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Lindemann, Anna: Die Frauenstimmrechtsbewegung in Deutschland. Leipzig und Berlin, 1913.

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Westdeutscher und Norddeutscher Verband
Jnstanzen verfolgten Prozeß das ihr nach dem Wortlaut der Städte-
ordnung zustehende Gemeindewahlrecht zu erkämpfen gesucht. Durch
Enqueten stellt der Verband den Einfluß von Eingemeindungen auf
das Wahlrecht der Frauen fest; die städtischen Frauen hält er zum Be-
such der Stadtverordnetenversammlungen und zur Stellungnahme zu
kommunalen Fragen an. Besonders wertvoll aber erscheint die Arbeit
auf dem Lande. Sie beschränkt sich nicht darauf, durch sorgfältig or-
ganisierte Propaganda die das indirekte Wahlrecht schon besitzenden
Frauen zu seiner Ausübung zu veranlassen. Durch Gemeindemappen,
in denen die Landfrauen -- bei Ausschluß alles dessen, was als konfes-
sionelle oder parteipolitische Beeinflussung erscheinen könnte -- alles
finden, was geeignet ist, ihr Verständnis für das öffentliche Leben, für
Hygiene usw. zu fördern, sie durch allgemeinverständliche Artikel über
Fraueninteressen, Rechtsschutz usw. für den Gedankenkreis der Frauen-
bewegung zu gewinnen, wird besonders im Winter mit seinen langen
Abenden viel gewirkt. Vertieft wird die Wirkung der Mappen durch
die Arbeit der Wanderkommissionen, die Sonntagsausflüge zum Besuch
kleiner Gruppen oder Einzelmitglieder, zu Besuchen bei ländlichen Wäh-
lerinnen, zum Einsammeln der Mappen usw. organisieren und diese
immer für die Propaganda des Frauenstimmrechtes nutzbar machen.

Der Westdeutsche Verband wurde am 20. Oktober 1909 von
Li Fischer-Eckert gegründet. Er hat jetzt 16 Ortsgruppen mit zirka
1200 Mitgliedern. Er nimmt auch Frauenstimmrechtsgruppen anderer
Vereine auf, ebenso wie der Schlesische Verband. Der Verband erstrebt
das Stimmrecht unter den gleichen Bedingungen wie die Männer es
haben oder haben werden und schaltet jede Propaganda für ein be-
stimmtes Wahlrecht aus. Auf diesem Wege glaubt er alle Frauengrup-
pen erfassen, Frauen aus allen Parteien zu Anhängerinnen gewinnen
zu können.

Der Verband reichte eine Petition zur rheinischen Landgemeinde-
reform ein, gab eine Broschüre "Die Grundlagen der Wahlrechts" her-
aus und verbreitete Flugblätter in großer Zahl. Seine praktische Ar-
beit wendet sich neben den Krankenkassenwahlen vor allem dem Land-
gemeindewahlrecht der Frauen zu. Vorsitzende des Verbandes ist Els-
beth Krukenberg.

Der Norddeutsche Verband wurde im Herbst 1911 gegründet.
Nach seiner Satzung erstrebt er volle Staatsbürgerrechte für die Frauen.
Er will die Frauen zu der Einsicht bringen, daß es ihre Pflicht ist,
sich für alle politischen Tagesfragen ln Staat und Gemeinde zu inter-
essieren und sich so auf ihre künftigen Bürgerrechte vorzubereiten. Er

Westdeutscher und Norddeutscher Verband
Jnstanzen verfolgten Prozeß das ihr nach dem Wortlaut der Städte-
ordnung zustehende Gemeindewahlrecht zu erkämpfen gesucht. Durch
Enqueten stellt der Verband den Einfluß von Eingemeindungen auf
das Wahlrecht der Frauen fest; die städtischen Frauen hält er zum Be-
such der Stadtverordnetenversammlungen und zur Stellungnahme zu
kommunalen Fragen an. Besonders wertvoll aber erscheint die Arbeit
auf dem Lande. Sie beschränkt sich nicht darauf, durch sorgfältig or-
ganisierte Propaganda die das indirekte Wahlrecht schon besitzenden
Frauen zu seiner Ausübung zu veranlassen. Durch Gemeindemappen,
in denen die Landfrauen — bei Ausschluß alles dessen, was als konfes-
sionelle oder parteipolitische Beeinflussung erscheinen könnte — alles
finden, was geeignet ist, ihr Verständnis für das öffentliche Leben, für
Hygiene usw. zu fördern, sie durch allgemeinverständliche Artikel über
Fraueninteressen, Rechtsschutz usw. für den Gedankenkreis der Frauen-
bewegung zu gewinnen, wird besonders im Winter mit seinen langen
Abenden viel gewirkt. Vertieft wird die Wirkung der Mappen durch
die Arbeit der Wanderkommissionen, die Sonntagsausflüge zum Besuch
kleiner Gruppen oder Einzelmitglieder, zu Besuchen bei ländlichen Wäh-
lerinnen, zum Einsammeln der Mappen usw. organisieren und diese
immer für die Propaganda des Frauenstimmrechtes nutzbar machen.

