Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite
Hamburgische
Dramaturgie.


Ein und neunzigstes Stück.





Ja die wahren Namen selbst, kann man sa-
gen, giengen nicht selten mehr auf das
Allgemeine, als auf das Einzelne. Un-
ter dem Namen Sokrates wollte Aristophanes
nicht den einzeln Sokrates, sondern alle Sophi-
sten, die sich mit Erziehung junger Leute be-
mengten, lächerlich und verdächtig machen.
Der gefährliche Sophist überhaupt war sein
Gegenstand, und er nannte diesen nur Sokra-
tes, weil Sokrates als ein solcher verschrieen
war. Daher eine Menge Züge, die auf den
Sokrates gar nicht paßten; so daß Sokrates in
dem Theater getrost aufstehen, und sich der
Vergleichung Preis geben konnte! Aber wie
sehr verkennt man das Wesen der Komödie,
wenn man diese nicht treffende Züge für nichts
als muthwillige Verleumdungen erklärt, und
sie durchaus dafür nicht erkennen will, was sie

doch
Q q
Hamburgiſche
Dramaturgie.


Ein und neunzigſtes Stück.





Ja die wahren Namen ſelbſt, kann man ſa-
gen, giengen nicht ſelten mehr auf das
Allgemeine, als auf das Einzelne. Un-
ter dem Namen Sokrates wollte Ariſtophanes
nicht den einzeln Sokrates, ſondern alle Sophi-
ſten, die ſich mit Erziehung junger Leute be-
mengten, lächerlich und verdächtig machen.
Der gefährliche Sophiſt überhaupt war ſein
Gegenſtand, und er nannte dieſen nur Sokra-
tes, weil Sokrates als ein ſolcher verſchrieen
war. Daher eine Menge Züge, die auf den
Sokrates gar nicht paßten; ſo daß Sokrates in
dem Theater getroſt aufſtehen, und ſich der
Vergleichung Preis geben konnte! Aber wie
ſehr verkennt man das Weſen der Komödie,
wenn man dieſe nicht treffende Züge für nichts
als muthwillige Verleumdungen erklärt, und
ſie durchaus dafür nicht erkennen will, was ſie

doch
Q q
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0311" n="[305]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Hamburgi&#x017F;che<lb/><hi rendition="#g">Dramaturgie</hi>.<lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Ein und neunzig&#x017F;tes Stück.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <dateline>Den 15ten Merz, 1768.</dateline><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p><hi rendition="#in">J</hi>a die wahren Namen &#x017F;elb&#x017F;t, kann man &#x017F;a-<lb/>
gen, giengen nicht &#x017F;elten mehr auf das<lb/>
Allgemeine, als auf das Einzelne. Un-<lb/>
ter dem Namen Sokrates wollte Ari&#x017F;tophanes<lb/>
nicht den einzeln Sokrates, &#x017F;ondern alle Sophi-<lb/>
&#x017F;ten, die &#x017F;ich mit Erziehung junger Leute be-<lb/>
mengten, lächerlich und verdächtig machen.<lb/>
Der gefährliche Sophi&#x017F;t überhaupt war &#x017F;ein<lb/>
Gegen&#x017F;tand, und er nannte die&#x017F;en nur Sokra-<lb/>
tes, weil Sokrates als ein &#x017F;olcher ver&#x017F;chrieen<lb/>
war. Daher eine Menge Züge, die auf den<lb/>
Sokrates gar nicht paßten; &#x017F;o daß Sokrates in<lb/>
dem Theater getro&#x017F;t auf&#x017F;tehen, und &#x017F;ich der<lb/>
Vergleichung Preis geben konnte! Aber wie<lb/>
&#x017F;ehr verkennt man das We&#x017F;en der Komödie,<lb/>
wenn man die&#x017F;e nicht treffende Züge für nichts<lb/>
als muthwillige Verleumdungen erklärt, und<lb/>
&#x017F;ie durchaus dafür nicht erkennen will, was &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q q</fw><fw place="bottom" type="catch">doch</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[305]/0311] Hamburgiſche Dramaturgie. Ein und neunzigſtes Stück. Den 15ten Merz, 1768. Ja die wahren Namen ſelbſt, kann man ſa- gen, giengen nicht ſelten mehr auf das Allgemeine, als auf das Einzelne. Un- ter dem Namen Sokrates wollte Ariſtophanes nicht den einzeln Sokrates, ſondern alle Sophi- ſten, die ſich mit Erziehung junger Leute be- mengten, lächerlich und verdächtig machen. Der gefährliche Sophiſt überhaupt war ſein Gegenſtand, und er nannte dieſen nur Sokra- tes, weil Sokrates als ein ſolcher verſchrieen war. Daher eine Menge Züge, die auf den Sokrates gar nicht paßten; ſo daß Sokrates in dem Theater getroſt aufſtehen, und ſich der Vergleichung Preis geben konnte! Aber wie ſehr verkennt man das Weſen der Komödie, wenn man dieſe nicht treffende Züge für nichts als muthwillige Verleumdungen erklärt, und ſie durchaus dafür nicht erkennen will, was ſie doch Q q

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/311
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. [305]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/311>, abgerufen am 28.03.2024.