Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

a. Declination drr Nomina.
daher auch fraglich, ob die Heranziehung von suniu neben sunau irgend etwas
beweist; der Genitivform liegt sicher in keiner germanischen Sprache ein aus
*sunavas durch Vocalschwächung entstandenes *sunivas zu Grunde, so dass in
diesem Casus die Parallelität der beiden Stammclassen jedenfalls fehlt. Somit
bleibt, worauf es hier ankommt, die zweite Möglichkeit offen, dass in enstei die
dem griech. polios analoge Bildung vorliege, und wir im Germanischen beide
Weisen, gesteigerten Auslaut in got. anstais, ungesteigerten in ahd. enstei anzu-
nehmen haben. Wir werden die Spuren solcher Doppelbildungen auch bei den
übrigen Casus zu suchen haben, um zu einem relativ sicheren Resultat zu ge-
langen.

C. a-stämme.
a) masc.-neutra.

Am leichtesten ist hier die Entscheidung über das Germanische: got. vulfis,
so wie die Formen der übrigen germanischen Sprachen, die dieser völlig ent-
sprechen *), kann eine Endung -is nur aus ursprünglichem -asja haben, das
durch Assimilation zu *assa, *-issa, durch das vocalische Auslautsgesetz endlich
zu -is, d. h. *iss wurde. Dass so der Vorgang war, dass Assimilation des sj zu
ss stattfand, beweist die altnord. Form ulfs durch die Nichtverwandlung des
auslautenden s in r, die bei ursprünglich einfachem s nothwendig ist (s. Ebel,
KZ. IV, 149). Zugleich besteht im Germanischen kein Unterschied zwischen dem
gen. sg. msc.-ntr. der substantivischen und dem der Pronominalstämme (abge-
sehen vom Personalpronomen), got. this = tasja.

Ehe wir zu den sehr abweichenden Formen der beiden anderen Sprachen
übergehen, wird es zweckmässig sein, an die Gestalten dieses Casus in der Ge-
sammtheit der indogermanischen Sprachen zu erinnern. Im Arischen waltet
genau dasselbe Verhältniss wie im Germanischen, -sja gilt als Suffix bei Nomen
und Pronomen; ebenso verhält es sich im Griechischen. Die italischen Sprachen
müssen bei der noch immer bestehenden Unsicherheit der Erklärung und nament-
lich der Schwierigkeit einer solchen bei den pronominalen Formen wie lat. illius
u. s. w. vorläufig unberücksichtigt bleiben; es wird sich Gelegenheit zu ihrer
Benutzung gleich im folgenden finden. Das Keltische giebt keine Möglichkeit
einer sicheren Zurückführung der Formen. Man kann also, ohne auf die Frage
nach der ursprünglichen Zugehörigkeit des -sja einzugehen, das Factum so aus-
sprechen: im Germanischen, Arischen, Griechischen hat der gen. sg. msc.-ntr.
der a-stämme, einerlei ob diese nominal oder pronominal sind, als Suffix
nur -sja.

Im Slavischen und Litauischen ist nun das Verhältniss zwischen Pronomen
und Nomen ein anderes. Die Formen des Nomens, lit. vilko, slav. vluka = vluka

*) Scheinbare Differenz im Vocalismus, die aber die Grundform nicht berührt, findet
statt im altsächs. -as, aber dieses a, sowie das gelegentlich auch in anderen Dialekten er-
scheinende (s. Scherer a. a. O. S. 437) ist sicher erst secundär aus e entstanden.

a. Declination drr Nomina.
daher auch fraglich, ob die Heranziehung von suniu neben sunau irgend etwas
beweist; der Genitivform liegt sicher in keiner germanischen Sprache ein aus
*sunavas durch Vocalschwächung entstandenes *sunivas zu Grunde, so dass in
diesem Casus die Parallelität der beiden Stammclassen jedenfalls fehlt. Somit
bleibt, worauf es hier ankommt, die zweite Möglichkeit offen, dass in enstî die
dem griech. πόλιος analoge Bildung vorliege, und wir im Germanischen beide
Weisen, gesteigerten Auslaut in got. anstais, ungesteigerten in ahd. enstî anzu-
nehmen haben. Wir werden die Spuren solcher Doppelbildungen auch bei den
übrigen Casus zu suchen haben, um zu einem relativ sicheren Resultat zu ge-
langen.

