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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Erst. Buch. IV. Das Verbr. als schuldh. rechtswidr. Handl.
eingetretenen Erfolge gesetzt. Liegt nun außerdem der Kau-
salzusammenhang selbst und auf der subjektiven Seite wirk-
lich Vorsatz (vgl. unten §. 28 IV) oder Fahrlässigkeit vor,
so steht der Zurechnung des Erfolges zur Schuld nichts im
Wege.10

VI. Da die Zurechnungsfähigkeit eine Art der Hand-
lungsfähigkeit
ist, so kann nur der Mensch Subjekt
eines Deliktes sein.11 Und zwar nach positivem Rechte nur
das Einzelindividuum, nicht aber die Kollektivper-
sönlichkeit
. Societas delinquere non potest. Immer können
nur die einzelnen handelnden Vertreter, nicht aber der ver-
tretene Gesammtkörper zur Verantwortung gezogen werden.
Die nach den strafrechtlichen Nebengesetzen des Reiches auch
den Kollektivpersönlichkeiten vielfach auferlegte subsidiäre
Haftung für die zunächst den Schuldigen treffenden Geld-
strafen (vgl. unten §. 42 III 2) ist keine Strafe, wenn
sie auch in ihren Wirkungen einer solchen durchaus gleich-
kommt.

Dabei sei jedoch ausdrücklich betont, daß die Bestrafung
"juristischer Personen" nicht nur rechtlich möglich,12 sondern
auch innerhalb gewisser Grenzen nach dem von der englisch-
amerikanischen Praxis gegebenen Beispiele de lege ferenda

10 [Spaltenumbruch] Die Meinungen gehen weit
auseinander. Meist wird in
ganz einseitiger Weise nur die
Frage nach dem Vorliegen des
Kausalzusammenhanges bespro-
chen. Zusammenstellungen der
verschiedenen Ansichten bei Bin-
ding
a. O.
11 [Spaltenumbruch] Ueber die abweichenden An-
sichten des älteren Rechts vgl.
Geib Lehrb. II S. 197.
12 [Spaltenumbruch] Die entgegengesetzte Ansicht
ist nicht nur die herrschende,
sondern die beinahe ausschließ-
lich bei Kriminalisten wie Ci-
vilisten herrschende. Für die
juristische Möglichkeit der Be-
strafung haben sich Beseler,
Bluntschli. Ziebarth
, in
jüngster Zeit Felix Dahn Ver-
nunft im Recht S. 168 ausge-
sprochen.

Erſt. Buch. IV. Das Verbr. als ſchuldh. rechtswidr. Handl.
eingetretenen Erfolge geſetzt. Liegt nun außerdem der Kau-
ſalzuſammenhang ſelbſt und auf der ſubjektiven Seite wirk-
lich Vorſatz (vgl. unten §. 28 IV) oder Fahrläſſigkeit vor,
ſo ſteht der Zurechnung des Erfolges zur Schuld nichts im
Wege.10

VI. Da die Zurechnungsfähigkeit eine Art der Hand-
lungsfähigkeit
iſt, ſo kann nur der Menſch Subjekt
eines Deliktes ſein.11 Und zwar nach poſitivem Rechte nur
das Einzelindividuum, nicht aber die Kollektivper-
ſönlichkeit
. Societas delinquere non potest. Immer können
nur die einzelnen handelnden Vertreter, nicht aber der ver-
tretene Geſammtkörper zur Verantwortung gezogen werden.
Die nach den ſtrafrechtlichen Nebengeſetzen des Reiches auch
den Kollektivperſönlichkeiten vielfach auferlegte ſubſidiäre
Haftung für die zunächſt den Schuldigen treffenden Geld-
ſtrafen (vgl. unten §. 42 III 2) iſt keine Strafe, wenn
ſie auch in ihren Wirkungen einer ſolchen durchaus gleich-
kommt.

Dabei ſei jedoch ausdrücklich betont, daß die Beſtrafung
„juriſtiſcher Perſonen“ nicht nur rechtlich möglich,12 ſondern
auch innerhalb gewiſſer Grenzen nach dem von der engliſch-
amerikaniſchen Praxis gegebenen Beiſpiele de lege ferenda

10 [Spaltenumbruch] Die Meinungen gehen weit
auseinander. Meiſt wird in
ganz einſeitiger Weiſe nur die
Frage nach dem Vorliegen des
Kauſalzuſammenhanges beſpro-
chen. Zuſammenſtellungen der
verſchiedenen Anſichten bei Bin-
ding
a. O.
11 [Spaltenumbruch] Ueber die abweichenden An-
ſichten des älteren Rechts vgl.
Geib Lehrb. II S. 197.
12 [Spaltenumbruch] Die entgegengeſetzte Anſicht
iſt nicht nur die herrſchende,
ſondern die beinahe ausſchließ-
lich bei Kriminaliſten wie Ci-
viliſten herrſchende. Für die
juriſtiſche Möglichkeit der Be-
ſtrafung haben ſich Beſeler,
Bluntſchli. Ziebarth
, in
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nunft im Recht S. 168 ausge-
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[100/0126] Erſt. Buch. IV. Das Verbr. als ſchuldh. rechtswidr. Handl. eingetretenen Erfolge geſetzt. Liegt nun außerdem der Kau- ſalzuſammenhang ſelbſt und auf der ſubjektiven Seite wirk- lich Vorſatz (vgl. unten §. 28 IV) oder Fahrläſſigkeit vor, ſo ſteht der Zurechnung des Erfolges zur Schuld nichts im Wege. 10 VI. Da die Zurechnungsfähigkeit eine Art der Hand- lungsfähigkeit iſt, ſo kann nur der Menſch Subjekt eines Deliktes ſein. 11 Und zwar nach poſitivem Rechte nur das Einzelindividuum, nicht aber die Kollektivper- ſönlichkeit. Societas delinquere non potest. Immer können nur die einzelnen handelnden Vertreter, nicht aber der ver- tretene Geſammtkörper zur Verantwortung gezogen werden. Die nach den ſtrafrechtlichen Nebengeſetzen des Reiches auch den Kollektivperſönlichkeiten vielfach auferlegte ſubſidiäre Haftung für die zunächſt den Schuldigen treffenden Geld- ſtrafen (vgl. unten §. 42 III 2) iſt keine Strafe, wenn ſie auch in ihren Wirkungen einer ſolchen durchaus gleich- kommt. Dabei ſei jedoch ausdrücklich betont, daß die Beſtrafung „juriſtiſcher Perſonen“ nicht nur rechtlich möglich, 12 ſondern auch innerhalb gewiſſer Grenzen nach dem von der engliſch- amerikaniſchen Praxis gegebenen Beiſpiele de lege ferenda 10 Die Meinungen gehen weit auseinander. Meiſt wird in ganz einſeitiger Weiſe nur die Frage nach dem Vorliegen des Kauſalzuſammenhanges beſpro- chen. Zuſammenſtellungen der verſchiedenen Anſichten bei Bin- ding a. O. 11 Ueber die abweichenden An- ſichten des älteren Rechts vgl. Geib Lehrb. II S. 197. 12 Die entgegengeſetzte Anſicht iſt nicht nur die herrſchende, ſondern die beinahe ausſchließ- lich bei Kriminaliſten wie Ci- viliſten herrſchende. Für die juriſtiſche Möglichkeit der Be- ſtrafung haben ſich Beſeler, Bluntſchli. Ziebarth, in jüngſter Zeit Felix Dahn Ver- nunft im Recht S. 168 ausge- ſprochen.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/126>, abgerufen am 24.04.2024.