Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

mal so häßlich erklärt, als es wirklich ist; und
der Dichter hat nur zu wählen, ob er von uns
lieber für ein Giftmischer oder für einen Blödsin-
nigen will gehalten seyn. So wäre es dem Fa-
vart, so wäre es seinen Charakteren des Soli-
manns und der Roxelane ergangen; und das
empfand Favart. Aber da er diese Charaktere
nicht von Anfang ändern konnte, ohne sich eine
Menge Theaterspiele zu verderben, die er so voll-
kommen nach dem Geschmacke seines Parterrs zu
seyn urtheilte, so blieb ihn nichts zu thun übrig,
als was er that. Nun freuen wir uns, uns an
nichts vergnügt zu haben, was wir nicht auch
hochachten könnten; und zugleich befriediget diese
Hochachtung unsere Neugierde und Besorgniß
wegen der Zukunft. Denn da die Illusion des
Drama weit stärker ist, als einer bloßen Erzeh-
lung, so interessiren uns auch die Personen in
jenem weit mehr, als in dieser, und wir begnü-
gen uns nicht, ihr Schicksal bloß für den gegen-
wärtigen Augenblick entschieden zu sehen, son-
dern wir wollen uns auf immer desfalls zufrieden
gestellet wissen.



Ham-

mal ſo haͤßlich erklaͤrt, als es wirklich iſt; und
der Dichter hat nur zu waͤhlen, ob er von uns
lieber fuͤr ein Giftmiſcher oder fuͤr einen Bloͤdſin-
nigen will gehalten ſeyn. So waͤre es dem Fa-
vart, ſo waͤre es ſeinen Charakteren des Soli-
manns und der Roxelane ergangen; und das
empfand Favart. Aber da er dieſe Charaktere
nicht von Anfang aͤndern konnte, ohne ſich eine
Menge Theaterſpiele zu verderben, die er ſo voll-
kommen nach dem Geſchmacke ſeines Parterrs zu
ſeyn urtheilte, ſo blieb ihn nichts zu thun uͤbrig,
als was er that. Nun freuen wir uns, uns an
nichts vergnuͤgt zu haben, was wir nicht auch
hochachten koͤnnten; und zugleich befriediget dieſe
Hochachtung unſere Neugierde und Beſorgniß
wegen der Zukunft. Denn da die Illuſion des
Drama weit ſtaͤrker iſt, als einer bloßen Erzeh-
lung, ſo intereſſiren uns auch die Perſonen in
jenem weit mehr, als in dieſer, und wir begnuͤ-
gen uns nicht, ihr Schickſal bloß fuͤr den gegen-
waͤrtigen Augenblick entſchieden zu ſehen, ſon-
dern wir wollen uns auf immer desfalls zufrieden
geſtellet wiſſen.



Ham-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0294" n="280"/>
mal &#x017F;o ha&#x0364;ßlich erkla&#x0364;rt, als es wirklich i&#x017F;t; und<lb/>
der Dichter hat nur zu wa&#x0364;hlen, ob er von uns<lb/>
lieber fu&#x0364;r ein Giftmi&#x017F;cher oder fu&#x0364;r einen Blo&#x0364;d&#x017F;in-<lb/>
nigen will gehalten &#x017F;eyn. So wa&#x0364;re es dem Fa-<lb/>
vart, &#x017F;o wa&#x0364;re es &#x017F;einen Charakteren des Soli-<lb/>
manns und der Roxelane ergangen; und das<lb/>
empfand Favart. Aber da er die&#x017F;e Charaktere<lb/>
nicht von Anfang a&#x0364;ndern konnte, ohne &#x017F;ich eine<lb/>
Menge Theater&#x017F;piele zu verderben, die er &#x017F;o voll-<lb/>
kommen nach dem Ge&#x017F;chmacke &#x017F;eines Parterrs zu<lb/>
&#x017F;eyn urtheilte, &#x017F;o blieb ihn nichts zu thun u&#x0364;brig,<lb/>
als was er that. Nun freuen wir uns, uns an<lb/>
nichts vergnu&#x0364;gt zu haben, was wir nicht auch<lb/>
hochachten ko&#x0364;nnten; und zugleich befriediget die&#x017F;e<lb/>
Hochachtung un&#x017F;ere Neugierde und Be&#x017F;orgniß<lb/>
wegen der Zukunft. Denn da die Illu&#x017F;ion des<lb/>
Drama weit &#x017F;ta&#x0364;rker i&#x017F;t, als einer bloßen Erzeh-<lb/>
lung, &#x017F;o intere&#x017F;&#x017F;iren uns auch die Per&#x017F;onen in<lb/>
jenem weit mehr, als in die&#x017F;er, und wir begnu&#x0364;-<lb/>
gen uns nicht, ihr Schick&#x017F;al bloß fu&#x0364;r den gegen-<lb/>
wa&#x0364;rtigen Augenblick ent&#x017F;chieden zu &#x017F;ehen, &#x017F;on-<lb/>
dern wir wollen uns auf immer desfalls zufrieden<lb/>
ge&#x017F;tellet wi&#x017F;&#x017F;en.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Ham-</hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0294] mal ſo haͤßlich erklaͤrt, als es wirklich iſt; und der Dichter hat nur zu waͤhlen, ob er von uns lieber fuͤr ein Giftmiſcher oder fuͤr einen Bloͤdſin- nigen will gehalten ſeyn. So waͤre es dem Fa- vart, ſo waͤre es ſeinen Charakteren des Soli- manns und der Roxelane ergangen; und das empfand Favart. Aber da er dieſe Charaktere nicht von Anfang aͤndern konnte, ohne ſich eine Menge Theaterſpiele zu verderben, die er ſo voll- kommen nach dem Geſchmacke ſeines Parterrs zu ſeyn urtheilte, ſo blieb ihn nichts zu thun uͤbrig, als was er that. Nun freuen wir uns, uns an nichts vergnuͤgt zu haben, was wir nicht auch hochachten koͤnnten; und zugleich befriediget dieſe Hochachtung unſere Neugierde und Beſorgniß wegen der Zukunft. Denn da die Illuſion des Drama weit ſtaͤrker iſt, als einer bloßen Erzeh- lung, ſo intereſſiren uns auch die Perſonen in jenem weit mehr, als in dieſer, und wir begnuͤ- gen uns nicht, ihr Schickſal bloß fuͤr den gegen- waͤrtigen Augenblick entſchieden zu ſehen, ſon- dern wir wollen uns auf immer desfalls zufrieden geſtellet wiſſen. Ham-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/294
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/294>, abgerufen am 25.04.2024.