Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite
Des Abends, Freund, gedenk' ich, jenes andern!
Ich seh' im winterlichen Dämmerlicht
Zur Kirche hin den langen Brautzug wandern,
Wo die Geliebte Treu' und Herz dir bricht.
Der Priester sprach den Segen ob dem Paare,
Mir schien ein Mordgewölb das Heiligthum,
Ich sah die Hoffnung fallen am Altare,
Wie ward die süße Schwätzerinn so stumm! --
Beflügle dich, mein Lied! denn immer trüber,
Und thränenvoller stets wird deine Bahn;
O führe schnell den Freund mir da vorüber,
Wo ihn der Schauer nächtlichste umfah'n!
Vorüber, Lied, am bretternen Geschirre,
Darein der Tod gepflanzt die Rose bleich;
Fort von der Stimmen kläglichem Gewirre,
Da dumpf vernagelnd dröhnt der Hammerstreich! --
Wir sind vorbei. Der Sturm lenkt sein Gefieder
Zum dunkeln Horste der Vergangenheit,
Und Wehmuth sinkt an meinen Busen wieder,
Die stille Freundin meiner Einsamkeit.

Des Abends, Freund, gedenk' ich, jenes andern!
Ich ſeh' im winterlichen Daͤmmerlicht
Zur Kirche hin den langen Brautzug wandern,
Wo die Geliebte Treu' und Herz dir bricht.
Der Prieſter ſprach den Segen ob dem Paare,
Mir ſchien ein Mordgewoͤlb das Heiligthum,
Ich ſah die Hoffnung fallen am Altare,
Wie ward die ſuͤße Schwaͤtzerinn ſo ſtumm! —
Befluͤgle dich, mein Lied! denn immer truͤber‚
Und thraͤnenvoller ſtets wird deine Bahn;
O fuͤhre ſchnell den Freund mir da voruͤber‚
Wo ihn der Schauer naͤchtlichſte umfah'n!
Voruͤber, Lied, am bretternen Geſchirre,
Darein der Tod gepflanzt die Roſe bleich;
Fort von der Stimmen klaͤglichem Gewirre,
Da dumpf vernagelnd droͤhnt der Hammerſtreich! —
Wir ſind vorbei. Der Sturm lenkt ſein Gefieder
Zum dunkeln Horſte der Vergangenheit,
Und Wehmuth ſinkt an meinen Buſen wieder,
Die ſtille Freundin meiner Einſamkeit.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0099" n="85"/>
            <lg n="10">
              <l>Des Abends, Freund, gedenk' ich, jenes andern!</l><lb/>
              <l>Ich &#x017F;eh' im winterlichen Da&#x0364;mmerlicht</l><lb/>
              <l>Zur Kirche hin den langen Brautzug wandern,</l><lb/>
              <l>Wo die Geliebte Treu' und Herz dir bricht.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="11">
              <l>Der Prie&#x017F;ter &#x017F;prach den Segen ob dem Paare,</l><lb/>
              <l>Mir &#x017F;chien ein Mordgewo&#x0364;lb das Heiligthum,</l><lb/>
              <l>Ich &#x017F;ah die Hoffnung fallen am Altare,</l><lb/>
              <l>Wie ward die &#x017F;u&#x0364;ße Schwa&#x0364;tzerinn &#x017F;o &#x017F;tumm! &#x2014;</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="12">
              <l>Beflu&#x0364;gle dich, mein Lied! denn immer tru&#x0364;ber&#x201A;</l><lb/>
              <l>Und thra&#x0364;nenvoller &#x017F;tets wird deine Bahn;</l><lb/>
              <l>O fu&#x0364;hre &#x017F;chnell den Freund mir da voru&#x0364;ber&#x201A;</l><lb/>
              <l>Wo ihn der Schauer na&#x0364;chtlich&#x017F;te umfah'n!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="13">
              <l>Voru&#x0364;ber, Lied, am bretternen Ge&#x017F;chirre,</l><lb/>
              <l>Darein der Tod gepflanzt die Ro&#x017F;e bleich;</l><lb/>
              <l>Fort von der Stimmen kla&#x0364;glichem Gewirre,</l><lb/>
              <l>Da dumpf vernagelnd dro&#x0364;hnt der Hammer&#x017F;treich! &#x2014;</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="14">
              <l>Wir &#x017F;ind vorbei. Der Sturm lenkt &#x017F;ein Gefieder</l><lb/>
              <l>Zum dunkeln Hor&#x017F;te der Vergangenheit,</l><lb/>
              <l>Und Wehmuth &#x017F;inkt an meinen Bu&#x017F;en wieder,</l><lb/>
              <l>Die &#x017F;tille Freundin meiner Ein&#x017F;amkeit.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0099] Des Abends, Freund, gedenk' ich, jenes andern! Ich ſeh' im winterlichen Daͤmmerlicht Zur Kirche hin den langen Brautzug wandern, Wo die Geliebte Treu' und Herz dir bricht. Der Prieſter ſprach den Segen ob dem Paare, Mir ſchien ein Mordgewoͤlb das Heiligthum, Ich ſah die Hoffnung fallen am Altare, Wie ward die ſuͤße Schwaͤtzerinn ſo ſtumm! — Befluͤgle dich, mein Lied! denn immer truͤber‚ Und thraͤnenvoller ſtets wird deine Bahn; O fuͤhre ſchnell den Freund mir da voruͤber‚ Wo ihn der Schauer naͤchtlichſte umfah'n! Voruͤber, Lied, am bretternen Geſchirre, Darein der Tod gepflanzt die Roſe bleich; Fort von der Stimmen klaͤglichem Gewirre, Da dumpf vernagelnd droͤhnt der Hammerſtreich! — Wir ſind vorbei. Der Sturm lenkt ſein Gefieder Zum dunkeln Horſte der Vergangenheit, Und Wehmuth ſinkt an meinen Buſen wieder, Die ſtille Freundin meiner Einſamkeit.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lenau_gedichte_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lenau_gedichte_1832/99
Zitationshilfe: Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenau_gedichte_1832/99>, abgerufen am 29.03.2024.