C. a-stämme.
a) masc.-neutra.

Am leichtesten ist hier die Entscheidung über das Germanische: got. vulfis,
so wie die Formen der übrigen germanischen Sprachen, die dieser völlig ent-
sprechen *), kann eine Endung -is nur aus ursprünglichem -asja haben, das
durch Assimilation zu *assa, *-issa, durch das vocalische Auslautsgesetz endlich
zu -is, d. h. *iss wurde. Dass so der Vorgang war, dass Assimilation des sj zu
ss stattfand, beweist die altnord. Form úlfs durch die Nichtverwandlung des
auslautenden s in r, die bei ursprünglich einfachem s nothwendig ist (s. Ebel,
KZ. IV, 149). Zugleich besteht im Germanischen kein Unterschied zwischen dem
gen. sg. msc.-ntr. der substantivischen und dem der Pronominalstämme (abge-
sehen vom Personalpronomen), got. þis = tasja.

Ehe wir zu den sehr abweichenden Formen der beiden anderen Sprachen
übergehen, wird es zweckmässig sein, an die Gestalten dieses Casus in der Ge-
sammtheit der indogermanischen Sprachen zu erinnern. Im Arischen waltet
genau dasselbe Verhältniss wie im Germanischen, -sja gilt als Suffix bei Nomen
und Pronomen; ebenso verhält es sich im Griechischen. Die italischen Sprachen
müssen bei der noch immer bestehenden Unsicherheit der Erklärung und nament-
lich der Schwierigkeit einer solchen bei den pronominalen Formen wie lat. illius
u. s. w. vorläufig unberücksichtigt bleiben; es wird sich Gelegenheit zu ihrer
Benutzung gleich im folgenden finden. Das Keltische giebt keine Möglichkeit
einer sicheren Zurückführung der Formen. Man kann also, ohne auf die Frage
nach der ursprünglichen Zugehörigkeit des -sja einzugehen, das Factum so aus-
sprechen: im Germanischen, Arischen, Griechischen hat der gen. sg. msc.-ntr.
der a-stämme, einerlei ob diese nominal oder pronominal sind, als Suffix
nur -sja.

Im Slavischen und Litauischen ist nun das Verhältniss zwischen Pronomen
und Nomen ein anderes. Die Formen des Nomens, lit. vìlkō, slav. vlŭka = vlŭkā

