Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

Bild:
<< vorherige Seite
von 1204 bis 1205.
Des Bischof Alberts, siebentes Jahr,
vom Jahr Christi 1204 bis 1205.
§. 1.

Jn dem siebenten Jahr des bischöflichen Amtes Alberts, welches das Jahr1204
unsers HErrn 1204 war, brachen fast zwey tausend Litthauer zu Pferde
gegen die Esthen zum Marsch auf, um die Fastenzeit, da diese Völker
gerne ihre Feldzüge zu unternehmen pflegen. Wie sie nun längst der
Düne herauf und bey der Stadt vorbey kamen, so trat*) einer von ihnen, mit
Namen Swelgate, ein reicher und wolhabender Kerl mit seinen Kameraden in
der Stadt ab. Diesem bot unter andern, die ihm in Friede aus der Stadt ent-
gegen gezogen, einer aus der Bürgerschaft, Namens Martin Frise, einen Trunk
Meet an. Als er den ausgesoffen, eilte er den vorausgegangnen Truppen nach,
und redete seine Reisegefährten also an: Sahet ihr nicht, wie den Deutschen
die Hände zitterten a), da sie uns Meet reichten. Sie hatten unsere Ankunft nur
durch ein fliegend Gerüchte vernommen und können deswegen noch nicht aus der Angst
und Bestürzung kommen. Vor jetzo wollen wir die Zerstörung der Stadt auf-
schieben; wenn wir aber die Gegenden, wohin wir gedenken, bezwungen haben b),
so wollen wir die Einwohner mitnehmen, todtschlagen und ihren Flecken zerstören.
Denn kaum wird so viel Staub in dieser Stadt seyn, als unsere Leute in die Hand
nehmen können.

a) Für trepidantium wolte ich lieber**) trepidantes lesen.
b) Vielleicht muß es für interimus***) heissen, euerterimus.
§. 2.

Da nun wenig Tage nachher ein Landesältester von Semgallen, mit Na-
men Westhard, erfuhr daß die Litthauer zu Felde gegangen, kam er eilend nach
Riga, und warnete die Deutschen, daß sie die Feinde so ungehindert liessen
durch ihr Land ziehen, sie könten ja künftig die Stadt samt ihren Einwohnern zu
Grunde richten, wenn sie die Lage des Orts abgesehen. Ohnerachtet aber die Ri-
gischen
vor des Bischofs Zurückkunft ihrer wenigen Anzahl wegen, keine Lust zu
kriegen bezeigten: so sprach ihnen doch dieser kriegerische Westhard ein Herze
ein, und machte sich anheischig, ihnen eine grosse Menge Semgallen zu Hülfe
zu bringen; und bat nur, daß ihm wenigstens einige Kriegserfahrne Männer zuge-
geben würden, die sich drauf verstünden, eine Armee anzuführen und sie zur
Schlacht zu unterrichten. Die Deutschen, als sie daraus sein standhaftiges Ge-
müth sahen, sagten, sie liessen sich sein Gesuch gefallen, doch nur so ferne, wenn er
von jedem Schlosse eine Geissel an sie auslieferte, welche sie sich aussuchen würden.
Er bezeigte sich über diese Antwort ungemein vergnügt, und kehrte zu den Seinigen
mit Freuden. Er nahm auch die ihm benamten Geisseln mit sich, und brachte hin-
länglich Volk auf die Beine. Wie er das herbeygeschaffet, wurden die Geisseln
den Deutschen eingehändiget; und da sie sich also treu genug erwiesen, erhielten
sie ihren Beystand und Freundschaft. Denn die Bedienten des Bischofs mit den
Brüdern der Ritterschaft Christi, und der Ritter Conrad von Ykeskole c), nebst
wenigen andern, die man entübrigen konte, zogen hinaus zu der Armee, und pasten
an einem erhabenen Orte mit den Semgallen auf, wenn die Litthauer zurück
kämen.

