Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

In dieser Musterung der Fr. Praatgern über-
haupt, hat der Dichter deutlich genug bemerkt,
wie er das Aeusserliche seiner stummen Schöne zu
seyn wünsche. Gleichfalls schön, nur nicht reitzend.

"Laß sehn, wie trägst du dich? -- Den Kopf
nicht so zurücke!

Dummheit ohne Erziehung hält den Kopf mehr
vorwärts, als zurück; ihn zurück halten, lehrt
der Tanzmeister; man muß also Charlotten den
Tanzmeister ansehen, und je mehr, je besser;
denn das schadet ihrer Stummheit nichts, viel-
mehr sind die zierlich steifen Tanzmeistermanieren
gerade die, welche der stummen Schönheit am
meisten entsprechen; sie zeigen die Schönheit in
ihrem besten Vortheile, nur daß sie ihr das
Leben nehmen.

"Wer fragt: hat sie Verstand? der seh nur ihre
Blicke.

Recht wohl, wenn man eine Schauspielerinn
mit großen schönen Augen zu dieser Rolle hat.
Nur müssen sich diese schöne Augen wenig oder
gar nicht regen; ihre Blicke müssen langsam und
stier seyn; sie müssen uns, mit ihrem unbeweg-
lichen Brennpunkte, in Flammen setzen wollen,
aber nichts sagen.

"Geh doch einmal herum. -- Gut! hieher! --
Neige dich!
"Da haben wirs, das fehlt. Nein, sieh! So
neigt man sich.

Diese

In dieſer Muſterung der Fr. Praatgern uͤber-
haupt, hat der Dichter deutlich genug bemerkt,
wie er das Aeuſſerliche ſeiner ſtummen Schoͤne zu
ſeyn wuͤnſche. Gleichfalls ſchoͤn, nur nicht reitzend.

„Laß ſehn, wie traͤgſt du dich? — Den Kopf
nicht ſo zuruͤcke!

Dummheit ohne Erziehung haͤlt den Kopf mehr
vorwaͤrts, als zuruͤck; ihn zuruͤck halten, lehrt
der Tanzmeiſter; man muß alſo Charlotten den
Tanzmeiſter anſehen, und je mehr, je beſſer;
denn das ſchadet ihrer Stummheit nichts, viel-
mehr ſind die zierlich ſteifen Tanzmeiſtermanieren
gerade die, welche der ſtummen Schoͤnheit am
meiſten entſprechen; ſie zeigen die Schoͤnheit in
ihrem beſten Vortheile, nur daß ſie ihr das
Leben nehmen.

„Wer fragt: hat ſie Verſtand? der ſeh nur ihre
Blicke.

Recht wohl, wenn man eine Schauſpielerinn
mit großen ſchoͤnen Augen zu dieſer Rolle hat.
Nur muͤſſen ſich dieſe ſchoͤne Augen wenig oder
gar nicht regen; ihre Blicke muͤſſen langſam und
ſtier ſeyn; ſie muͤſſen uns, mit ihrem unbeweg-
lichen Brennpunkte, in Flammen ſetzen wollen,
aber nichts ſagen.

„Geh doch einmal herum. — Gut! hieher! —
Neige dich!
„Da haben wirs, das fehlt. Nein, ſieh! So
neigt man ſich.

