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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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und Unwitzige nachsagen; aber die Sprache des
Herzens kann nur das Herz treffen. Sie hat
ihre eigene Regeln; und es ist ganz um sie ge-
schehen, sobald man diese verkennt, und sie da-
für den Regeln der Grammatik unterwerfen,
und ihr alle die kalte Vollständigkeit, alle die
langweilige Deutlichkeit geben will, die wir an
einem logischen Satze verlangen. Z. E. Do-
rimond hat dem Mericourt eine ansehnliche Ver-
bindung, nebst dem vierten Theile seines Ver-
mögens, zugedacht. Aber das ist das wenigste,
worauf Mericourt geht; er verweigert sich dem
großmüthigen Anerbieten, und will sich ihm aus
Uneigennützigkeit verweigert zu haben scheinen.
"Wozu das? sagt er. Warum wollen Sie sich
ihres Vermögens berauben? Genießen Sie ih-
rer Güter selbst; sie haben Ihnen Gefahr und
Arbeit genug gekostet." J'en jouirai, je vous
rendrai tous heureux:
läßt die Graffigny den
lieben gutherzigen Alten antworten. "Ich will
ihrer genießen, ich will euch alle glücklich machen."

Vortrefflich! Hier ist kein Wort zu viel! Die
wahre nachläßige Kürze, mit der ein Mann,
dem Güte zur Natur geworden ist, von seiner
Güte spricht, wenn er davon sprechen muß!
Seines Glückes genießen, andere glücklich
machen: beides ist ihm nur eines; das eine ist
ihm nicht blos eine Folge des andern, ein Theil
des andern; das eine ist ihm ganz das andere:

und

und Unwitzige nachſagen; aber die Sprache des
Herzens kann nur das Herz treffen. Sie hat
ihre eigene Regeln; und es iſt ganz um ſie ge-
ſchehen, ſobald man dieſe verkennt, und ſie da-
fuͤr den Regeln der Grammatik unterwerfen,
und ihr alle die kalte Vollſtaͤndigkeit, alle die
langweilige Deutlichkeit geben will, die wir an
einem logiſchen Satze verlangen. Z. E. Do-
rimond hat dem Mericourt eine anſehnliche Ver-
bindung, nebſt dem vierten Theile ſeines Ver-
moͤgens, zugedacht. Aber das iſt das wenigſte,
worauf Mericourt geht; er verweigert ſich dem
großmuͤthigen Anerbieten, und will ſich ihm aus
Uneigennuͤtzigkeit verweigert zu haben ſcheinen.
„Wozu das? ſagt er. Warum wollen Sie ſich
ihres Vermoͤgens berauben? Genießen Sie ih-
rer Guͤter ſelbſt; ſie haben Ihnen Gefahr und
Arbeit genug gekoſtet.„ J’en jouirai, je vous
rendrai tous heureux:
laͤßt die Graffigny den
lieben gutherzigen Alten antworten. „Ich will
ihrer genießen, ich will euch alle gluͤcklich machen.„

Vortrefflich! Hier iſt kein Wort zu viel! Die
wahre nachlaͤßige Kuͤrze, mit der ein Mann,
dem Guͤte zur Natur geworden iſt, von ſeiner
Guͤte ſpricht, wenn er davon ſprechen muß!
Seines Gluͤckes genießen, andere gluͤcklich
machen: beides iſt ihm nur eines; das eine iſt
ihm nicht blos eine Folge des andern, ein Theil
des andern; das eine iſt ihm ganz das andere:

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[154/0168] und Unwitzige nachſagen; aber die Sprache des Herzens kann nur das Herz treffen. Sie hat ihre eigene Regeln; und es iſt ganz um ſie ge- ſchehen, ſobald man dieſe verkennt, und ſie da- fuͤr den Regeln der Grammatik unterwerfen, und ihr alle die kalte Vollſtaͤndigkeit, alle die langweilige Deutlichkeit geben will, die wir an einem logiſchen Satze verlangen. Z. E. Do- rimond hat dem Mericourt eine anſehnliche Ver- bindung, nebſt dem vierten Theile ſeines Ver- moͤgens, zugedacht. Aber das iſt das wenigſte, worauf Mericourt geht; er verweigert ſich dem großmuͤthigen Anerbieten, und will ſich ihm aus Uneigennuͤtzigkeit verweigert zu haben ſcheinen. „Wozu das? ſagt er. Warum wollen Sie ſich ihres Vermoͤgens berauben? Genießen Sie ih- rer Guͤter ſelbſt; ſie haben Ihnen Gefahr und Arbeit genug gekoſtet.„ J’en jouirai, je vous rendrai tous heureux: laͤßt die Graffigny den lieben gutherzigen Alten antworten. „Ich will ihrer genießen, ich will euch alle gluͤcklich machen.„ Vortrefflich! Hier iſt kein Wort zu viel! Die wahre nachlaͤßige Kuͤrze, mit der ein Mann, dem Guͤte zur Natur geworden iſt, von ſeiner Guͤte ſpricht, wenn er davon ſprechen muß! Seines Gluͤckes genießen, andere gluͤcklich machen: beides iſt ihm nur eines; das eine iſt ihm nicht blos eine Folge des andern, ein Theil des andern; das eine iſt ihm ganz das andere: und

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/168>, abgerufen am 24.04.2024.