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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Die Notwehr. §. 23.
so kann auch das unbedeutendste Rechtsgut durch Tötung
des Angreifers geschützt werden.7 Die Ansicht, nach
welcher die Möglichkeit einer unschimpflichen Flucht,
des Anrufens fremder Hülfe usw. die Rechtmäßigkeit
der Notwehrhandlung ausschließen soll, kann als eine
heute allgemein aufgegebene bezeichnet werden.
b) Die Notwehr ist nicht nur zum Schutze eigener, son-
dern als Nothülfe auch zum Schutze fremder Rechts-
güter gestattet. Die Beschränkung auf eine Bedrohung
der "Angehörigen" (wie beim Notstande StGB.
§§. 52 u. 54) ist hier unserem Rechte fremd.

III. Sobald die Grenzen der erforderlichen Verteidigung
überschritten sind, unterliegt die weitere Verteidigung als
rechtswidrige Rechtsgüterverletzung den allgemeinen Re-
geln. Doch bleibt nach §. 53 StGB. die durch Bestür-
zung, Furcht oder Schrecken
herbeigeführte Ueberschrei-
tung straflos; es liegt hier zwar eine objektiv strafbare Hand-
lung, zugleich aber auch ein subjektiver Strafausschließungs-
grund (unten §. 30 III 3) vor.

Die irrige Annahme der Notwehr ist als irrige Sub-
sumption der That unter eine Ausnahme von der Herrschaft
der Norm nach den allgemeinen Grundsätzen (vgl. unten
§. 28 II) zu beurteilen. Dasselbe gilt von dem Eintritte
des Erfolges bei einem anderen als dem vorgestellten Objekte
(aberratio ictus oder error in objecto; vgl. unten
§. 28 V).8

7 [Spaltenumbruch] Treffende Bemerkungen ge-
gen die abweichende Ansicht der
älteren Schriftsteller in Ihe-
ring's
Kampf ums Recht.
Dagegen verwahrt sich Geyer
(zuletzt in v. Holtzendorff's[Spaltenumbruch] Handb. IV S. 94) gegen diese
"Totschlägermoral".
8 [Spaltenumbruch] Gerade diese Fälle werden
in der Praxis vielfach unrichtig
entschieden.
Die Notwehr. §. 23.
ſo kann auch das unbedeutendſte Rechtsgut durch Tötung
des Angreifers geſchützt werden.7 Die Anſicht, nach
welcher die Möglichkeit einer unſchimpflichen Flucht,
des Anrufens fremder Hülfe uſw. die Rechtmäßigkeit
der Notwehrhandlung ausſchließen ſoll, kann als eine
heute allgemein aufgegebene bezeichnet werden.
b) Die Notwehr iſt nicht nur zum Schutze eigener, ſon-
dern als Nothülfe auch zum Schutze fremder Rechts-
güter geſtattet. Die Beſchränkung auf eine Bedrohung
der „Angehörigen“ (wie beim Notſtande StGB.
§§. 52 u. 54) iſt hier unſerem Rechte fremd.

III. Sobald die Grenzen der erforderlichen Verteidigung
überſchritten ſind, unterliegt die weitere Verteidigung als
rechtswidrige Rechtsgüterverletzung den allgemeinen Re-
geln. Doch bleibt nach §. 53 StGB. die durch Beſtür-
zung, Furcht oder Schrecken
herbeigeführte Ueberſchrei-
tung ſtraflos; es liegt hier zwar eine objektiv ſtrafbare Hand-
lung, zugleich aber auch ein ſubjektiver Strafausſchließungs-
grund (unten §. 30 III 3) vor.

Die irrige Annahme der Notwehr iſt als irrige Sub-
ſumption der That unter eine Ausnahme von der Herrſchaft
der Norm nach den allgemeinen Grundſätzen (vgl. unten
§. 28 II) zu beurteilen. Dasſelbe gilt von dem Eintritte
des Erfolges bei einem anderen als dem vorgeſtellten Objekte
(aberratio ictus oder error in objecto; vgl. unten
§. 28 V).8

7 [Spaltenumbruch] Treffende Bemerkungen ge-
gen die abweichende Anſicht der
älteren Schriftſteller in Ihe-
ring’s
Kampf ums Recht.
Dagegen verwahrt ſich Geyer
(zuletzt in v. Holtzendorff’s[Spaltenumbruch] Handb. IV S. 94) gegen dieſe
„Totſchlägermoral“.
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in der Praxis vielfach unrichtig
entſchieden.
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[91/0117] Die Notwehr. §. 23. ſo kann auch das unbedeutendſte Rechtsgut durch Tötung des Angreifers geſchützt werden. 7 Die Anſicht, nach welcher die Möglichkeit einer unſchimpflichen Flucht, des Anrufens fremder Hülfe uſw. die Rechtmäßigkeit der Notwehrhandlung ausſchließen ſoll, kann als eine heute allgemein aufgegebene bezeichnet werden. b) Die Notwehr iſt nicht nur zum Schutze eigener, ſon- dern als Nothülfe auch zum Schutze fremder Rechts- güter geſtattet. Die Beſchränkung auf eine Bedrohung der „Angehörigen“ (wie beim Notſtande StGB. §§. 52 u. 54) iſt hier unſerem Rechte fremd. III. Sobald die Grenzen der erforderlichen Verteidigung überſchritten ſind, unterliegt die weitere Verteidigung als rechtswidrige Rechtsgüterverletzung den allgemeinen Re- geln. Doch bleibt nach §. 53 StGB. die durch Beſtür- zung, Furcht oder Schrecken herbeigeführte Ueberſchrei- tung ſtraflos; es liegt hier zwar eine objektiv ſtrafbare Hand- lung, zugleich aber auch ein ſubjektiver Strafausſchließungs- grund (unten §. 30 III 3) vor. Die irrige Annahme der Notwehr iſt als irrige Sub- ſumption der That unter eine Ausnahme von der Herrſchaft der Norm nach den allgemeinen Grundſätzen (vgl. unten §. 28 II) zu beurteilen. Dasſelbe gilt von dem Eintritte des Erfolges bei einem anderen als dem vorgeſtellten Objekte (aberratio ictus oder error in objecto; vgl. unten §. 28 V). 8 7 Treffende Bemerkungen ge- gen die abweichende Anſicht der älteren Schriftſteller in Ihe- ring’s Kampf ums Recht. Dagegen verwahrt ſich Geyer (zuletzt in v. Holtzendorff’s Handb. IV S. 94) gegen dieſe „Totſchlägermoral“. 8 Gerade dieſe Fälle werden in der Praxis vielfach unrichtig entſchieden.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/117>, abgerufen am 24.04.2024.