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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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Hamburgische
Dramaturgie.


Zwey und vierzigstes Stück.





Es ist nicht zu leugnen, daß ein guter Theil
der Fehler, welche Voltaire als Eigen-
thümlichkeiten des italienischen Geschmacks
nur deswegen an seinem Vorgänger zu entschul-
digen scheinet, um sie der italienischen Nation
überhaupt zur Last zu legen, daß, sage ich, die-
se, und noch mehrere, und noch größere, sich
in der Merope des Maffei befinden. Maffei
hatte in seiner Jugend viel Neigung zur Poesie;
er machte mit vieler Leichtigkeit Verse, in allen
verschiednen Stilen der berühmtesten Dichter
seines Landes: doch diese Neigung und diese
Leichtigkeit beweisen für das eigentliche Genie,
welches zur Tragödie erfodert wird, wenig oder
nichts. Hernach legte er sich auf die Geschichte,
auf Kritik und Alterthümer; und ich zweifle, ob
diese Studien die rechte Nahrung für das tragi-
sche Genie sind. Er war unter Kirchenväter

und
T t
Hamburgiſche
Dramaturgie.


Zwey und vierzigſtes Stuͤck.





Es iſt nicht zu leugnen, daß ein guter Theil
der Fehler, welche Voltaire als Eigen-
thuͤmlichkeiten des italieniſchen Geſchmacks
nur deswegen an ſeinem Vorgaͤnger zu entſchul-
digen ſcheinet, um ſie der italieniſchen Nation
uͤberhaupt zur Laſt zu legen, daß, ſage ich, die-
ſe, und noch mehrere, und noch groͤßere, ſich
in der Merope des Maffei befinden. Maffei
hatte in ſeiner Jugend viel Neigung zur Poeſie;
er machte mit vieler Leichtigkeit Verſe, in allen
verſchiednen Stilen der beruͤhmteſten Dichter
ſeines Landes: doch dieſe Neigung und dieſe
Leichtigkeit beweiſen fuͤr das eigentliche Genie,
welches zur Tragoͤdie erfodert wird, wenig oder
nichts. Hernach legte er ſich auf die Geſchichte,
auf Kritik und Alterthuͤmer; und ich zweifle, ob
dieſe Studien die rechte Nahrung fuͤr das tragi-
ſche Genie ſind. Er war unter Kirchenvaͤter

und
T t
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[[329]/0343] Hamburgiſche Dramaturgie. Zwey und vierzigſtes Stuͤck. Den 22ſten September, 1767. Es iſt nicht zu leugnen, daß ein guter Theil der Fehler, welche Voltaire als Eigen- thuͤmlichkeiten des italieniſchen Geſchmacks nur deswegen an ſeinem Vorgaͤnger zu entſchul- digen ſcheinet, um ſie der italieniſchen Nation uͤberhaupt zur Laſt zu legen, daß, ſage ich, die- ſe, und noch mehrere, und noch groͤßere, ſich in der Merope des Maffei befinden. Maffei hatte in ſeiner Jugend viel Neigung zur Poeſie; er machte mit vieler Leichtigkeit Verſe, in allen verſchiednen Stilen der beruͤhmteſten Dichter ſeines Landes: doch dieſe Neigung und dieſe Leichtigkeit beweiſen fuͤr das eigentliche Genie, welches zur Tragoͤdie erfodert wird, wenig oder nichts. Hernach legte er ſich auf die Geſchichte, auf Kritik und Alterthuͤmer; und ich zweifle, ob dieſe Studien die rechte Nahrung fuͤr das tragi- ſche Genie ſind. Er war unter Kirchenvaͤter und T t

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. [329]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/343>, abgerufen am 23.04.2024.