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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Einleitung.

I. Die Grundbegriffe.
§. 1.
Das Strafrecht.

I. Strafrecht im subjektiven Sinne ist Recht zu
strafen
, jus puniendi. Dieses Recht steht nicht nur dem
Staate, sondern innerhalb der vom Staate gezogenen aller-
dings sehr eng gesteckten Grenzen auch dem Einzelindivi-
duum (in Haus und Schule) sowie den verschiedensten
Gruppen von Einzelindividuen zu (Kirchen, Vereinen und
Gesellschaften, Vertretungs-Körpern usw.). Wir haben es
in dieser Schrift nur mit dem staatlichen Strafrecht zu
thun.

Aber giebt es ein staatliches Straf-Recht? Kann von
einem Recht, als der, von der rechtsetzenden Gewalt ge-
währten und gewährleisteten Willensmacht dort gesprochen
werden, wo der Träger der gewährten Willensmacht zugleich
der Gewährende ist? Paßt der Begriff des subjektiven Rechtes
überhaupt auf die Willensmacht des Staates?

Die Beseitigung dieses Einwandes ist von grundlegender
Bedeutung.

Die an sich schrankenlose, der juristischen Fassung spot-
tende Strafgewalt des Staates wird zum staatlichen
Strafrechte durch Selbstbeschränkung. Die rechtsetzende

von Liszt, Strafrecht. 1
Einleitung.

I. Die Grundbegriffe.
§. 1.
Das Strafrecht.

I. Strafrecht im ſubjektiven Sinne iſt Recht zu
ſtrafen
, jus puniendi. Dieſes Recht ſteht nicht nur dem
Staate, ſondern innerhalb der vom Staate gezogenen aller-
dings ſehr eng geſteckten Grenzen auch dem Einzelindivi-
duum (in Haus und Schule) ſowie den verſchiedenſten
Gruppen von Einzelindividuen zu (Kirchen, Vereinen und
Geſellſchaften, Vertretungs-Körpern uſw.). Wir haben es
in dieſer Schrift nur mit dem ſtaatlichen Strafrecht zu
thun.

Aber giebt es ein ſtaatliches Straf-Recht? Kann von
einem Recht, als der, von der rechtſetzenden Gewalt ge-
währten und gewährleiſteten Willensmacht dort geſprochen
werden, wo der Träger der gewährten Willensmacht zugleich
der Gewährende iſt? Paßt der Begriff des ſubjektiven Rechtes
überhaupt auf die Willensmacht des Staates?

Die Beſeitigung dieſes Einwandes iſt von grundlegender
Bedeutung.

Die an ſich ſchrankenloſe, der juriſtiſchen Faſſung ſpot-
tende Strafgewalt des Staates wird zum ſtaatlichen
Strafrechte durch Selbſtbeſchränkung. Die rechtſetzende

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[[1]/0027] Einleitung. I. Die Grundbegriffe. §. 1. Das Strafrecht. I. Strafrecht im ſubjektiven Sinne iſt Recht zu ſtrafen, jus puniendi. Dieſes Recht ſteht nicht nur dem Staate, ſondern innerhalb der vom Staate gezogenen aller- dings ſehr eng geſteckten Grenzen auch dem Einzelindivi- duum (in Haus und Schule) ſowie den verſchiedenſten Gruppen von Einzelindividuen zu (Kirchen, Vereinen und Geſellſchaften, Vertretungs-Körpern uſw.). Wir haben es in dieſer Schrift nur mit dem ſtaatlichen Strafrecht zu thun. Aber giebt es ein ſtaatliches Straf-Recht? Kann von einem Recht, als der, von der rechtſetzenden Gewalt ge- währten und gewährleiſteten Willensmacht dort geſprochen werden, wo der Träger der gewährten Willensmacht zugleich der Gewährende iſt? Paßt der Begriff des ſubjektiven Rechtes überhaupt auf die Willensmacht des Staates? Die Beſeitigung dieſes Einwandes iſt von grundlegender Bedeutung. Die an ſich ſchrankenloſe, der juriſtiſchen Faſſung ſpot- tende Strafgewalt des Staates wird zum ſtaatlichen Strafrechte durch Selbſtbeſchränkung. Die rechtſetzende von Liszt, Strafrecht. 1

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/27>, abgerufen am 18.04.2024.