Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite
XVIII.
(3)

Aller guten Dinge sind drey; dachte der Wolf
und kam zu einem dritten Schäfer.

Es geht mir recht nahe, sprach er, daß ich
unter euch Schäfern als das grausamste, gewis-
senloseste Thier verschrieen bin. Dir, Montan,
will ich itzt beweisen, wie unrecht man mir thut.
Gib mir jährlich ein Schaf, so soll deine Heerde
in jenem Walde, den niemand unsicher macht,
als ich, frey und unbeschädigt weiden dürfen.
Ein Schaf! Welche Kleinigkeit! Könnte ich groß-
müthiger, könnte ich uneigennütziger handeln? --
Du lachst, Schäfer? Worüber lachst du denn?

O über nichts! Aber wie alt bist du, guter
Freund? sprach der Schäfer.

"Was geht dich mein Alter an? Immer noch
"alt genug, dir deine liebsten Lämmer zu wurgen.

Erzürne
XVIII.
(3)

Aller guten Dinge ſind drey; dachte der Wolf
und kam zu einem dritten Schäfer.

Es geht mir recht nahe, ſprach er, daß ich
unter euch Schäfern als das grauſamſte, gewiſ-
ſenloſeſte Thier verſchrieen bin. Dir, Montan,
will ich itzt beweiſen, wie unrecht man mir thut.
Gib mir jährlich ein Schaf, ſo ſoll deine Heerde
in jenem Walde, den niemand unſicher macht,
als ich, frey und unbeſchädigt weiden dürfen.
Ein Schaf! Welche Kleinigkeit! Könnte ich groß-
müthiger, könnte ich uneigennütziger handeln? —
Du lachſt, Schäfer? Worüber lachſt du denn?

O über nichts! Aber wie alt biſt du, guter
Freund? ſprach der Schäfer.

„Was geht dich mein Alter an? Immer noch
„alt genug, dir deine liebſten Lämmer zu wurgen.

Erzürne
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0115" n="95"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">XVIII</hi>.</hi><lb/>
(3)</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">A</hi>ller guten Dinge &#x017F;ind drey; dachte der Wolf<lb/>
und kam zu einem dritten Schäfer.</p><lb/>
          <p>Es geht mir recht nahe, &#x017F;prach er, daß ich<lb/>
unter euch Schäfern als das grau&#x017F;am&#x017F;te, gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;enlo&#x017F;e&#x017F;te Thier ver&#x017F;chrieen bin. Dir, Montan,<lb/>
will ich itzt bewei&#x017F;en, wie unrecht man mir thut.<lb/>
Gib mir jährlich ein Schaf, &#x017F;o &#x017F;oll deine Heerde<lb/>
in jenem Walde, den niemand un&#x017F;icher macht,<lb/>
als ich, frey und unbe&#x017F;chädigt weiden dürfen.<lb/>
Ein Schaf! Welche Kleinigkeit! Könnte ich groß-<lb/>
müthiger, könnte ich uneigennütziger handeln? &#x2014;<lb/>
Du lach&#x017F;t, Schäfer? Worüber lach&#x017F;t du denn?</p><lb/>
          <p>O über nichts! Aber wie alt bi&#x017F;t du, guter<lb/>
Freund? &#x017F;prach der Schäfer.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Was geht dich mein Alter an? Immer noch<lb/>
&#x201E;alt genug, dir deine lieb&#x017F;ten Lämmer zu wurgen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Erzürne</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0115] XVIII. (3) Aller guten Dinge ſind drey; dachte der Wolf und kam zu einem dritten Schäfer. Es geht mir recht nahe, ſprach er, daß ich unter euch Schäfern als das grauſamſte, gewiſ- ſenloſeſte Thier verſchrieen bin. Dir, Montan, will ich itzt beweiſen, wie unrecht man mir thut. Gib mir jährlich ein Schaf, ſo ſoll deine Heerde in jenem Walde, den niemand unſicher macht, als ich, frey und unbeſchädigt weiden dürfen. Ein Schaf! Welche Kleinigkeit! Könnte ich groß- müthiger, könnte ich uneigennütziger handeln? — Du lachſt, Schäfer? Worüber lachſt du denn? O über nichts! Aber wie alt biſt du, guter Freund? ſprach der Schäfer. „Was geht dich mein Alter an? Immer noch „alt genug, dir deine liebſten Lämmer zu wurgen. Erzürne

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/115
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/115>, abgerufen am 28.03.2024.