c) Con-
*) Jch folge hier dem Revelschen Manuscripte, wo die Worte so stehen: Svelgate nomine, cum suis
sodalibus ad ciuitatem diuertit.
**) Es wäre so; beyde Manuscripte aber behalten trepidantium bey.
***) Das Revelsche list vicerimus, das Rigische hat interimus, setzt aber oben drüber interimerimus,
welches unrecht, und lieber intrauerimus heissen könte.
K 2
von 1204 bis 1205.
Des Biſchof Alberts, ſiebentes Jahr,
vom Jahr Chriſti 1204 bis 1205.
§. 1.

Jn dem ſiebenten Jahr des biſchoͤflichen Amtes Alberts, welches das Jahr1204
unſers HErrn 1204 war, brachen faſt zwey tauſend Litthauer zu Pferde
gegen die Eſthen zum Marſch auf, um die Faſtenzeit, da dieſe Voͤlker
gerne ihre Feldzuͤge zu unternehmen pflegen. Wie ſie nun laͤngſt der
Duͤne herauf und bey der Stadt vorbey kamen, ſo trat*) einer von ihnen, mit
Namen Swelgate, ein reicher und wolhabender Kerl mit ſeinen Kameraden in
der Stadt ab. Dieſem bot unter andern, die ihm in Friede aus der Stadt ent-
gegen gezogen, einer aus der Buͤrgerſchaft, Namens Martin Friſe, einen Trunk
Meet an. Als er den ausgeſoffen, eilte er den vorausgegangnen Truppen nach,
und redete ſeine Reiſegefaͤhrten alſo an: Sahet ihr nicht, wie den Deutſchen
die Haͤnde zitterten a), da ſie uns Meet reichten. Sie hatten unſere Ankunft nur
durch ein fliegend Geruͤchte vernommen und koͤnnen deswegen noch nicht aus der Angſt
und Beſtuͤrzung kommen. Vor jetzo wollen wir die Zerſtoͤrung der Stadt auf-
ſchieben; wenn wir aber die Gegenden, wohin wir gedenken, bezwungen haben b),
ſo wollen wir die Einwohner mitnehmen, todtſchlagen und ihren Flecken zerſtoͤren.
Denn kaum wird ſo viel Staub in dieſer Stadt ſeyn, als unſere Leute in die Hand
nehmen koͤnnen.

a) Fuͤr trepidantium wolte ich lieber**) trepidantes leſen.
b) Vielleicht muß es fuͤr interimus***) heiſſen, euerterimus.
§. 2.

Da nun wenig Tage nachher ein Landesaͤlteſter von Semgallen, mit Na-
men Weſthard, erfuhr daß die Litthauer zu Felde gegangen, kam er eilend nach
Riga, und warnete die Deutſchen, daß ſie die Feinde ſo ungehindert lieſſen
durch ihr Land ziehen, ſie koͤnten ja kuͤnftig die Stadt ſamt ihren Einwohnern zu
Grunde richten, wenn ſie die Lage des Orts abgeſehen. Ohnerachtet aber die Ri-
giſchen
vor des Biſchofs Zuruͤckkunft ihrer wenigen Anzahl wegen, keine Luſt zu
kriegen bezeigten: ſo ſprach ihnen doch dieſer kriegeriſche Weſthard ein Herze
ein, und machte ſich anheiſchig, ihnen eine groſſe Menge Semgallen zu Huͤlfe
zu bringen; und bat nur, daß ihm wenigſtens einige Kriegserfahrne Maͤnner zuge-
geben wuͤrden, die ſich drauf verſtuͤnden, eine Armee anzufuͤhren und ſie zur
Schlacht zu unterrichten. Die Deutſchen, als ſie daraus ſein ſtandhaftiges Ge-
muͤth ſahen, ſagten, ſie lieſſen ſich ſein Geſuch gefallen, doch nur ſo ferne, wenn er
von jedem Schloſſe eine Geiſſel an ſie auslieferte, welche ſie ſich ausſuchen wuͤrden.