*) Scheinbare Differenz im Vocalismus, die aber die Grundform nicht berührt, findet
statt im altsächs. -as, aber dieses a, sowie das gelegentlich auch in anderen Dialekten er-
scheinende (s. Scherer a. a. O. S. 437) ist sicher erst secundär aus e entstanden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0066" n="30"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">a. Declination drr Nomina</hi>.</fw><lb/>
daher auch fraglich, ob die Heranziehung von <hi rendition="#i">suniu</hi> neben <hi rendition="#i">sunau</hi> irgend etwas<lb/>
beweist; der Genitivform liegt sicher in keiner germanischen Sprache ein aus<lb/>
*<hi rendition="#i">sunavas</hi> durch Vocalschwächung entstandenes *<hi rendition="#i">sunivas</hi> zu Grunde, so dass in<lb/>
diesem Casus die Parallelität der beiden Stammclassen jedenfalls fehlt. Somit<lb/>
bleibt, worauf es hier ankommt, die zweite Möglichkeit offen, dass in <hi rendition="#i">enstî</hi> die<lb/>
dem griech. &#x03C0;&#x03CC;&#x03BB;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C2; analoge Bildung vorliege, und wir im Germanischen beide<lb/>
Weisen, gesteigerten Auslaut in got. <hi rendition="#i">anstais</hi>, ungesteigerten in ahd. <hi rendition="#i">enstî</hi> anzu-<lb/>
nehmen haben. Wir werden die Spuren solcher Doppelbildungen auch bei den<lb/>
übrigen Casus zu suchen haben, um zu einem relativ sicheren Resultat zu ge-<lb/>
langen.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>C. <hi rendition="#i">a</hi>-stämme.</head><lb/>
                <div n="6">
                  <head>a) <hi rendition="#g">masc.-neutra</hi>.</head><lb/>
                  <p>Am leichtesten ist hier die Entscheidung über das Germanische: got. <hi rendition="#i">vulfis</hi>,<lb/>
so wie die Formen der übrigen germanischen Sprachen, die dieser völlig ent-<lb/>
sprechen <note place="foot" n="*)">Scheinbare Differenz im Vocalismus, die aber die Grundform nicht berührt, findet<lb/>
statt im altsächs. -<hi rendition="#i">as</hi>, aber dieses <hi rendition="#i">a</hi>, sowie das gelegentlich auch in anderen Dialekten er-<lb/>
scheinende (s. Scherer a. a. O. S. 437) ist sicher erst secundär aus <hi rendition="#i">e</hi> entstanden.</note>, kann eine Endung -<hi rendition="#i">is</hi> nur aus ursprünglichem -<hi rendition="#i">asja</hi> haben, das<lb/>
durch Assimilation zu *<hi rendition="#i">assa, *-issa</hi>, durch das vocalische Auslautsgesetz endlich<lb/>
zu -<hi rendition="#i">is</hi>, d. h. *<hi rendition="#i">iss</hi> wurde. Dass so der Vorgang war, dass Assimilation des <hi rendition="#i">sj</hi> zu<lb/><hi rendition="#i">ss</hi> stattfand, beweist die altnord. Form <hi rendition="#i">úlfs</hi> durch die Nichtverwandlung des<lb/>
auslautenden <hi rendition="#i">s</hi> in <hi rendition="#i">r</hi>, die bei ursprünglich einfachem <hi rendition="#i">s</hi> nothwendig ist (s. Ebel,<lb/>
KZ. IV, 149). Zugleich besteht im Germanischen kein Unterschied zwischen dem<lb/>
gen. sg. msc.-ntr. der substantivischen und dem der Pronominalstämme (abge-<lb/>
sehen vom Personalpronomen), got. <hi rendition="#i">þis</hi> = <hi rendition="#i">tasja</hi>.</p><lb/>
                  <p>Ehe wir zu den sehr abweichenden Formen der beiden anderen Sprachen<lb/>
übergehen, wird es zweckmässig sein, an die Gestalten dieses Casus in der Ge-<lb/>
sammtheit der indogermanischen Sprachen zu erinnern. Im Arischen waltet<lb/>
genau dasselbe Verhältniss wie im Germanischen, -<hi rendition="#i">sja</hi> gilt als Suffix bei Nomen<lb/>
und Pronomen; ebenso verhält es sich im Griechischen. Die italischen Sprachen<lb/>
müssen bei der noch immer bestehenden Unsicherheit der Erklärung und nament-<lb/>
lich der Schwierigkeit einer solchen bei den pronominalen Formen wie lat. <hi rendition="#i">illius</hi><lb/>
u. s. w. vorläufig unberücksichtigt bleiben; es wird sich Gelegenheit zu ihrer<lb/>
Benutzung gleich im folgenden finden. Das Keltische giebt keine Möglichkeit<lb/>
