sie können versendet werden. Sie wickeln dieselben in blau Papier viel lieber, als in anderes, damit das Bleyweiß desto weisser scheinen möge. Das beste, reineste und weisseste Bleyweiß wird uns von Venedig überbracht: unter das holländische und teutsche aber wird, wie <hi rendition="#fr">Pomet</hi> angemercket hat, eine Gattung weisser Kreide oder Mergel gemischet. Man soll dasjenige erwehlen, welches feine gantze und grosse Stücken hat, die schneeweiß sehen, trucken sind, und sich gelind anfühlen lassen, auch leichtlich brechen. Es ist eigentlich zu reden, nichts anders, als Bley, welches gantz voll Spitzen von dem Eßig sitzt.</p><lb/>
          <p>Es trocknet, kühlet und zertheilet; und wird zu Salben und zu Pflastern gebraucht.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#i">Cerusa vel Cerussa,</hi> griechisch <hi rendition="#i">&#x03BA;&#x03B5;&#x03C1;&#x03BF;&#x1FE6;&#x03C3;&#x03C3;&#x03B1;,</hi> kommt von <hi rendition="#i">&#x03BA;&#x03B7;&#x03C1;&#x1F78;&#x03C2;, cera,</hi> das <hi rendition="#fr">Wachs,</hi> dieweil das Bleyweiß also weiß und linde ist, wie Wachs.</p>
        </div><lb/>
        <div type="lexiconEntry">
          <head>Cervus.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#g"><hi rendition="#i">Cervus</hi></hi>, frantzösisch, <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Cerf</hi>,</hi> teutsch, der <hi rendition="#fr">Hirsch,</hi> ist ein vierfüßiges Thier mit Hörnern, welches so groß und starck als wie ein Pferd, sehr hurtig und von schnellem Lauff, und wilde, lebet sehr lange, und ist mit fahlrothen oder röthlichten Haar bedecket. Der Vordertheil von seinem Kopf ist breit. Die Hörner sind lang und zanckigt, vest, hart und starck: frantzösisch heissen sie <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">Bois de Cerf,</hi></hi> auch <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Tête de Cerf</hi></hi> teutsch, <hi rendition="#fr">Gehörn, Geweih, Gewicht, Hirschgeweih;</hi> und dienen ihm zu seiner Beschützung. Kleine Ohren hat er, und einen langen Hals, der Schwantz ist kurtz, der Fuß, oder die Klaue, gespalten. Er hat seinen Aufenthalt im Holtze, und nähret sich mit Gras und Kräutern, von Früchten und von Schlangen, auch andern dergleichen kleinen Thieren. Er soll, der Sage nach, etliche hundert Jahre leben können. Sein Fleisch ist gut zu essen, wann er jung ist gefället worden, und nicht in der Brunst gestanden hat.</p><lb/>
          <p>Alle Jahre wirfft er sein Gehörn, gegen den Monat April hin, und da kommt er schier gar nicht vor den Tag, sondern verkreucht und verschleicht sich im <cb/>
Gebüsche, als ob er sich schämete, daß er sein Gewehr und seinen Zierrath eingebüsset, bis daß ihm ein neues Gewichte an des alten Stelle wieder kommen ist, oder, bis er wieder aufgesetzet hat. Weil diese Hörner noch im Wachsen, sind sie von Natur, mit einer dicken Haut, als wie mit einem Harnisch oder Küraß überzogen und drein eingehüllt, die ist mit dichten, kurtzen, grauen und gelinden Haar besetzt, die Spitzen aber sind zu der Zeit rund erhaben. Die stärcksten Hirsche setzen ihr Geweih viel eher, als die andern auf; das ist auch um ein gutes grösser und viel stärcker. Schneidet man darein, weil sie noch zart und weich, und mit der Haut bedecket sind, so laufft viel Blut heraus. Sobald sie aber ihre völlige Grösse überkommen haben, werden sie durch und durch gantz harte, als wie Bein: die Spitzen werden am langsamsten harte. Weil nun sodann die rauche Haut keine Nahrung weiter nicht empfängt, so vertrocknet sie, löset sich ab, und fällt stückweis herunter, hinterlässet solchergestalt die Hörner blos, dicht und glatt, und mannigfarbig; es werden auch die Zincken, wann sie nun nicht ferner eingewickelt seyn, viel spitziger. Wann sich die Haut nicht behende genug lösen will, so ist der Hirsch gewohnet sein Gewichte wider die Steine und Bäume zu reiben, damit er sie abstreiffeln möge (das heissen <hi rendition="#fr">die teutschen Jäger</hi> und <hi rendition="#fr">Schützen,</hi> schlagen.)</p><lb/>
          <p>Das Weiblein heist lateinisch, <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">Cerva</hi></hi>, frantzösisch, <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">Biche</hi></hi>, teutsch, eine <hi rendition="#fr">Hirschkuh,</hi> und ist so groß, als wie der Mann, hat aber keine Hörner. Sein Haar ist röthlicht: er siehet scharff, und läufft gar ungemeine schnell; tritt in die Brunst, als wie der Hirsch, gegen den Augustus und September, träget acht Monat lang, und setzt nur eines auf einmahl.</p><lb/>