Er bezeigte ſich uͤber dieſe Antwort ungemein vergnuͤgt, und kehrte zu den Seinigen
mit Freuden. Er nahm auch die ihm benamten Geiſſeln mit ſich, und brachte hin-
laͤnglich Volk auf die Beine. Wie er das herbeygeſchaffet, wurden die Geiſſeln
den Deutſchen eingehaͤndiget; und da ſie ſich alſo treu genug erwieſen, erhielten
ſie ihren Beyſtand und Freundſchaft. Denn die Bedienten des Biſchofs mit den
Bruͤdern der Ritterſchaft Chriſti, und der Ritter Conrad von Ykeskole c), nebſt
wenigen andern, die man entuͤbrigen konte, zogen hinaus zu der Armee, und paſten
an einem erhabenen Orte mit den Semgallen auf, wenn die Litthauer zuruͤck
kaͤmen.

c) Con-
*) Jch folge hier dem Revelſchen Manuſcripte, wo die Worte ſo ſtehen: Svelgate nomine, cum ſuis
ſodalibus ad ciuitatem diuertit.
**) Es waͤre ſo; beyde Manuſcripte aber behalten trepidantium bey.
***) Das Revelſche liſt vicerimus, das Rigiſche hat interimus, ſetzt aber oben druͤber interimerimus,
welches unrecht, und lieber intrauerimus heiſſen koͤnte.
K 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0071" n="39"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">von 1204 bis 1205.</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Des Bi&#x017F;chof Alberts, &#x017F;iebentes Jahr,<lb/>
vom Jahr Chri&#x017F;ti 1204 bis 1205.</hi> </head><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 1.</head><lb/>
              <p><hi rendition="#in">J</hi>n dem &#x017F;iebenten Jahr des bi&#x017F;cho&#x0364;flichen Amtes <hi rendition="#fr">Alberts,</hi> welches das Jahr<note place="right">1204</note><lb/>
un&#x017F;ers HErrn 1204 war, brachen fa&#x017F;t zwey tau&#x017F;end <hi rendition="#fr">Litthauer</hi> zu Pferde<lb/>
gegen die <hi rendition="#fr">E&#x017F;then</hi> zum Mar&#x017F;ch auf, um die Fa&#x017F;tenzeit, da die&#x017F;e Vo&#x0364;lker<lb/>
gerne ihre Feldzu&#x0364;ge zu unternehmen pflegen. Wie &#x017F;ie nun la&#x0364;ng&#x017F;t der<lb/><hi rendition="#fr">Du&#x0364;ne</hi> herauf und bey der Stadt vorbey kamen, &#x017F;o trat<note place="foot" n="*)">Jch folge hier dem <hi rendition="#fr">Revel&#x017F;chen</hi> Manu&#x017F;cripte, wo die Worte &#x017F;o &#x017F;tehen: <hi rendition="#aq">Svelgate nomine, cum &#x017F;uis<lb/>
&#x017F;odalibus ad ciuitatem diuertit.</hi></note> einer von ihnen, mit<lb/>
Namen <hi rendition="#fr">Swelgate,</hi> ein reicher und wolhabender Kerl mit &#x017F;einen Kameraden in<lb/>
der Stadt ab. Die&#x017F;em bot unter andern, die ihm in Friede aus der Stadt ent-<lb/>
gegen gezogen, einer aus der Bu&#x0364;rger&#x017F;chaft, Namens <hi rendition="#fr">Martin Fri&#x017F;e,</hi> einen Trunk<lb/>
Meet an. Als er den ausge&#x017F;offen, eilte er den vorausgegangnen Truppen nach,<lb/>
und redete &#x017F;eine Rei&#x017F;egefa&#x0364;hrten al&#x017F;o an: Sahet ihr nicht, wie den <hi rendition="#fr">Deut&#x017F;chen</hi><lb/>
