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Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878.

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besteht, die russische Politik nur mit Gefühlen des Hasses und des
Abscheus betrachtet und sein Blut und seinen Schweiß nicht für die
Zwecke des Knutenthums vergießen will.

Es gilt, vor Zusammentritt des Reichstags, überall, wo es irgend
angeht, Volksversammlungen zu veranstalten und Massen-
proteste
gegen die bisherige Orientpolitik der deutschen Reichsregie-
rung und gegen die, von gewisser Seite beabsichtigte militärische Partei-
nahme des Deutschen Reichs für Rußland hervorzurufen.

Geschieht dies, so läßt sich vielleicht eine Bewegung organisiren,
mächtig genug, den Frieden, dessen wir so dringend bedürfen, zum
Mindesten die ehrliche Neutralität Deutschlands zu erzwingen.



("Socialdemokratische Correspondenz" vom 4. Januar 1878).
II.

Nichts könnte des deutschen Volks unwürdiger, unserem guten Namen
bei den übrigen Völkern nachtheiliger sein, als eine passive Haltung in
der gegenwärtigen Krise. Man redet uns so oft vor, Deutschland
marschire nicht blos "an der Spitze der Civilisation", sondern auch an
der Spitze der Staaten, sei die großmächtigste aller Großmächte, die
deutsche Nation "die große Nation." Und gerade Die uns das vor-
reden, verlangen jetzt, diese "große Nation", dieses "Volk der Denker",
das "erste, gewaltigste Volk der Erde", es solle den Sturmwind, den
eine kurzsichtige, frevelhafte Staatskunst gesäet, stumpfsinnig, ohne eine
Hand, einen Fuß zu regen, still duldend wie eine Schafheerde, über
sich hinbrausen lassen, anstatt thatkräftig Maßregeln zu treffen zur Ab-
wendung der Gefahr und -- zur Unschädlichmachung der thörigten und
verbrecherischen Unheilstifter. Oder wären wir Herren nur nach
Außen hin, und Sklaven, feige, stummgehorchende, Alles geduldig
hinnehmende Sklaven Daheim, im eigenen Hause? Das hieße
uns ja die erbärmlichste, die verächtlichste Rolle zuweisen, die ein Volk
überhaupt spielen kann.

Nein -- wir denken besser von unserem Volke, und wenn ihm
der Weg der Pflicht, der Weg der Ehre, der Weg der Rettung, der
Selbsterhaltung gezeigt wird, so wird es ihn wandeln. Und an
der Socialdemokratie, der einzigen wahren Volkspartei, der Partei
der Jnitiative, ist es, dem Volke den Weg zu zeigen.

Die englischen Arbeiter haben uns vor einem halben Menschen-
alter ein leuchtendes Vorbild gegeben. Es war zu Anfang der 60er
Jahre: Die Sklavenbarone der amerikanischen Südstaaten hatten die
Fahne der Rebellion gegen die "große Republik" der neuen Welt er-

beſteht, die ruſſiſche Politik nur mit Gefühlen des Haſſes und des
Abſcheus betrachtet und ſein Blut und ſeinen Schweiß nicht für die
Zwecke des Knutenthums vergießen will.

Es gilt, vor Zuſammentritt des Reichstags, überall, wo es irgend
angeht, Volksverſammlungen zu veranſtalten und Maſſen-
proteſte
gegen die bisherige Orientpolitik der deutſchen Reichsregie-
rung und gegen die, von gewiſſer Seite beabſichtigte militäriſche Partei-
nahme des Deutſchen Reichs für Rußland hervorzurufen.

Geſchieht dies, ſo läßt ſich vielleicht eine Bewegung organiſiren,
mächtig genug, den Frieden, deſſen wir ſo dringend bedürfen, zum
Mindeſten die ehrliche Neutralität Deutſchlands zu erzwingen.



(„Socialdemokratiſche Correſpondenz‟ vom 4. Januar 1878).
II.

Nichts könnte des deutſchen Volks unwürdiger, unſerem guten Namen
bei den übrigen Völkern nachtheiliger ſein, als eine paſſive Haltung in
der gegenwärtigen Kriſe. Man redet uns ſo oft vor, Deutſchland
marſchire nicht blos „an der Spitze der Civiliſation‟, ſondern auch an
der Spitze der Staaten, ſei die großmächtigſte aller Großmächte, die
deutſche Nation „die große Nation.‟ Und gerade Die uns das vor-
reden, verlangen jetzt, dieſe „große Nation‟, dieſes „Volk der Denker‟,
das „erſte, gewaltigſte Volk der Erde‟, es ſolle den Sturmwind, den
eine kurzſichtige, frevelhafte Staatskunſt geſäet, ſtumpfſinnig, ohne eine
Hand, einen Fuß zu regen, ſtill duldend wie eine Schafheerde, über
ſich hinbrauſen laſſen, anſtatt thatkräftig Maßregeln zu treffen zur Ab-
wendung der Gefahr und — zur Unſchädlichmachung der thörigten und
verbrecheriſchen Unheilſtifter. Oder wären wir Herren nur nach
Außen hin, und Sklaven, feige, ſtummgehorchende, Alles geduldig
hinnehmende Sklaven Daheim, im eigenen Hauſe? Das hieße
uns ja die erbärmlichſte, die verächtlichſte Rolle zuweiſen, die ein Volk
überhaupt ſpielen kann.

