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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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lich, daß der Hr. von Voltaire die Uebersetzung sei-
nes Stücks nicht genauer sollte angesehen haben,
als ich, oder ein anderer. Gleichwohl muß es so
seyn. Denn so gewiß sie in reimfreyen Versen ist,
so gewiß schließt sich auch jeder Akt mit zwey oder
vier gereimten Zeilen. Vergleichungen enthalten
sie freylich nicht; aber, wie gesagt, unter allen der-
gleichen gereimten Zeilen, mit welchen Shake-
spear, und Johnson, und Dryden, und Lee, und
Otway, und Rowe, und wie sie alle heissen, ihre
Aufzüge schliessen, sind sicherlich hundert gegen
fünfe, die gleichfalls keine enthalten. Was hatte
denn Hill also besonders? Hätte er aber auch wirk-
lich das Besondere gehabt, das ihm Voltaire lei-
het: so wäre doch drittens das nicht wahr, daß sein
Beyspiel von dem Einflusse gewesen, von dem es
Voltaire seyn läßt. Noch bis diese Stunde erschei-
nen in England eben so viel, wo nicht noch mehr
Trauerspiele, deren Akte sich mit gereimten Zeilen
enden, als die es nicht thun. Hill selbst hat in kei-
nem einzigen Stücke, deren er doch verschiedene,
noch nach der Uebersetzung der Zayre, gemacht, sich
der alten Mode gänzlich entäußert. Und was ist es
denn nun, ob wir zuletzt Reime hören oder keine?
Wenn sie da sind, können sie vielleicht dem Orche-
ster noch nutzen; als Zeichen nehmlich, nach den
Instrumenten zu greifen, welches Zeichen auf diese
Art weit schicklicher aus dem Stücke selbst abge-
nommen würde, als daß es die Pfeiffe oder der
Schlüssel giebt.

Ham-

lich, daß der Hr. von Voltaire die Ueberſetzung ſei-
nes Stuͤcks nicht genauer ſollte angeſehen haben,
als ich, oder ein anderer. Gleichwohl muß es ſo
ſeyn. Denn ſo gewiß ſie in reimfreyen Verſen iſt,
ſo gewiß ſchließt ſich auch jeder Akt mit zwey oder
vier gereimten Zeilen. Vergleichungen enthalten
ſie freylich nicht; aber, wie geſagt, unter allen der-
gleichen gereimten Zeilen, mit welchen Shake-
ſpear, und Johnſon, und Dryden, und Lee, und
Otway, und Rowe, und wie ſie alle heiſſen, ihre
Aufzuͤge ſchlieſſen, ſind ſicherlich hundert gegen
fuͤnfe, die gleichfalls keine enthalten. Was hatte
denn Hill alſo beſonders? Haͤtte er aber auch wirk-
lich das Beſondere gehabt, das ihm Voltaire lei-
het: ſo waͤre doch drittens das nicht wahr, daß ſein
Beyſpiel von dem Einfluſſe geweſen, von dem es
Voltaire ſeyn laͤßt. Noch bis dieſe Stunde erſchei-
nen in England eben ſo viel, wo nicht noch mehr
Trauerſpiele, deren Akte ſich mit gereimten Zeilen
enden, als die es nicht thun. Hill ſelbſt hat in kei-
nem einzigen Stuͤcke, deren er doch verſchiedene,
noch nach der Ueberſetzung der Zayre, gemacht, ſich
der alten Mode gaͤnzlich entaͤußert. Und was iſt es
denn nun, ob wir zuletzt Reime hoͤren oder keine?
Wenn ſie da ſind, koͤnnen ſie vielleicht dem Orche-
ſter noch nutzen; als Zeichen nehmlich, nach den
Inſtrumenten zu greifen, welches Zeichen auf dieſe
Art weit ſchicklicher aus dem Stuͤcke ſelbſt abge-
nommen wuͤrde, als daß es die Pfeiffe oder der
Schluͤſſel giebt.

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[120/0134] lich, daß der Hr. von Voltaire die Ueberſetzung ſei- nes Stuͤcks nicht genauer ſollte angeſehen haben, als ich, oder ein anderer. Gleichwohl muß es ſo ſeyn. Denn ſo gewiß ſie in reimfreyen Verſen iſt, ſo gewiß ſchließt ſich auch jeder Akt mit zwey oder vier gereimten Zeilen. Vergleichungen enthalten ſie freylich nicht; aber, wie geſagt, unter allen der- gleichen gereimten Zeilen, mit welchen Shake- ſpear, und Johnſon, und Dryden, und Lee, und Otway, und Rowe, und wie ſie alle heiſſen, ihre Aufzuͤge ſchlieſſen, ſind ſicherlich hundert gegen fuͤnfe, die gleichfalls keine enthalten. Was hatte denn Hill alſo beſonders? Haͤtte er aber auch wirk- lich das Beſondere gehabt, das ihm Voltaire lei- het: ſo waͤre doch drittens das nicht wahr, daß ſein Beyſpiel von dem Einfluſſe geweſen, von dem es Voltaire ſeyn laͤßt. Noch bis dieſe Stunde erſchei- nen in England eben ſo viel, wo nicht noch mehr Trauerſpiele, deren Akte ſich mit gereimten Zeilen enden, als die es nicht thun. Hill ſelbſt hat in kei- nem einzigen Stuͤcke, deren er doch verſchiedene, noch nach der Ueberſetzung der Zayre, gemacht, ſich der alten Mode gaͤnzlich entaͤußert. Und was iſt es denn nun, ob wir zuletzt Reime hoͤren oder keine? Wenn ſie da ſind, koͤnnen ſie vielleicht dem Orche- ſter noch nutzen; als Zeichen nehmlich, nach den Inſtrumenten zu greifen, welches Zeichen auf dieſe Art weit ſchicklicher aus dem Stuͤcke ſelbſt abge- nommen wuͤrde, als daß es die Pfeiffe oder der Schluͤſſel giebt. Ham-

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/134>, abgerufen am 28.03.2024.