          <p>In Indien um <hi rendition="#i">Batavia</hi> herum giebts kleine Rehe, die werden niemahls höher als ein kleiner Hund, und ihre Läuffte sind nicht dicker, als eines Kindes kleiner Finger, die Klauen sind etwan so dick als eine mittelmäßige Bone, im übrigen gestalt als wie ein Rehefuß und grau. Diese kleinen Thierlein sind dermassen wilde, daß, wann sie eingefangen sind, ohn einiges aufhören herum springen und unruhig sind, sie lassen sich auch durchaus nicht zähmen und erhungern sich viel eher selbst.</p><lb/>
          <p>Das junge vom Hirschen und der Hirschkuh heist auf lateinisch <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Hinnulus</hi>,</hi> frantzösisch, <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Faon</hi></hi> oder <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Fan</hi>,</hi> teutsch, ein <hi rendition="#fr">Hirschkalb.</hi></p><lb/>
          <p>Alle Theile am Hirsche führen viel flüchtig Saltz und Oel.</p><lb/>
          <p>Das junge Gehörn, oder <hi rendition="#fr">die Hirschkolben,</hi> frantzösisch, <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Cornichons</hi>,</hi> die ihm nur kürtzlich wieder gewachsen sind, und auch <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Tête</hi></hi> oder <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Cru de Cerf</hi></hi> genennet werden, sind einen gantzen Monat lang so zart und weich, daß man sie kan in Stücken schneiden. Wann sie solten eine gute Zeit im Wasser sieden, könte eine gute Gallerte daraus gemachet werden. Sie werden zu Beförderung der Geburt gebraucht.</p><lb/>
          <p>Die grossen Hirschhörner oder Geweihe werden geraspelt, und die Späne davon zu <hi rendition="#i">Ptisanen</hi> oder Gerstenträncken, ingleichen zur Gallerte gebraucht, sie werden auch unter allerhand Pulver und <hi rendition="#i">Electuaria</hi> oder Lattwergen gemischet. Sie sind auch gut zu Stillung des Durchfalls, und der Blutstürtzung, zur Stärckung, und Ersetzung der verlornen Kräfte, widerstehen dem Gift.</p>
          <cb type="end"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0160] über kleine Höltzer, die in grossen irdenen Töpfen veste angemachet sind, so daß das Bley gleichsam wie schwebet; alsdann schütten sie Eßig auf den Boden der Töpfe, und, wann sie mit Bleye angefüllet sind, verstopfen und verwahren sie dieselben gantz genau, und setzen sie in den Mist, oder aber wo die Wärme sonsten darzu kommen kan, damit der Eßig sich erhitze und einen Dampf von sich geben möge, der die Materie gantz unvermercket dünne machet und zerfrist. Wann nun die Töpfe vier Wochen lang im Miste gestanden, so nehmen sie dieselbigen heraus, und öffnen sie, da befinden sie, daß alle diese bleyernen Blätter in eine weisse, gar brüchige Materie verwandelt worden sind, und das wird auf frantzösisch blanc de plomb, auf teutsch, Bleyweiß genannt: die Blätter werden zerbrochen und von den Mahlern gebrauchet. Sie sollen erlesen werden, wann sie zarte und schön rein, und auswendig, wie inwendig sein weiß sehen. Das Bleyweiß reiben sie auf einem Reibesteine mit etwas Wasser ab, und machen einen Teig davon, aus diesem aber, in gewissen Formen, spitzige, wie kleine Pyramiden gestaltete Stücken, welche sie trocken werden lassen, damit sie können versendet werden. Sie wickeln dieselben in blau Papier viel lieber, als in anderes, damit das Bleyweiß desto weisser scheinen möge. Das beste, reineste und weisseste Bleyweiß wird uns von Venedig überbracht: unter das holländische und teutsche aber wird, wie Pomet angemercket hat, eine Gattung weisser Kreide oder Mergel gemischet. Man soll dasjenige erwehlen, welches feine gantze und grosse Stücken hat, die schneeweiß sehen, trucken sind, und sich gelind anfühlen lassen, auch leichtlich brechen. Es ist eigentlich zu reden, nichts anders, als Bley, welches gantz voll Spitzen von dem Eßig sitzt. Es trocknet, kühlet und zertheilet; und wird zu Salben und zu Pflastern gebraucht. Cerusa vel Cerussa, griechisch κεροῦσσα, kommt von κηρὸς, cera, das Wachs, dieweil das Bleyweiß also weiß und linde ist, wie Wachs. Cervus. Cervus, frantzösisch, Cerf, teutsch, der Hirsch, ist ein vierfüßiges Thier mit Hörnern, welches so groß und starck als wie ein Pferd, sehr hurtig und von schnellem Lauff, und wilde, lebet sehr lange, und ist mit fahlrothen oder röthlichten Haar bedecket. Der Vordertheil von seinem Kopf ist breit. Die Hörner sind lang und zanckigt, vest, hart und starck: frantzösisch heissen sie Bois de Cerf, auch Tête de Cerf teutsch, Gehörn, Geweih, Gewicht, Hirschgeweih; und dienen ihm zu seiner Beschützung. Kleine