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Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832.

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Umsäuselt von Hesperiens Blüthenbäumen,
Entgegentrat als eine schöne Braut:
Ein Schleier hielt das Liebchen mir umschlungen,
Der geizig zwar mit meinen Blicken rang;
Doch mancher Reiz, der leichten Haft entsprungen,
Flog mir an's Herz, das ihm entgegendrang.
Die schöne Braut gab mir die Hand zur Reise,
Und selig schritten wir und rasch dahin.
Wir sahn am Himmel goldne Wölkchen zieh'n,
Voreilend trat die Freude uns die Gleise.
Wir wallten durch des Glaubens Paradiese,
Wo jedes Lüftchen uns von Gott erzählt,
Wo uns von ihm jed' Blümchen auf der Wiese
Ein Liebeszeichen froh entgegenhält;
Wo die beschwingte Sehnsucht: Filomele
Laut ruft und innig in die Mondennacht,
Daß ihre Schwester, die verwandte Seele,
Von ihrem Ruf in unsrer Brust erwacht,
Erwacht und Gottes süßen Namen singt,
Und aus der Brust zu ihm hinüberdringt.
Wo der Sturm, ein trunkener Sänger Gottes, dahinbraust,
Mit fliegender Locke, mit rauschendem Nachtgewand,
Die Harfe schlagend im feurigen Fluge dahinbraust
Durch Thal und Gebirg', durch Meer und Wüstensand.
Umſaͤuſelt von Heſperiens Bluͤthenbaͤumen,
Entgegentrat als eine ſchoͤne Braut:
Ein Schleier hielt das Liebchen mir umſchlungen,
Der geizig zwar mit meinen Blicken rang;
Doch mancher Reiz, der leichten Haft entſprungen,
Flog mir an's Herz, das ihm entgegendrang.
Die ſchoͤne Braut gab mir die Hand zur Reiſe,
Und ſelig ſchritten wir und raſch dahin.
Wir ſahn am Himmel goldne Woͤlkchen zieh'n,
Voreilend trat die Freude uns die Gleiſe.
Wir wallten durch des Glaubens Paradieſe,
Wo jedes Luͤftchen uns von Gott erzaͤhlt,
Wo uns von ihm jed' Bluͤmchen auf der Wieſe
Ein Liebeszeichen froh entgegenhaͤlt;
Wo die beſchwingte Sehnſucht: Filomele
Laut ruft und innig in die Mondennacht,
Daß ihre Schweſter, die verwandte Seele,
Von ihrem Ruf in unſrer Bruſt erwacht,
Erwacht und Gottes ſuͤßen Namen ſingt,
Und aus der Bruſt zu ihm hinuͤberdringt.
Wo der Sturm, ein trunkener Saͤnger Gottes, dahinbrauſt,
Mit fliegender Locke, mit rauſchendem Nachtgewand,
Die Harfe ſchlagend im feurigen Fluge dahinbrauſt
Durch Thal und Gebirg', durch Meer und Wuͤſtenſand.
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[173/0187] Umſaͤuſelt von Heſperiens Bluͤthenbaͤumen, Entgegentrat als eine ſchoͤne Braut: Ein Schleier hielt das Liebchen mir umſchlungen, Der geizig zwar mit meinen Blicken rang; Doch mancher Reiz, der leichten Haft entſprungen, Flog mir an's Herz, das ihm entgegendrang. Die ſchoͤne Braut gab mir die Hand zur Reiſe, Und ſelig ſchritten wir und raſch dahin. Wir ſahn am Himmel goldne Woͤlkchen zieh'n, Voreilend trat die Freude uns die Gleiſe. Wir wallten durch des Glaubens Paradieſe, Wo jedes Luͤftchen uns von Gott erzaͤhlt, Wo uns von ihm jed' Bluͤmchen auf der Wieſe Ein Liebeszeichen froh entgegenhaͤlt; Wo die beſchwingte Sehnſucht: Filomele Laut ruft und innig in die Mondennacht, Daß ihre Schweſter, die verwandte Seele, Von ihrem Ruf in unſrer Bruſt erwacht, Erwacht und Gottes ſuͤßen Namen ſingt, Und aus der Bruſt zu ihm hinuͤberdringt. Wo der Sturm, ein trunkener Saͤnger Gottes, dahinbrauſt, Mit fliegender Locke, mit rauſchendem Nachtgewand, Die Harfe ſchlagend im feurigen Fluge dahinbrauſt Durch Thal und Gebirg', durch Meer und Wuͤſtenſand.

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Zitationshilfe: Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenau_gedichte_1832/187>, abgerufen am 25.04.2024.