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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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langt man nicht eine so gewaltsame Beschleuni-
gung durch die allertriftigsten und dringendsten
Ursachen gerechtfertiget zu wissen? Findet sich
hingegen auch kein Schatten von solchen Ursa-
chen, wodurch soll uns, was blos physikalischer
Weise möglich ist, denn wahrscheinlich werden?
Der Staat will sich einen König wählen; Po-
lyphont und der abwesende Aegisth können al-
lein dabey in Betrachtung kommen; um die An-
sprüche des Aegisth zu vereiteln, will Polyphont
die Mutter desselben heyrathen; an eben demsel-
den Tage, da die Wahl geschehen soll, macht
er ihr den Antrag; sie weiset ihn ab; die Wahl
geht vor sich, und fällt für ihn aus; Polyphont
ist also König, und man sollte glauben, Aegisth
möge nunmehr erscheinen, wenn er wolle, der
neuerwählte König könne es, vors erste, mit ihm
ansehen. Nichtsweniger; er bestehet auf der
Heyrath, und bestehet darauf, daß sie noch des-
selben Tages vollzogen werden soll; eben des
Tages, an dem er Meropen zum erstenmale
seine Hand angetragen; eben des Tages, da ihn
das Volk zum Könige ausgerufen. Ein so alter
Soldat, und ein so hitziger Freyer! Aber seine
Freyerey, ist nichts als Politik. Desto schlim-
mer; diejenige, die er in sein Interesse ver-
wickeln will, so zu mißhandeln! Merope hatte
ihm ihre Hand verweigert, als er noch nicht
König war, als sie glauben mußte, daß ihn ihre

Hand

langt man nicht eine ſo gewaltſame Beſchleuni-
gung durch die allertriftigſten und dringendſten
Urſachen gerechtfertiget zu wiſſen? Findet ſich
hingegen auch kein Schatten von ſolchen Urſa-
chen, wodurch ſoll uns, was blos phyſikaliſcher
Weiſe moͤglich iſt, denn wahrſcheinlich werden?
Der Staat will ſich einen Koͤnig waͤhlen; Po-
lyphont und der abweſende Aegisth koͤnnen al-
lein dabey in Betrachtung kommen; um die An-
ſpruͤche des Aegisth zu vereiteln, will Polyphont
die Mutter deſſelben heyrathen; an eben demſel-
den Tage, da die Wahl geſchehen ſoll, macht
er ihr den Antrag; ſie weiſet ihn ab; die Wahl
geht vor ſich, und faͤllt fuͤr ihn aus; Polyphont
iſt alſo Koͤnig, und man ſollte glauben, Aegisth
moͤge nunmehr erſcheinen, wenn er wolle, der
neuerwaͤhlte Koͤnig koͤnne es, vors erſte, mit ihm
anſehen. Nichtsweniger; er beſtehet auf der
Heyrath, und beſtehet darauf, daß ſie noch deſ-
ſelben Tages vollzogen werden ſoll; eben des
Tages, an dem er Meropen zum erſtenmale
ſeine Hand angetragen; eben des Tages, da ihn
das Volk zum Koͤnige ausgerufen. Ein ſo alter
Soldat, und ein ſo hitziger Freyer! Aber ſeine
Freyerey, iſt nichts als Politik. Deſto ſchlim-
mer; diejenige, die er in ſein Intereſſe ver-
wickeln will, ſo zu mißhandeln! Merope hatte
ihm ihre Hand verweigert, als er noch nicht
Koͤnig war, als ſie glauben mußte, daß ihn ihre

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[354/0368] langt man nicht eine ſo gewaltſame Beſchleuni- gung durch die allertriftigſten und dringendſten Urſachen gerechtfertiget zu wiſſen? Findet ſich hingegen auch kein Schatten von ſolchen Urſa- chen, wodurch ſoll uns, was blos phyſikaliſcher Weiſe moͤglich iſt, denn wahrſcheinlich werden? Der Staat will ſich einen Koͤnig waͤhlen; Po- lyphont und der abweſende Aegisth koͤnnen al- lein dabey in Betrachtung kommen; um die An- ſpruͤche des Aegisth zu vereiteln, will Polyphont die Mutter deſſelben heyrathen; an eben demſel- den Tage, da die Wahl geſchehen ſoll, macht er ihr den Antrag; ſie weiſet ihn ab; die Wahl geht vor ſich, und faͤllt fuͤr ihn aus; Polyphont iſt alſo Koͤnig, und man ſollte glauben, Aegisth moͤge nunmehr erſcheinen, wenn er wolle, der neuerwaͤhlte Koͤnig koͤnne es, vors erſte, mit ihm anſehen. Nichtsweniger; er beſtehet auf der Heyrath, und beſtehet darauf, daß ſie noch deſ- ſelben Tages vollzogen werden ſoll; eben des Tages, an dem er Meropen zum erſtenmale ſeine Hand angetragen; eben des Tages, da ihn das Volk zum Koͤnige ausgerufen. Ein ſo alter Soldat, und ein ſo hitziger Freyer! Aber ſeine Freyerey, iſt nichts als Politik. Deſto ſchlim- mer; diejenige, die er in ſein Intereſſe ver- wickeln will, ſo zu mißhandeln! Merope hatte ihm ihre Hand verweigert, als er noch nicht Koͤnig war, als ſie glauben mußte, daß ihn ihre Hand

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/368>, abgerufen am 24.04.2024.