Nein — wir denken beſſer von unſerem Volke, und wenn ihm
der Weg der Pflicht, der Weg der Ehre, der Weg der Rettung, der
Selbſterhaltung gezeigt wird, ſo wird es ihn wandeln. Und an
der Socialdemokratie, der einzigen wahren Volkspartei, der Partei
der Jnitiative, iſt es, dem Volke den Weg zu zeigen.

Die engliſchen Arbeiter haben uns vor einem halben Menſchen-
alter ein leuchtendes Vorbild gegeben. Es war zu Anfang der 60er
Jahre: Die Sklavenbarone der amerikaniſchen Südſtaaten hatten die
Fahne der Rebellion gegen die „große Republik‟ der neuen Welt er-

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[36/0040] beſteht, die ruſſiſche Politik nur mit Gefühlen des Haſſes und des Abſcheus betrachtet und ſein Blut und ſeinen Schweiß nicht für die Zwecke des Knutenthums vergießen will. Es gilt, vor Zuſammentritt des Reichstags, überall, wo es irgend angeht, Volksverſammlungen zu veranſtalten und Maſſen- proteſte gegen die bisherige Orientpolitik der deutſchen Reichsregie- rung und gegen die, von gewiſſer Seite beabſichtigte militäriſche Partei- nahme des Deutſchen Reichs für Rußland hervorzurufen. Geſchieht dies, ſo läßt ſich vielleicht eine Bewegung organiſiren, mächtig genug, den Frieden, deſſen wir ſo dringend bedürfen, zum Mindeſten die ehrliche Neutralität Deutſchlands zu erzwingen. („Socialdemokratiſche Correſpondenz‟ vom 4. Januar 1878). II. Nichts könnte des deutſchen Volks unwürdiger, unſerem guten Namen bei den übrigen Völkern nachtheiliger ſein, als eine paſſive Haltung in der gegenwärtigen Kriſe. Man redet uns ſo oft vor, Deutſchland marſchire nicht blos „an der Spitze der Civiliſation‟, ſondern auch an der Spitze der Staaten, ſei die großmächtigſte aller Großmächte, die deutſche Nation „die große Nation.‟ Und gerade Die uns das vor- reden, verlangen jetzt, dieſe „große Nation‟, dieſes „Volk der Denker‟, das „erſte, gewaltigſte Volk der Erde‟, es ſolle den Sturmwind, den eine kurzſichtige, frevelhafte Staatskunſt geſäet, ſtumpfſinnig, ohne eine Hand, einen Fuß zu regen, ſtill duldend wie eine Schafheerde, über ſich hinbrauſen laſſen, anſtatt thatkräftig Maßregeln zu treffen zur Ab- wendung der Gefahr und — zur Unſchädlichmachung der thörigten und verbrecheriſchen Unheilſtifter. Oder wären wir Herren nur nach Außen hin, und Sklaven, feige, ſtummgehorchende, Alles geduldig hinnehmende Sklaven Daheim, im eigenen Hauſe? Das hieße uns ja die erbärmlichſte, die verächtlichſte Rolle zuweiſen, die ein Volk überhaupt ſpielen kann. Nein — wir denken beſſer von unſerem Volke, und wenn ihm der Weg der Pflicht, der Weg der Ehre, der Weg der Rettung, der Selbſterhaltung gezeigt wird, ſo wird es ihn wandeln. Und an der Socialdemokratie, der einzigen wahren Volkspartei, der Partei der Jnitiative, iſt es, dem Volke den Weg zu zeigen. Die engliſchen Arbeiter haben uns vor einem halben Menſchen- alter ein leuchtendes Vorbild gegeben. Es war zu Anfang der 60er Jahre: Die Sklavenbarone der amerikaniſchen Südſtaaten hatten die Fahne der Rebellion gegen die „große Republik‟ der neuen Welt er-

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Zitationshilfe: Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebknecht_frage_1878/40>, abgerufen am 28.03.2024.