die Ha&#x0364;nde zitterten <note place="end" n="a)"/>, da &#x017F;ie uns Meet reichten. Sie hatten un&#x017F;ere Ankunft nur<lb/>
durch ein fliegend Geru&#x0364;chte vernommen und ko&#x0364;nnen deswegen noch nicht aus der Ang&#x017F;t<lb/>
und Be&#x017F;tu&#x0364;rzung kommen. Vor jetzo wollen wir die Zer&#x017F;to&#x0364;rung der Stadt auf-<lb/>
&#x017F;chieben; wenn wir aber die Gegenden, wohin wir gedenken, bezwungen haben <note place="end" n="b)"/>,<lb/>
&#x017F;o wollen wir die Einwohner mitnehmen, todt&#x017F;chlagen und ihren Flecken zer&#x017F;to&#x0364;ren.<lb/>
Denn kaum wird &#x017F;o viel Staub in die&#x017F;er Stadt &#x017F;eyn, als un&#x017F;ere Leute in die Hand<lb/>
nehmen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
              <note place="end" n="a)">Fu&#x0364;r <hi rendition="#aq">trepidantium</hi> wolte ich lieber<note place="foot" n="**)">Es wa&#x0364;re &#x017F;o; beyde Manu&#x017F;cripte aber behalten <hi rendition="#aq">trepidantium</hi> bey.</note> <hi rendition="#aq">trepidantes</hi> le&#x017F;en.</note><lb/>
              <note place="end" n="b)">Vielleicht muß es fu&#x0364;r <hi rendition="#aq">interimus</hi><note place="foot" n="***)">Das <hi rendition="#fr">Revel&#x017F;che</hi> li&#x017F;t <hi rendition="#aq">vicerimus,</hi> das <hi rendition="#fr">Rigi&#x017F;che</hi> hat <hi rendition="#aq">interimus,</hi> &#x017F;etzt aber oben dru&#x0364;ber <hi rendition="#aq">interimerimus,</hi><lb/>
welches unrecht, und lieber <hi rendition="#aq">intrauerimus</hi> hei&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nte.</note> hei&#x017F;&#x017F;en, <hi rendition="#aq">euerterimus.</hi></note>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 2.</head><lb/>
              <p>Da nun wenig Tage nachher ein Landesa&#x0364;lte&#x017F;ter von <hi rendition="#fr">Semgallen,</hi> mit Na-<lb/>
men <hi rendition="#fr">We&#x017F;thard,</hi> erfuhr daß die <hi rendition="#fr">Litthauer</hi> zu Felde gegangen, kam er eilend nach<lb/><hi rendition="#fr">Riga,</hi> und warnete die <hi rendition="#fr">Deut&#x017F;chen,</hi> daß &#x017F;ie die Feinde &#x017F;o ungehindert lie&#x017F;&#x017F;en<lb/>
durch ihr Land ziehen, &#x017F;ie ko&#x0364;nten ja ku&#x0364;nftig die Stadt &#x017F;amt ihren Einwohnern zu<lb/>
Grunde richten, wenn &#x017F;ie die Lage des Orts abge&#x017F;ehen. Ohnerachtet aber die <hi rendition="#fr">Ri-<lb/>
gi&#x017F;chen</hi> vor des Bi&#x017F;chofs Zuru&#x0364;ckkunft ihrer wenigen Anzahl wegen, keine Lu&#x017F;t zu<lb/>
kriegen bezeigten: &#x017F;o &#x017F;prach ihnen doch die&#x017F;er kriegeri&#x017F;che <hi rendition="#fr">We&#x017F;thard</hi> ein Herze<lb/>
ein, und machte &#x017F;ich anhei&#x017F;chig, ihnen eine gro&#x017F;&#x017F;e Menge <hi rendition="#fr">Semgallen</hi> zu Hu&#x0364;lfe<lb/>