Der Westdeutsche Verband wurde am 20. Oktober 1909 von
Li Fischer-Eckert gegründet. Er hat jetzt 16 Ortsgruppen mit zirka
1200 Mitgliedern. Er nimmt auch Frauenstimmrechtsgruppen anderer
Vereine auf, ebenso wie der Schlesische Verband. Der Verband erstrebt
das Stimmrecht unter den gleichen Bedingungen wie die Männer es
haben oder haben werden und schaltet jede Propaganda für ein be-
stimmtes Wahlrecht aus. Auf diesem Wege glaubt er alle Frauengrup-
pen erfassen, Frauen aus allen Parteien zu Anhängerinnen gewinnen
zu können.

Der Verband reichte eine Petition zur rheinischen Landgemeinde-
reform ein, gab eine Broschüre „Die Grundlagen der Wahlrechts“ her-
aus und verbreitete Flugblätter in großer Zahl. Seine praktische Ar-
beit wendet sich neben den Krankenkassenwahlen vor allem dem Land-
gemeindewahlrecht der Frauen zu. Vorsitzende des Verbandes ist Els-
beth Krukenberg.

Der Norddeutsche Verband wurde im Herbst 1911 gegründet.
Nach seiner Satzung erstrebt er volle Staatsbürgerrechte für die Frauen.
Er will die Frauen zu der Einsicht bringen, daß es ihre Pflicht ist,
sich für alle politischen Tagesfragen ln Staat und Gemeinde zu inter-
essieren und sich so auf ihre künftigen Bürgerrechte vorzubereiten. Er

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[166/0009] Westdeutscher und Norddeutscher Verband Jnstanzen verfolgten Prozeß das ihr nach dem Wortlaut der Städte- ordnung zustehende Gemeindewahlrecht zu erkämpfen gesucht. Durch Enqueten stellt der Verband den Einfluß von Eingemeindungen auf das Wahlrecht der Frauen fest; die städtischen Frauen hält er zum Be- such der Stadtverordnetenversammlungen und zur Stellungnahme zu kommunalen Fragen an. Besonders wertvoll aber erscheint die Arbeit auf dem Lande. Sie beschränkt sich nicht darauf, durch sorgfältig or- ganisierte Propaganda die das indirekte Wahlrecht schon besitzenden Frauen zu seiner Ausübung zu veranlassen. Durch Gemeindemappen, in denen die Landfrauen — bei Ausschluß alles dessen, was als konfes- sionelle oder parteipolitische Beeinflussung erscheinen könnte — alles finden, was geeignet ist, ihr Verständnis für das öffentliche Leben, für Hygiene usw. zu fördern, sie durch allgemeinverständliche Artikel über Fraueninteressen, Rechtsschutz usw. für den Gedankenkreis der Frauen- bewegung zu gewinnen, wird besonders im Winter mit seinen langen Abenden viel gewirkt. Vertieft wird die Wirkung der Mappen durch die Arbeit der Wanderkommissionen, die Sonntagsausflüge zum Besuch kleiner Gruppen oder Einzelmitglieder, zu Besuchen bei ländlichen Wäh- lerinnen, zum Einsammeln der Mappen usw. organisieren und diese immer für die Propaganda des Frauenstimmrechtes nutzbar machen. Der Westdeutsche Verband wurde am 20. Oktober 1909 von Li Fischer-Eckert gegründet. Er hat jetzt 16 Ortsgruppen mit zirka 1200 Mitgliedern. Er nimmt auch Frauenstimmrechtsgruppen anderer Vereine auf, ebenso wie der Schlesische Verband. Der Verband erstrebt das Stimmrecht unter den gleichen Bedingungen wie die Männer es haben oder haben werden und schaltet jede Propaganda für ein be- stimmtes Wahlrecht aus. Auf diesem Wege glaubt er alle Frauengrup- pen erfassen, Frauen aus allen Parteien zu Anhängerinnen gewinnen zu können. Der Verband reichte eine Petition zur rheinischen Landgemeinde- reform ein, gab eine Broschüre „Die Grundlagen der Wahlrechts“ her- aus und verbreitete Flugblätter in großer Zahl. Seine praktische Ar- beit wendet sich neben den Krankenkassenwahlen vor allem dem Land- gemeindewahlrecht der Frauen zu. Vorsitzende des Verbandes ist Els- beth Krukenberg. Der Norddeutsche Verband wurde im Herbst 1911 gegründet. Nach seiner Satzung erstrebt er volle Staatsbürgerrechte für die Frauen. Er will die Frauen zu der Einsicht bringen, daß es ihre Pflicht ist, sich für alle politischen Tagesfragen ln Staat und Gemeinde zu inter- essieren und sich so auf ihre künftigen Bürgerrechte vorzubereiten. Er

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-01-26T16:17:50Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-01-26T16:17:50Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Lindemann, Anna: Die Frauenstimmrechtsbewegung in Deutschland. Leipzig und Berlin, 1913, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lindemann_frauenstimmrechtsbewegung_1913/9>, abgerufen am 29.03.2024.