Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

Abscheultchs Meisterstück der Herrschsucht und der
List,
Wofür kein Name hart, kein Schimpfwort lieblos ist!
O Lehre, die erlaubt, die Gottheit selbst miß-
brauchen,
In ein unschuldig Herz des Hasses Dolch zu tauchen,
Dich, die ihr Blutpanier oft über Leichen trug,
Dich, Greuel, zu verschmähn, wer leiht mir einen
Fluch!
Ihr Freund', in deren Brust der Menschheit edle
Stimme
Laut für die Heldinn sprach, als Sie dem Priester
Grimme
Ein schuldlos Opfer ward, und für die Wahrheit sank:
Habt Dank für dies Gefühl, für jede Thräne Dank!
Wer irrt, verdient nicht Zucht des Hasses oder
Spottes:
Was Menschen hassen lehrt, ist keine Lehre Gottes!
Ach! liebt die Irrenden, die ohne Bosheit blind,
Zwar Schwächere vielleicht, doch immer Menschen
sind.
Belehret, duldet sie; und zwingt nicht die zu Thränen,
Die sonst kein Vorwurf trift, als daß sie anders
wähnen!
Rechtschaffen ist der Mann, den, seinem Glauben treu,
Nichts zur Verstellung zwingt, zu böser Heucheley;
Der für die Wahrheit glüht, und, nie durch Furcht
gezügelt,
Sie freudig, wie Olint, mit seinem Blut versiegelt.

Solch

Abſcheultchs Meiſterſtuͤck der Herrſchſucht und der
Liſt,
Wofuͤr kein Name hart, kein Schimpfwort lieblos iſt!
O Lehre, die erlaubt, die Gottheit ſelbſt miß-
brauchen,
In ein unſchuldig Herz des Haſſes Dolch zu tauchen,
Dich, die ihr Blutpanier oft uͤber Leichen trug,
Dich, Greuel, zu verſchmaͤhn, wer leiht mir einen
Fluch!
Ihr Freund’, in deren Bruſt der Menſchheit edle
Stimme
Laut fuͤr die Heldinn ſprach, als Sie dem Prieſter
Grimme
Ein ſchuldlos Opfer ward, und fuͤr die Wahrheit ſank:
Habt Dank fuͤr dies Gefuͤhl, fuͤr jede Thraͤne Dank!
Wer irrt, verdient nicht Zucht des Haſſes oder
Spottes:
Was Menſchen haſſen lehrt, iſt keine Lehre Gottes!
Ach! liebt die Irrenden, die ohne Bosheit blind,
Zwar Schwaͤchere vielleicht, doch immer Menſchen
ſind.
Belehret, duldet ſie; und zwingt nicht die zu Thraͤnen,
Die ſonſt kein Vorwurf trift, als daß ſie anders
waͤhnen!
Rechtſchaffen iſt der Mann, den, ſeinem Glauben treu,
Nichts zur Verſtellung zwingt, zu boͤſer Heucheley;
Der fuͤr die Wahrheit gluͤht, und, nie durch Furcht
gezuͤgelt,
Sie freudig, wie Olint, mit ſeinem Blut verſiegelt.