zu bringen; und bat nur, daß ihm wenig&#x017F;tens einige Kriegserfahrne Ma&#x0364;nner zuge-<lb/>
geben wu&#x0364;rden, die &#x017F;ich drauf ver&#x017F;tu&#x0364;nden, eine Armee anzufu&#x0364;hren und &#x017F;ie zur<lb/>
Schlacht zu unterrichten. Die <hi rendition="#fr">Deut&#x017F;chen,</hi> als &#x017F;ie daraus &#x017F;ein &#x017F;tandhaftiges Ge-<lb/>
mu&#x0364;th &#x017F;ahen, &#x017F;agten, &#x017F;ie lie&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich &#x017F;ein Ge&#x017F;uch gefallen, doch nur &#x017F;o ferne, wenn er<lb/>
von jedem Schlo&#x017F;&#x017F;e eine Gei&#x017F;&#x017F;el an &#x017F;ie auslieferte, welche &#x017F;ie &#x017F;ich aus&#x017F;uchen wu&#x0364;rden.<lb/>
Er bezeigte &#x017F;ich u&#x0364;ber die&#x017F;e Antwort ungemein vergnu&#x0364;gt, und kehrte zu den Seinigen<lb/>
mit Freuden. Er nahm auch die ihm benamten Gei&#x017F;&#x017F;eln mit &#x017F;ich, und brachte hin-<lb/>
la&#x0364;nglich Volk auf die Beine. Wie er das herbeyge&#x017F;chaffet, wurden die Gei&#x017F;&#x017F;eln<lb/>
den <hi rendition="#fr">Deut&#x017F;chen</hi> eingeha&#x0364;ndiget; und da &#x017F;ie &#x017F;ich al&#x017F;o treu genug erwie&#x017F;en, erhielten<lb/>
&#x017F;ie ihren Bey&#x017F;tand und Freund&#x017F;chaft. Denn die Bedienten des Bi&#x017F;chofs mit den<lb/>
Bru&#x0364;dern der Ritter&#x017F;chaft Chri&#x017F;ti, und der Ritter <hi rendition="#fr">Conrad</hi> von <hi rendition="#fr">Ykeskole</hi> <note place="end" n="c)"/>, neb&#x017F;t<lb/>
wenigen andern, die man entu&#x0364;brigen konte, zogen hinaus zu der Armee, und pa&#x017F;ten<lb/>
an einem erhabenen Orte mit den <hi rendition="#fr">Semgallen</hi> auf, wenn die <hi rendition="#fr">Litthauer</hi> zuru&#x0364;ck<lb/>
ka&#x0364;men.</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">K 2</fw>
              <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">c</hi></hi>) <hi rendition="#fr">Con-</hi></fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0071] von 1204 bis 1205. Des Biſchof Alberts, ſiebentes Jahr, vom Jahr Chriſti 1204 bis 1205. §. 1. Jn dem ſiebenten Jahr des biſchoͤflichen Amtes Alberts, welches das Jahr unſers HErrn 1204 war, brachen faſt zwey tauſend Litthauer zu Pferde gegen die Eſthen zum Marſch auf, um die Faſtenzeit, da dieſe Voͤlker gerne ihre Feldzuͤge zu unternehmen pflegen. Wie ſie nun laͤngſt der Duͤne herauf und bey der Stadt vorbey kamen, ſo trat *) einer von ihnen, mit Namen Swelgate, ein reicher und wolhabender Kerl mit ſeinen Kameraden in der Stadt ab. Dieſem bot unter andern, die ihm in Friede aus der Stadt ent- gegen gezogen, einer aus der Buͤrgerſchaft, Namens Martin Friſe, einen Trunk Meet an. Als er den ausgeſoffen, eilte er den vorausgegangnen Truppen nach, und redete ſeine Reiſegefaͤhrten alſo an: Sahet ihr nicht, wie den