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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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sind von den Ueberraschungen noch größere Lieb-
haber, als die Franzosen. --

Aber noch immer Merope! -- Wahrlich, ich
betaure meine Leser, die sich an diesem Blatte
eine theatralische Zeitung versprochen haben, so
mancherley und bunt, so unterhaltend und
schnurrig, als eine theatralische Zeitung nur
seyn kann. Anstatt des Inhalts der hier gang-
baren Stücke, in kleine lustige oder rührende
Romane gebracht; anstatt beyläufiger Lebens-
beschreibungen drolliger, sonderbarer, närrischer
Geschöpfe, wie die doch wohl seyn müssen, die
sich mit Komödienschreiben abgeben; anstatt
kurzweiliger, auch wohl ein wenig skandalöser
Anekdoten von Schauspielern und besonders
Schauspielerinnen: anstatt aller dieser artigen
Sächelchen, die sie erwarteten, bekommen sie
lange, ernsthafte, trockne Kritiken über alte be-
kannte Stücke; schwerfällige Untersuchungen
über das, was in einer Tragödie seyn sollte und
nicht seyn sollte; mit unter wohl gar Erklärun-
gen des Aristoteles. Und das sollen sie lesen?
Wie gesagt, ich betauere sie; sie sind gewaltig
angeführt! -- Doch im Vertrauen: besser, daß
sie es sind, als ich. Und ich würde es sehr seyn,
wenn ich mir ihre Erwartungen zum Gesetze
machen müßte. Nicht daß ihre Erwartungen
sehr schwer zu erfüllen wären; wirklich nicht;
ich würde sie vielmehr sehr bequem finden, wenn

sie

ſind von den Ueberraſchungen noch groͤßere Lieb-
haber, als die Franzoſen. —

Aber noch immer Merope! — Wahrlich, ich
betaure meine Leſer, die ſich an dieſem Blatte
eine theatraliſche Zeitung verſprochen haben, ſo
mancherley und bunt, ſo unterhaltend und
ſchnurrig, als eine theatraliſche Zeitung nur
ſeyn kann. Anſtatt des Inhalts der hier gang-
baren Stuͤcke, in kleine luſtige oder ruͤhrende
Romane gebracht; anſtatt beylaͤufiger Lebens-
beſchreibungen drolliger, ſonderbarer, naͤrriſcher
Geſchoͤpfe, wie die doch wohl ſeyn muͤſſen, die
ſich mit Komoͤdienſchreiben abgeben; anſtatt
kurzweiliger, auch wohl ein wenig ſkandaloͤſer
Anekdoten von Schauſpielern und beſonders
Schauſpielerinnen: anſtatt aller dieſer artigen
Saͤchelchen, die ſie erwarteten, bekommen ſie
lange, ernſthafte, trockne Kritiken uͤber alte be-
kannte Stuͤcke; ſchwerfaͤllige Unterſuchungen
uͤber das, was in einer Tragoͤdie ſeyn ſollte und
nicht ſeyn ſollte; mit unter wohl gar Erklaͤrun-
gen des Ariſtoteles. Und das ſollen ſie leſen?
Wie geſagt, ich betauere ſie; ſie ſind gewaltig
angefuͤhrt! — Doch im Vertrauen: beſſer, daß
ſie es ſind, als ich. Und ich wuͤrde es ſehr ſeyn,
wenn ich mir ihre Erwartungen zum Geſetze
machen muͤßte. Nicht daß ihre Erwartungen
ſehr ſchwer zu erfuͤllen waͤren; wirklich nicht;
ich wuͤrde ſie vielmehr ſehr bequem finden, wenn

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[394/0408] ſind von den Ueberraſchungen noch groͤßere Lieb- haber, als die Franzoſen. — Aber noch immer Merope! — Wahrlich, ich betaure meine Leſer, die ſich an dieſem Blatte eine theatraliſche Zeitung verſprochen haben, ſo mancherley und bunt, ſo unterhaltend und ſchnurrig, als eine theatraliſche Zeitung nur ſeyn kann. Anſtatt des Inhalts der hier gang- baren Stuͤcke, in kleine luſtige oder ruͤhrende Romane gebracht; anſtatt beylaͤufiger Lebens- beſchreibungen drolliger, ſonderbarer, naͤrriſcher Geſchoͤpfe, wie die doch wohl ſeyn muͤſſen, die ſich mit Komoͤdienſchreiben abgeben; anſtatt kurzweiliger, auch wohl ein wenig ſkandaloͤſer Anekdoten von Schauſpielern und beſonders Schauſpielerinnen: anſtatt aller dieſer artigen Saͤchelchen, die ſie erwarteten, bekommen ſie lange, ernſthafte, trockne Kritiken uͤber alte be- kannte Stuͤcke; ſchwerfaͤllige Unterſuchungen uͤber das, was in einer Tragoͤdie ſeyn ſollte und nicht ſeyn ſollte; mit unter wohl gar Erklaͤrun- gen des Ariſtoteles. Und das ſollen ſie leſen? Wie geſagt, ich betauere ſie; ſie ſind gewaltig angefuͤhrt! — Doch im Vertrauen: beſſer, daß ſie es ſind, als ich. Und ich wuͤrde es ſehr ſeyn, wenn ich mir ihre Erwartungen zum Geſetze machen muͤßte. Nicht daß ihre Erwartungen ſehr ſchwer zu erfuͤllen waͤren; wirklich nicht; ich wuͤrde ſie vielmehr ſehr bequem finden, wenn ſie

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/408>, abgerufen am 25.04.2024.