Solch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0061" n="47"/>
Ab&#x017F;cheultchs Mei&#x017F;ter&#x017F;tu&#x0364;ck der Herr&#x017F;ch&#x017F;ucht und der<lb/><hi rendition="#et">Li&#x017F;t,</hi><lb/>
Wofu&#x0364;r kein Name hart, kein Schimpfwort lieblos i&#x017F;t!<lb/>
O Lehre, die erlaubt, die Gottheit &#x017F;elb&#x017F;t miß-<lb/><hi rendition="#et">brauchen,</hi><lb/>
In ein un&#x017F;chuldig Herz des Ha&#x017F;&#x017F;es Dolch zu tauchen,<lb/>
Dich, die ihr Blutpanier oft u&#x0364;ber Leichen trug,<lb/>
Dich, Greuel, zu ver&#x017F;chma&#x0364;hn, wer leiht mir einen<lb/><hi rendition="#et">Fluch!</hi><lb/>
Ihr Freund&#x2019;, in deren Bru&#x017F;t der Men&#x017F;chheit edle<lb/><hi rendition="#et">Stimme</hi><lb/>
Laut fu&#x0364;r die Heldinn &#x017F;prach, als Sie dem Prie&#x017F;ter<lb/><hi rendition="#et">Grimme</hi><lb/>
Ein &#x017F;chuldlos Opfer ward, und fu&#x0364;r die Wahrheit &#x017F;ank:<lb/>
Habt Dank fu&#x0364;r dies Gefu&#x0364;hl, fu&#x0364;r jede Thra&#x0364;ne Dank!<lb/>
Wer irrt, verdient nicht Zucht des Ha&#x017F;&#x017F;es oder<lb/><hi rendition="#et">Spottes:</hi><lb/>
Was Men&#x017F;chen ha&#x017F;&#x017F;en lehrt, i&#x017F;t keine Lehre Gottes!<lb/>
Ach! liebt die Irrenden, die ohne Bosheit blind,<lb/>
Zwar Schwa&#x0364;chere vielleicht, doch immer Men&#x017F;chen<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ind.</hi><lb/>
Belehret, duldet &#x017F;ie; und zwingt nicht die zu Thra&#x0364;nen,<lb/>
Die &#x017F;on&#x017F;t kein Vorwurf trift, als daß &#x017F;ie anders<lb/><hi rendition="#et">wa&#x0364;hnen!</hi><lb/>
Recht&#x017F;chaffen i&#x017F;t der Mann, den, &#x017F;einem Glauben treu,<lb/>
Nichts zur Ver&#x017F;tellung zwingt, zu bo&#x0364;&#x017F;er Heucheley;<lb/>
Der fu&#x0364;r die Wahrheit glu&#x0364;ht, und, nie durch Furcht<lb/><hi rendition="#et">gezu&#x0364;gelt,</hi><lb/>
Sie freudig, wie Olint, mit &#x017F;einem Blut ver&#x017F;iegelt.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Solch</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0061] Abſcheultchs Meiſterſtuͤck der Herrſchſucht und der Liſt, Wofuͤr kein Name hart, kein Schimpfwort lieblos iſt! O Lehre, die erlaubt, die Gottheit ſelbſt miß- brauchen, In ein unſchuldig Herz des Haſſes Dolch zu tauchen, Dich, die ihr Blutpanier oft uͤber Leichen trug, Dich, Greuel, zu verſchmaͤhn, wer leiht mir einen Fluch! Ihr Freund’, in deren Bruſt der Menſchheit edle Stimme Laut fuͤr die Heldinn ſprach, als Sie dem Prieſter Grimme Ein ſchuldlos Opfer ward, und fuͤr die Wahrheit ſank: Habt Dank fuͤr dies Gefuͤhl, fuͤr jede Thraͤne Dank! Wer irrt, verdient nicht Zucht des Haſſes oder Spottes: Was Menſchen haſſen lehrt, iſt keine Lehre Gottes! Ach! liebt die Irrenden, die ohne Bosheit blind, Zwar Schwaͤchere vielleicht, doch immer Menſchen ſind. Belehret, duldet ſie; und zwingt nicht die zu Thraͤnen, Die ſonſt kein Vorwurf trift, als daß ſie anders waͤhnen! Rechtſchaffen iſt der Mann, den, ſeinem Glauben treu, Nichts zur Verſtellung zwingt, zu boͤſer Heucheley; Der fuͤr die Wahrheit gluͤht, und, nie durch Furcht gezuͤgelt, Sie freudig, wie Olint, mit ſeinem Blut verſiegelt. Solch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/61
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/61>, abgerufen am 28.03.2024.