einer sicheren Zurückführung der Formen. Man kann also, ohne auf die Frage<lb/>
nach der ursprünglichen Zugehörigkeit des -<hi rendition="#i">sja</hi> einzugehen, das Factum so aus-<lb/>
sprechen: im Germanischen, Arischen, Griechischen hat der gen. sg. msc.-ntr.<lb/>
der <hi rendition="#i">a</hi>-stämme, einerlei ob diese nominal oder pronominal sind, als Suffix<lb/>
nur -<hi rendition="#i">sja</hi>.</p><lb/>
                  <p>Im Slavischen und Litauischen ist nun das Verhältniss zwischen Pronomen<lb/>
und Nomen ein anderes. Die Formen des Nomens, lit. <hi rendition="#i">vìlk&#x014D;</hi>, slav. <hi rendition="#i">vl&#x016D;ka</hi> = <hi rendition="#i">vl&#x016D;k&#x0101;</hi><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0066] a. Declination drr Nomina. daher auch fraglich, ob die Heranziehung von suniu neben sunau irgend etwas beweist; der Genitivform liegt sicher in keiner germanischen Sprache ein aus *sunavas durch Vocalschwächung entstandenes *sunivas zu Grunde, so dass in diesem Casus die Parallelität der beiden Stammclassen jedenfalls fehlt. Somit bleibt, worauf es hier ankommt, die zweite Möglichkeit offen, dass in enstî die dem griech. πόλιος analoge Bildung vorliege, und wir im Germanischen beide Weisen, gesteigerten Auslaut in got. anstais, ungesteigerten in ahd. enstî anzu- nehmen haben. Wir werden die Spuren solcher Doppelbildungen auch bei den übrigen Casus zu suchen haben, um zu einem relativ sicheren Resultat zu ge- langen. C. a-stämme. a) masc.-neutra. Am leichtesten ist hier die Entscheidung über das Germanische: got. vulfis, so wie die Formen der übrigen germanischen Sprachen, die dieser völlig ent- sprechen *), kann eine Endung -is nur aus ursprünglichem -asja haben, das durch Assimilation zu *assa, *-issa, durch das vocalische Auslautsgesetz endlich zu -is, d. h. *iss wurde. Dass so der Vorgang war, dass Assimilation des sj zu ss stattfand, beweist die altnord. Form úlfs durch die Nichtverwandlung des auslautenden s in r, die bei ursprünglich einfachem s nothwendig ist (s. Ebel, KZ. IV, 149). Zugleich besteht im Germanischen kein Unterschied zwischen dem gen. sg. msc.-ntr. der substantivischen und dem der Pronominalstämme (abge- sehen vom Personalpronomen), got. þis = tasja. Ehe wir zu den sehr abweichenden Formen der beiden anderen Sprachen übergehen, wird es zweckmässig sein, an die Gestalten dieses Casus in der Ge- sammtheit der indogermanischen Sprachen zu erinnern. Im Arischen waltet genau dasselbe Verhältniss wie im Germanischen, -sja gilt als Suffix bei Nomen und Pronomen; ebenso verhält es sich im Griechischen. Die italischen Sprachen müssen bei der noch immer bestehenden Unsicherheit der Erklärung und nament- lich der Schwierigkeit einer solchen bei den pronominalen Formen wie lat. illius u. s. w. vorläufig unberücksichtigt bleiben; es wird sich Gelegenheit zu ihrer Benutzung gleich im folgenden finden. Das Keltische giebt keine Möglichkeit einer sicheren Zurückführung der Formen. Man kann also, ohne auf die Frage nach der ursprünglichen Zugehörigkeit des -sja einzugehen, das Factum so aus- sprechen: im Germanischen, Arischen, Griechischen hat der gen. sg. msc.-ntr. der a-stämme, einerlei ob diese nominal oder pronominal sind, als Suffix nur -sja. Im Slavischen und Litauischen ist nun das Verhältniss zwischen Pronomen und Nomen ein anderes. Die Formen des Nomens, lit. vìlkō, slav. vlŭka = vlŭkā *) Scheinbare Differenz im Vocalismus, die aber die Grundform nicht berührt, findet statt im altsächs. -as, aber dieses a, sowie das gelegentlich auch in anderen Dialekten er- scheinende (s. Scherer a. a. O. S. 437) ist sicher erst secundär aus e entstanden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/leskien_declination_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/leskien_declination_1876/66
Zitationshilfe: Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leskien_declination_1876/66>, abgerufen am 28.03.2024.