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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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"die Reinigung der Leidenschaften zu bewirken,
"die er zu dem letzten Endzwecke der Tragödie
"macht: sondern nach seiner Meinung sey auch
"eines zureichend. -- Wir können diese Erklä-
"rung, fährt er fort, aus ihm selbst bekräfti-
"gen, wenn wir die Gründe recht erwägen,
"welche er von der Ausschliessung derjenigen
"Begebenheiten, die er in den Trauerspielen
"mißbilliget, giebt. Er sagt niemals: dieses
"oder jenes schickt sich in die Tragödie nicht,
"weil es blos Mitleiden und keine Furcht er-
"weckt; oder dieses ist daselbst unerträglich,
"weil es blos die Furcht erweckt, ohne das Mit-
"leid zu erregen. Nein; sondern er verwirft
"sie deswegen, weil sie, wie er sagt, weder
"Mitleid noch Furcht zuwege bringen, und giebt
"uns dadurch zu erkennen, daß sie ihm deswe-
"gen nicht gefallen, weil ihnen sowohl das eine
"als das andere fehlet, und daß er ihnen seinen
"Beyfall nicht versagen würde, wenn sie nur
"eines von beiden wirkten."



Ham-

„die Reinigung der Leidenſchaften zu bewirken,
„die er zu dem letzten Endzwecke der Tragödie
„macht: ſondern nach ſeiner Meinung ſey auch
„eines zureichend. — Wir können dieſe Erklä-
„rung, fährt er fort, aus ihm ſelbſt bekräfti-
„gen, wenn wir die Gründe recht erwägen,
„welche er von der Ausſchlieſſung derjenigen
„Begebenheiten, die er in den Trauerſpielen
„mißbilliget, giebt. Er ſagt niemals: dieſes
„oder jenes ſchickt ſich in die Tragödie nicht,
„weil es blos Mitleiden und keine Furcht er-
„weckt; oder dieſes iſt daſelbſt unerträglich,
„weil es blos die Furcht erweckt, ohne das Mit-
„leid zu erregen. Nein; ſondern er verwirft
„ſie deswegen, weil ſie, wie er ſagt, weder
„Mitleid noch Furcht zuwege bringen, und giebt
„uns dadurch zu erkennen, daß ſie ihm deswe-
„gen nicht gefallen, weil ihnen ſowohl das eine
„als das andere fehlet, und daß er ihnen ſeinen
„Beyfall nicht verſagen würde, wenn ſie nur
„eines von beiden wirkten.„



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[184/0190] „die Reinigung der Leidenſchaften zu bewirken, „die er zu dem letzten Endzwecke der Tragödie „macht: ſondern nach ſeiner Meinung ſey auch „eines zureichend. — Wir können dieſe Erklä- „rung, fährt er fort, aus ihm ſelbſt bekräfti- „gen, wenn wir die Gründe recht erwägen, „welche er von der Ausſchlieſſung derjenigen „Begebenheiten, die er in den Trauerſpielen „mißbilliget, giebt. Er ſagt niemals: dieſes „oder jenes ſchickt ſich in die Tragödie nicht, „weil es blos Mitleiden und keine Furcht er- „weckt; oder dieſes iſt daſelbſt unerträglich, „weil es blos die Furcht erweckt, ohne das Mit- „leid zu erregen. Nein; ſondern er verwirft „ſie deswegen, weil ſie, wie er ſagt, weder „Mitleid noch Furcht zuwege bringen, und giebt „uns dadurch zu erkennen, daß ſie ihm deswe- „gen nicht gefallen, weil ihnen ſowohl das eine „als das andere fehlet, und daß er ihnen ſeinen „Beyfall nicht verſagen würde, wenn ſie nur „eines von beiden wirkten.„ Ham-

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/190>, abgerufen am 19.03.2024.