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Lesser, Ludwig: Zur Geschichte der Berliner Börse und des Eisenbahnaktien-Handels. Berlin, 1844.

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Eingeweihten sehr lächerlichen) Formen der Auseinan-
dersetzung durch den Schein der Unpartheilichkeit auf
die Aktienhändler einzuwirken. Der böse Same der
Agiotage wurde dadurch leider immer mehr von dem
speciellen Boden der Börse auf den allgemeinen des
größeren Geldpublikums ausgestreut; der Zeitunglesende
Fabrikant, Rentier, Privatmann wurde mehr und mehr
für das Aktienwesen interessirt, er nahm Parthei und
wurde bald selbst in steigender Progression Anfangs
Aktienkäufer, dann Aktienspekulant. Unläugbar war
dabei nicht ohne besondren Einfluß die Sprache, welche
die Verfasser der "Börsenberichte" in den Zeitungen
hinsichtlich des Aktienwerthes führten. Wenn sie auch
nicht als amtlich bestallte Personen betrachtet werden
konnten, so mußten sie doch in den Augen der Lese-
welt als "Sachverständige" für eine Autorität gelten,
deren Ansichten maßgebend seien, und so kam es, daß
sie, die sich meistens günstig für das Steigen der Ak-
tien aussprachen, unbedingt zum vermehrten Ankauf
derselben Seitens der Privatleute beitrugen. Jst nun
auch wohl anzunehmen, daß die Raisonnements jener
Berichterstatter gut gemeint und wenigstens theilweise
das Ergebniß eigner Ueberzeugung (gewiß aber mei-
stens nur der Ausdruck der Wünsche oder Ueberzeu-
gungen Andrer) waren, so wäre es doch auch ihre
Pflicht gewesen, oft ihre warme Beredsamkeit durch
ruhige Besonnenheit zu mäßigen, und namentlich auch
ihre Stimme warnend vor zu großen Hoffnungen
und Spekulationen vernehmen zu lassen, was sie jedoch
keineswegs thaten. Jndeß darf es nicht ungesagt
bleiben, daß gerade je mehr die Course stiegen und

Eingeweihten ſehr lächerlichen) Formen der Auseinan-
derſetzung durch den Schein der Unpartheilichkeit auf
die Aktienhändler einzuwirken. Der böſe Same der
Agiotage wurde dadurch leider immer mehr von dem
ſpeciellen Boden der Börſe auf den allgemeinen des
größeren Geldpublikums ausgeſtreut; der Zeitungleſende
Fabrikant, Rentier, Privatmann wurde mehr und mehr
für das Aktienweſen intereſſirt, er nahm Parthei und
wurde bald ſelbſt in ſteigender Progreſſion Anfangs
Aktienkäufer, dann Aktienſpekulant. Unläugbar war
dabei nicht ohne beſondren Einfluß die Sprache, welche
die Verfaſſer der „Börſenberichte″ in den Zeitungen
hinſichtlich des Aktienwerthes führten. Wenn ſie auch
nicht als amtlich beſtallte Perſonen betrachtet werden
konnten, ſo mußten ſie doch in den Augen der Leſe-
welt als „Sachverſtändige″ für eine Autorität gelten,
deren Anſichten maßgebend ſeien, und ſo kam es, daß
ſie, die ſich meiſtens günſtig für das Steigen der Ak-
tien ausſprachen, unbedingt zum vermehrten Ankauf
derſelben Seitens der Privatleute beitrugen. Jſt nun
auch wohl anzunehmen, daß die Raiſonnements jener
Berichterſtatter gut gemeint und wenigſtens theilweiſe
das Ergebniß eigner Ueberzeugung (gewiß aber mei-
ſtens nur der Ausdruck der Wünſche oder Ueberzeu-
gungen Andrer) waren, ſo wäre es doch auch ihre
Pflicht geweſen, oft ihre warme Beredſamkeit durch
ruhige Beſonnenheit zu mäßigen, und namentlich auch
ihre Stimme warnend vor zu großen Hoffnungen
und Spekulationen vernehmen zu laſſen, was ſie jedoch
keineswegs thaten. Jndeß darf es nicht ungeſagt
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[9/0015] Eingeweihten ſehr lächerlichen) Formen der Auseinan- derſetzung durch den Schein der Unpartheilichkeit auf die Aktienhändler einzuwirken. Der böſe Same der Agiotage wurde dadurch leider immer mehr von dem ſpeciellen Boden der Börſe auf den allgemeinen des größeren Geldpublikums ausgeſtreut; der Zeitungleſende Fabrikant, Rentier, Privatmann wurde mehr und mehr für das Aktienweſen intereſſirt, er nahm Parthei und wurde bald ſelbſt in ſteigender Progreſſion Anfangs Aktienkäufer, dann Aktienſpekulant. Unläugbar war dabei nicht ohne beſondren Einfluß die Sprache, welche die Verfaſſer der „Börſenberichte″ in den Zeitungen hinſichtlich des Aktienwerthes führten. Wenn ſie auch nicht als amtlich beſtallte Perſonen betrachtet werden konnten, ſo mußten ſie doch in den Augen der Leſe- welt als „Sachverſtändige″ für eine Autorität gelten, deren Anſichten maßgebend ſeien, und ſo kam es, daß ſie, die ſich meiſtens günſtig für das Steigen der Ak- tien ausſprachen, unbedingt zum vermehrten Ankauf derſelben Seitens der Privatleute beitrugen. Jſt nun auch wohl anzunehmen, daß die Raiſonnements jener Berichterſtatter gut gemeint und wenigſtens theilweiſe das Ergebniß eigner Ueberzeugung (gewiß aber mei- ſtens nur der Ausdruck der Wünſche oder Ueberzeu- gungen Andrer) waren, ſo wäre es doch auch ihre Pflicht geweſen, oft ihre warme Beredſamkeit durch ruhige Beſonnenheit zu mäßigen, und namentlich auch ihre Stimme warnend vor zu großen Hoffnungen und Spekulationen vernehmen zu laſſen, was ſie jedoch keineswegs thaten. Jndeß darf es nicht ungeſagt bleiben, daß gerade je mehr die Courſe ſtiegen und

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Zitationshilfe: Lesser, Ludwig: Zur Geschichte der Berliner Börse und des Eisenbahnaktien-Handels. Berlin, 1844, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lesser_boerse_1844/15>, abgerufen am 28.03.2024.