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Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832.

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Im Garten ruft die Nachtigall,
Sie scheint in bangen Weisen
Zu klagen um des Mädchens Fall,
Die Unschuld süß zu preisen.
Und leise kommt der Abendwind,
Der ihren Locken schmeichelt,
Als wollt' er trösten, ihr gelind
Die bleiche Wange streichelt.
Geh fort, o West, vom Mädchen, geh!
Laß ruhn den welken Flieder!
Du thust ihr mit den Blüthen weh,
Die du auf sie streust nieder! -- --
Da öffnet sich das Kämmerlein:
Es ruft ein Mann: "Maria!"
Die Freude stoßt ihn wild herein:
"O meine Braut Maria!"
"Ich habe nun mein Glück erjagt,
"Mich durch die Welt getrieben;
"Hab' viel gelitten, viel gewagt,
"Und bin dir treu geblieben!"
Im Garten ruft die Nachtigall,
Sie ſcheint in bangen Weiſen
Zu klagen um des Maͤdchens Fall,
Die Unſchuld ſuͤß zu preiſen.
Und leiſe kommt der Abendwind,
Der ihren Locken ſchmeichelt,
Als wollt' er troͤſten, ihr gelind
Die bleiche Wange ſtreichelt.
Geh fort, o Weſt, vom Maͤdchen, geh!
Laß ruhn den welken Flieder!
Du thuſt ihr mit den Bluͤthen weh,
Die du auf ſie ſtreuſt nieder! — —
Da oͤffnet ſich das Kaͤmmerlein:
Es ruft ein Mann: „Maria!“
Die Freude ſtoßt ihn wild herein:
„O meine Braut Maria!“
„Ich habe nun mein Gluͤck erjagt,
„Mich durch die Welt getrieben;
„Hab' viel gelitten, viel gewagt,
„Und bin dir treu geblieben!“
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[32/0046] Im Garten ruft die Nachtigall, Sie ſcheint in bangen Weiſen Zu klagen um des Maͤdchens Fall, Die Unſchuld ſuͤß zu preiſen. Und leiſe kommt der Abendwind, Der ihren Locken ſchmeichelt, Als wollt' er troͤſten, ihr gelind Die bleiche Wange ſtreichelt. Geh fort, o Weſt, vom Maͤdchen, geh! Laß ruhn den welken Flieder! Du thuſt ihr mit den Bluͤthen weh, Die du auf ſie ſtreuſt nieder! — — Da oͤffnet ſich das Kaͤmmerlein: Es ruft ein Mann: „Maria!“ Die Freude ſtoßt ihn wild herein: „O meine Braut Maria!“ „Ich habe nun mein Gluͤck erjagt, „Mich durch die Welt getrieben; „Hab' viel gelitten, viel gewagt, „Und bin dir treu geblieben!“

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Zitationshilfe: Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenau_gedichte_1832/46>, abgerufen am 19.04.2024.