Ohren hat er, und einen langen Hals, der Schwantz ist kurtz, der Fuß, oder die Klaue, gespalten. Er hat seinen Aufenthalt im Holtze, und nähret sich mit Gras und Kräutern, von Früchten und von Schlangen, auch andern dergleichen kleinen Thieren. Er soll, der Sage nach, etliche hundert Jahre leben können. Sein Fleisch ist gut zu essen, wann er jung ist gefället worden, und nicht in der Brunst gestanden hat. Alle Jahre wirfft er sein Gehörn, gegen den Monat April hin, und da kommt er schier gar nicht vor den Tag, sondern verkreucht und verschleicht sich im Gebüsche, als ob er sich schämete, daß er sein Gewehr und seinen Zierrath eingebüsset, bis daß ihm ein neues Gewichte an des alten Stelle wieder kommen ist, oder, bis er wieder aufgesetzet hat. Weil diese Hörner noch im Wachsen, sind sie von Natur, mit einer dicken Haut, als wie mit einem Harnisch oder Küraß überzogen und drein eingehüllt, die ist mit dichten, kurtzen, grauen und gelinden Haar besetzt, die Spitzen aber sind zu der Zeit rund erhaben. Die stärcksten Hirsche setzen ihr Geweih viel eher, als die andern auf; das ist auch um ein gutes grösser und viel stärcker. Schneidet man darein, weil sie noch zart und weich, und mit der Haut bedecket sind, so laufft viel Blut heraus. Sobald sie aber ihre völlige Grösse überkommen haben, werden sie durch und durch gantz harte, als wie Bein: die Spitzen werden am langsamsten harte. Weil nun sodann die rauche Haut keine Nahrung weiter nicht empfängt, so vertrocknet sie, löset sich ab, und fällt stückweis herunter, hinterlässet solchergestalt die Hörner blos, dicht und glatt, und mannigfarbig; es werden auch die Zincken, wann sie nun nicht ferner eingewickelt seyn, viel spitziger. Wann sich die Haut nicht behende genug lösen will, so ist der Hirsch gewohnet sein Gewichte wider die Steine und Bäume zu reiben, damit er sie abstreiffeln möge (das heissen die teutschen Jäger und Schützen, schlagen.) Das Weiblein heist lateinisch, Cerva, frantzösisch, Biche, teutsch, eine Hirschkuh, und ist so groß, als wie der Mann, hat aber keine Hörner. Sein Haar ist röthlicht: er siehet scharff, und läufft gar ungemeine schnell; tritt in die Brunst, als wie der Hirsch, gegen den Augustus und September, träget acht Monat lang, und setzt nur eines auf einmahl. In Indien um Batavia herum giebts kleine Rehe, die werden niemahls höher als ein kleiner Hund, und ihre Läuffte sind nicht dicker, als eines Kindes kleiner Finger, die Klauen sind etwan so dick als eine mittelmäßige Bone, im übrigen gestalt als wie ein Rehefuß und grau. Diese kleinen Thierlein sind dermassen wilde, daß, wann sie eingefangen sind, ohn einiges aufhören herum springen und unruhig sind, sie lassen sich auch durchaus nicht zähmen und erhungern sich viel eher selbst. Das junge vom Hirschen und der Hirschkuh heist auf lateinisch Hinnulus, frantzösisch, Faon oder Fan, teutsch, ein Hirschkalb. Alle Theile am Hirsche führen viel flüchtig Saltz und Oel. Das junge Gehörn, oder die Hirschkolben, frantzösisch, Cornichons, die ihm nur kürtzlich wieder gewachsen sind, und auch Tête oder Cru de Cerf genennet werden, sind einen gantzen Monat lang so zart und weich, daß man sie kan in Stücken schneiden. Wann sie solten eine gute Zeit im Wasser sieden, könte eine gute Gallerte daraus gemachet werden. Sie werden zu Beförderung der Geburt gebraucht. Die grossen Hirschhörner oder Geweihe werden geraspelt, und die Späne davon zu Ptisanen oder Gerstenträncken, ingleichen zur Gallerte gebraucht, sie werden auch unter allerhand Pulver und Electuaria oder Lattwergen gemischet. Sie sind auch gut zu Stillung des Durchfalls, und der Blutstürtzung, zur Stärckung, und Ersetzung der verlornen Kräfte, widerstehen dem Gift.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

TextGrid: Digitale Bibliothek: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-02-19T20:05:58Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-02-19T20:05:58Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: dokumentiert; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: nein;

Abbildungen innerhalb des Textteils wurden nicht markiert. Die Stichwörter der einzelnen Einträge innerhalb des Textteils sind, abweichend von der Vorlage, nicht in Versalien gesetzt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lemery_lexicon_1721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lemery_lexicon_1721/160
Zitationshilfe: Lémery, Nicolas: Vollständiges Materialien-Lexicon. Leipzig, 1721, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lemery_lexicon_1721/160>, abgerufen am 19.04.2024.