Deutſchen die Haͤnde zitterten a⁾ , da ſie uns Meet reichten. Sie hatten unſere Ankunft nur durch ein fliegend Geruͤchte vernommen und koͤnnen deswegen noch nicht aus der Angſt und Beſtuͤrzung kommen. Vor jetzo wollen wir die Zerſtoͤrung der Stadt auf- ſchieben; wenn wir aber die Gegenden, wohin wir gedenken, bezwungen haben b⁾ , ſo wollen wir die Einwohner mitnehmen, todtſchlagen und ihren Flecken zerſtoͤren. Denn kaum wird ſo viel Staub in dieſer Stadt ſeyn, als unſere Leute in die Hand nehmen koͤnnen. 1204 a⁾ Fuͤr trepidantium wolte ich lieber **) trepidantes leſen. b⁾ Vielleicht muß es fuͤr interimus ***) heiſſen, euerterimus. §. 2. Da nun wenig Tage nachher ein Landesaͤlteſter von Semgallen, mit Na- men Weſthard, erfuhr daß die Litthauer zu Felde gegangen, kam er eilend nach Riga, und warnete die Deutſchen, daß ſie die Feinde ſo ungehindert lieſſen durch ihr Land ziehen, ſie koͤnten ja kuͤnftig die Stadt ſamt ihren Einwohnern zu Grunde richten, wenn ſie die Lage des Orts abgeſehen. Ohnerachtet aber die Ri- giſchen vor des Biſchofs Zuruͤckkunft ihrer wenigen Anzahl wegen, keine Luſt zu kriegen bezeigten: ſo ſprach ihnen doch dieſer kriegeriſche Weſthard ein Herze ein, und machte ſich anheiſchig, ihnen eine groſſe Menge Semgallen zu Huͤlfe zu bringen; und bat nur, daß ihm wenigſtens einige Kriegserfahrne Maͤnner zuge- geben wuͤrden, die ſich drauf verſtuͤnden, eine Armee anzufuͤhren und ſie zur Schlacht zu unterrichten. Die Deutſchen, als ſie daraus ſein ſtandhaftiges Ge- muͤth ſahen, ſagten, ſie lieſſen ſich ſein Geſuch gefallen, doch nur ſo ferne, wenn er von jedem Schloſſe eine Geiſſel an ſie auslieferte, welche ſie ſich ausſuchen wuͤrden. Er bezeigte ſich uͤber dieſe Antwort ungemein vergnuͤgt, und kehrte zu den Seinigen mit Freuden. Er nahm auch die ihm benamten Geiſſeln mit ſich, und brachte hin- laͤnglich Volk auf die Beine. Wie er das herbeygeſchaffet, wurden die Geiſſeln den Deutſchen eingehaͤndiget; und da ſie ſich alſo treu genug erwieſen, erhielten ſie ihren Beyſtand und Freundſchaft. Denn die Bedienten des Biſchofs mit den Bruͤdern der Ritterſchaft Chriſti, und der Ritter Conrad von Ykeskole c⁾ , nebſt wenigen andern, die man entuͤbrigen konte, zogen hinaus zu der Armee, und paſten an einem erhabenen Orte mit den Semgallen auf, wenn die Litthauer zuruͤck kaͤmen. c) Con- *) Jch folge hier dem Revelſchen Manuſcripte, wo die Worte ſo ſtehen: Svelgate nomine, cum ſuis ſodalibus ad ciuitatem diuertit. **) Es waͤre ſo; beyde Manuſcripte aber behalten trepidantium bey. ***) Das Revelſche liſt vicerimus, das Rigiſche hat interimus, ſetzt aber oben druͤber interimerimus, welches unrecht, und lieber intrauerimus heiſſen koͤnte. K 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/71
Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/71>, abgerufen am 18.04.2024.