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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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Voltaire eben eine alte Rüstung anstatt des Rin-
ges wählen? Als Narbas das Kind mit sich
nahm, was bewog ihn denn, auch die Rüstung
des ermordeten Vaters mitzunehmen? Damit
Aegisth, wenn er erwachsen wäre, sich keine
neue Rüstung kaufen dürfe, und sich mit der
alten seines Vaters behelfen könne? Der vor-
sichtige Alte! Ließ er sich nicht auch ein Paar
alte Kleider von der Mutter mitgeben? Oder
geschah es, damit Aegisth einmal an dieser Rü-
stung erkannt werden könne? So eine Rüstung
gab es wohl nicht mehr? Es war wohl eine Fa-
milienrüstung, die Vulkan selbst dem Großgroß-
vater gemacht hatte? Eine undurchdringliche
Rüstung? Oder wenigstens mit schönen Figuren
und Sinnbildern versehen, an welchen sie Euri-
kles und Merope nach funfzehn Jahren sogleich
wieder erkannten? Wenn das ist: so mußte sie
der Alte freylich mitnehmen; und der Hr. von
Voltaire hat Ursache, ihm verbunden zu seyn,
daß er unter den blutigen Verwirrungen, bey
welchen ein anderer nur an das Kind gedacht
hätte, auch zugleich an eine so nützliche Möbel
dachte. Wenn Aegisth schon das Reich seines
Vaters verlor, so mußte er doch nicht auch die
Rüstung seines Vaters verlieren, in der er jenes
wieder erobern konnte. -- Zweytens hatte sich
Lindelle über den Polyphont des Maffei aufge-
halten, der die Merope mit aller Gewalt hey-

rathen

Voltaire eben eine alte Ruͤſtung anſtatt des Rin-
ges waͤhlen? Als Narbas das Kind mit ſich
nahm, was bewog ihn denn, auch die Ruͤſtung
des ermordeten Vaters mitzunehmen? Damit
Aegisth, wenn er erwachſen waͤre, ſich keine
neue Ruͤſtung kaufen duͤrfe, und ſich mit der
alten ſeines Vaters behelfen koͤnne? Der vor-
ſichtige Alte! Ließ er ſich nicht auch ein Paar
alte Kleider von der Mutter mitgeben? Oder
geſchah es, damit Aegisth einmal an dieſer Ruͤ-
ſtung erkannt werden koͤnne? So eine Ruͤſtung
gab es wohl nicht mehr? Es war wohl eine Fa-
milienruͤſtung, die Vulkan ſelbſt dem Großgroß-
vater gemacht hatte? Eine undurchdringliche
Ruͤſtung? Oder wenigſtens mit ſchoͤnen Figuren
und Sinnbildern verſehen, an welchen ſie Euri-
kles und Merope nach funfzehn Jahren ſogleich
wieder erkannten? Wenn das iſt: ſo mußte ſie
der Alte freylich mitnehmen; und der Hr. von
Voltaire hat Urſache, ihm verbunden zu ſeyn,
daß er unter den blutigen Verwirrungen, bey
welchen ein anderer nur an das Kind gedacht
haͤtte, auch zugleich an eine ſo nuͤtzliche Moͤbel
dachte. Wenn Aegisth ſchon das Reich ſeines
Vaters verlor, ſo mußte er doch nicht auch die
Ruͤſtung ſeines Vaters verlieren, in der er jenes
wieder erobern konnte. — Zweytens hatte ſich
Lindelle uͤber den Polyphont des Maffei aufge-
halten, der die Merope mit aller Gewalt hey-

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[346/0360] Voltaire eben eine alte Ruͤſtung anſtatt des Rin- ges waͤhlen? Als Narbas das Kind mit ſich nahm, was bewog ihn denn, auch die Ruͤſtung des ermordeten Vaters mitzunehmen? Damit Aegisth, wenn er erwachſen waͤre, ſich keine neue Ruͤſtung kaufen duͤrfe, und ſich mit der alten ſeines Vaters behelfen koͤnne? Der vor- ſichtige Alte! Ließ er ſich nicht auch ein Paar alte Kleider von der Mutter mitgeben? Oder geſchah es, damit Aegisth einmal an dieſer Ruͤ- ſtung erkannt werden koͤnne? So eine Ruͤſtung gab es wohl nicht mehr? Es war wohl eine Fa- milienruͤſtung, die Vulkan ſelbſt dem Großgroß- vater gemacht hatte? Eine undurchdringliche Ruͤſtung? Oder wenigſtens mit ſchoͤnen Figuren und Sinnbildern verſehen, an welchen ſie Euri- kles und Merope nach funfzehn Jahren ſogleich wieder erkannten? Wenn das iſt: ſo mußte ſie der Alte freylich mitnehmen; und der Hr. von Voltaire hat Urſache, ihm verbunden zu ſeyn, daß er unter den blutigen Verwirrungen, bey welchen ein anderer nur an das Kind gedacht haͤtte, auch zugleich an eine ſo nuͤtzliche Moͤbel dachte. Wenn Aegisth ſchon das Reich ſeines Vaters verlor, ſo mußte er doch nicht auch die Ruͤſtung ſeines Vaters verlieren, in der er jenes wieder erobern konnte. — Zweytens hatte ſich Lindelle uͤber den Polyphont des Maffei aufge- halten, der die Merope mit aller Gewalt hey- rathen

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/360>, abgerufen am 28.03.2024.