Dieſe
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0116" n="102"/>
        <p>In die&#x017F;er Mu&#x017F;terung der Fr. Praatgern u&#x0364;ber-<lb/>
haupt, hat der Dichter deutlich genug bemerkt,<lb/>
wie er das Aeu&#x017F;&#x017F;erliche &#x017F;einer &#x017F;tummen Scho&#x0364;ne zu<lb/>
&#x017F;eyn wu&#x0364;n&#x017F;che. Gleichfalls &#x017F;cho&#x0364;n, nur nicht reitzend.</p><lb/>
        <cit>
          <quote>&#x201E;Laß &#x017F;ehn, wie tra&#x0364;g&#x017F;t du dich? &#x2014; Den Kopf<lb/><hi rendition="#et">nicht &#x017F;o zuru&#x0364;cke!</hi></quote>
        </cit><lb/>
        <p>Dummheit ohne Erziehung ha&#x0364;lt den Kopf mehr<lb/>
vorwa&#x0364;rts, als zuru&#x0364;ck; ihn zuru&#x0364;ck halten, lehrt<lb/>
der Tanzmei&#x017F;ter; man muß al&#x017F;o Charlotten den<lb/>
Tanzmei&#x017F;ter an&#x017F;ehen, und je mehr, je be&#x017F;&#x017F;er;<lb/>
denn das &#x017F;chadet ihrer Stummheit nichts, viel-<lb/>
mehr &#x017F;ind die zierlich &#x017F;teifen Tanzmei&#x017F;termanieren<lb/>
gerade die, welche der &#x017F;tummen Scho&#x0364;nheit am<lb/>
mei&#x017F;ten ent&#x017F;prechen; &#x017F;ie zeigen die Scho&#x0364;nheit in<lb/>
ihrem be&#x017F;ten Vortheile, nur daß &#x017F;ie ihr das<lb/>
Leben nehmen.</p><lb/>
        <cit>
          <quote>&#x201E;Wer fragt: hat &#x017F;ie Ver&#x017F;tand? der &#x017F;eh nur ihre<lb/><hi rendition="#et">Blicke.</hi></quote>
        </cit><lb/>
        <p>Recht wohl, wenn man eine Schau&#x017F;pielerinn<lb/>
mit großen &#x017F;cho&#x0364;nen Augen zu die&#x017F;er Rolle hat.<lb/>
Nur mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich die&#x017F;e &#x017F;cho&#x0364;ne Augen wenig oder<lb/>
gar nicht regen; ihre Blicke mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en lang&#x017F;am und<lb/>
&#x017F;tier &#x017F;eyn; &#x017F;ie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en uns, mit ihrem unbeweg-<lb/>
lichen Brennpunkte, in Flammen &#x017F;etzen wollen,<lb/>
aber nichts &#x017F;agen.</p><lb/>
        <cit>
          <quote>&#x201E;Geh doch einmal herum. &#x2014; Gut! hieher! &#x2014;<lb/><hi rendition="#et">Neige dich!</hi><lb/>
&#x201E;Da haben wirs, das fehlt. Nein, &#x017F;ieh! So<lb/><hi rendition="#et">neigt man &#x017F;ich.</hi></quote>
        </cit><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Die&#x017F;e</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0116] In dieſer Muſterung der Fr. Praatgern uͤber- haupt, hat der Dichter deutlich genug bemerkt, wie er das Aeuſſerliche ſeiner ſtummen Schoͤne zu ſeyn wuͤnſche. Gleichfalls ſchoͤn, nur nicht reitzend. „Laß ſehn, wie traͤgſt du dich? — Den Kopf nicht ſo zuruͤcke! Dummheit ohne Erziehung haͤlt den Kopf mehr vorwaͤrts, als zuruͤck; ihn zuruͤck halten, lehrt der Tanzmeiſter; man muß alſo Charlotten den Tanzmeiſter anſehen, und je mehr, je beſſer; denn das ſchadet ihrer Stummheit nichts, viel- mehr ſind die zierlich ſteifen Tanzmeiſtermanieren gerade die, welche der ſtummen Schoͤnheit am meiſten entſprechen; ſie zeigen die Schoͤnheit in ihrem beſten Vortheile, nur daß ſie ihr das Leben nehmen. „Wer fragt: hat ſie Verſtand? der ſeh nur ihre Blicke. Recht wohl, wenn man eine Schauſpielerinn mit großen ſchoͤnen Augen zu dieſer Rolle hat. Nur muͤſſen ſich dieſe ſchoͤne Augen wenig oder gar nicht regen; ihre Blicke muͤſſen langſam und ſtier ſeyn; ſie muͤſſen uns, mit ihrem unbeweg- lichen Brennpunkte, in Flammen ſetzen wollen, aber nichts ſagen. „Geh doch einmal herum. — Gut! hieher! — Neige dich! „Da haben wirs, das fehlt. Nein, ſieh! So neigt man ſich. Dieſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/116
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/116>, abgerufen am 25.04.2024.