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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Die Schuld. §. 27.
einzigen Schuldarten bezeichnet und dieses Resultat als ein
aus dem positiven Rechte abgeleitetes hingestellt. Dieser Be-
hauptung widersprechen nicht die zahlreich in den strafrecht-
lichen Nebengesetzen sich findenden Präsumptionen der Schuld.3
Denn wenn das objektive Recht bis zu dem Beweise des
Gegenteils die Schuld -- Vorsatz oder Fahrlässigkeit -- als
erwiesen annimmt, vielleicht auch den Gegenbeweis dem An-
geschuldigten aufbürdet, so anerkennt es ja gerade dadurch,
daß ohne Vorsatz oder Fahrlässigkeit eine Bestrafung nicht
eintreten kann und soll. Durch die Präsumption einer
Thatsache wird ja gerade deren rechtliche Bedeutung beson-
ders betont.4

Unserem Satze, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit die ein-
zigen Schuldarten seien und daß es ohne Schuld weder
Delikt noch Verbrechen gebe, widersprechen auch nicht jene
Anordnungen, welche die Schwere der Strafe für das an
sich schuldhafte Thun
abstufen nach der Größe des ver-
ursachten Schadens, unabhängig davon, ob gerade in Bezug
auf die Verursachung dieses schwereren Erfolges Schuld
vorliegt (vgl. unten §. 54 I 3). Denn die bestrafte Hand-

3 [Spaltenumbruch] Man vgl. außer den Zoll-
und Steuergesetzen: Gesetz betr.
die Nationalität der Kauffahrtei-
schiffe vom 25. Oktober 1867
§. 14; Aktiengesetz vom 11. Juni
1870 §. 249 a; Preßgesetz vom
7. Mai 1874 §. 21 (nicht §. 20);
Rinderpestgesetz vom 21. Mai
1878 §. 3 Abs. 2; Spielkarten-
stempelgesetz vom 3. Juli 1878
§. 10 Abs. 3. Ueber diese Prä-
sumptionen Binding Normen
II S. 612 ff.
4 [Spaltenumbruch] Die einzige Ausnahme, bei
der es sich also nicht um eine
Präsumption der Schuld sondern
um Ignorierung derselben han-
delt, bietet §. 137 Abs. 1 des
Vereinszollgesetzes vom 3. Juli
1869, aber auch dieser nur in-
soweit weder der 2. Abs. ein-
greift, noch auch die Wortfassung
des bezogenen §. 136 das Ge-
genteil ergiebt.

Die Schuld. §. 27.
einzigen Schuldarten bezeichnet und dieſes Reſultat als ein
aus dem poſitiven Rechte abgeleitetes hingeſtellt. Dieſer Be-
hauptung widerſprechen nicht die zahlreich in den ſtrafrecht-
lichen Nebengeſetzen ſich findenden Präſumptionen der Schuld.3
Denn wenn das objektive Recht bis zu dem Beweiſe des
Gegenteils die Schuld — Vorſatz oder Fahrläſſigkeit — als
erwieſen annimmt, vielleicht auch den Gegenbeweis dem An-
geſchuldigten aufbürdet, ſo anerkennt es ja gerade dadurch,
daß ohne Vorſatz oder Fahrläſſigkeit eine Beſtrafung nicht
eintreten kann und ſoll. Durch die Präſumption einer
Thatſache wird ja gerade deren rechtliche Bedeutung beſon-
ders betont.4

Unſerem Satze, daß Vorſatz und Fahrläſſigkeit die ein-
zigen Schuldarten ſeien und daß es ohne Schuld weder
Delikt noch Verbrechen gebe, widerſprechen auch nicht jene
Anordnungen, welche die Schwere der Strafe für das an
ſich ſchuldhafte Thun
abſtufen nach der Größe des ver-
urſachten Schadens, unabhängig davon, ob gerade in Bezug
auf die Verurſachung dieſes ſchwereren Erfolges Schuld
vorliegt (vgl. unten §. 54 I 3). Denn die beſtrafte Hand-

3 [Spaltenumbruch] Man vgl. außer den Zoll-
und Steuergeſetzen: Geſetz betr.
die Nationalität der Kauffahrtei-
ſchiffe vom 25. Oktober 1867
§. 14; Aktiengeſetz vom 11. Juni
1870 §. 249 a; Preßgeſetz vom
7. Mai 1874 §. 21 (nicht §. 20);
Rinderpeſtgeſetz vom 21. Mai
1878 §. 3 Abſ. 2; Spielkarten-
ſtempelgeſetz vom 3. Juli 1878
§. 10 Abſ. 3. Ueber dieſe Prä-
ſumptionen Binding Normen
II S. 612 ff.
4 [Spaltenumbruch] Die einzige Ausnahme, bei
der es ſich alſo nicht um eine
Präſumption der Schuld ſondern
um Ignorierung derſelben han-
delt, bietet §. 137 Abſ. 1 des
Vereinszollgeſetzes vom 3. Juli
1869, aber auch dieſer nur in-
ſoweit weder der 2. Abſ. ein-
greift, noch auch die Wortfaſſung
des bezogenen §. 136 das Ge-
genteil ergiebt.
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[107/0133] Die Schuld. §. 27. einzigen Schuldarten bezeichnet und dieſes Reſultat als ein aus dem poſitiven Rechte abgeleitetes hingeſtellt. Dieſer Be- hauptung widerſprechen nicht die zahlreich in den ſtrafrecht- lichen Nebengeſetzen ſich findenden Präſumptionen der Schuld. 3 Denn wenn das objektive Recht bis zu dem Beweiſe des Gegenteils die Schuld — Vorſatz oder Fahrläſſigkeit — als erwieſen annimmt, vielleicht auch den Gegenbeweis dem An- geſchuldigten aufbürdet, ſo anerkennt es ja gerade dadurch, daß ohne Vorſatz oder Fahrläſſigkeit eine Beſtrafung nicht eintreten kann und ſoll. Durch die Präſumption einer Thatſache wird ja gerade deren rechtliche Bedeutung beſon- ders betont. 4 Unſerem Satze, daß Vorſatz und Fahrläſſigkeit die ein- zigen Schuldarten ſeien und daß es ohne Schuld weder Delikt noch Verbrechen gebe, widerſprechen auch nicht jene Anordnungen, welche die Schwere der Strafe für das an ſich ſchuldhafte Thun abſtufen nach der Größe des ver- urſachten Schadens, unabhängig davon, ob gerade in Bezug auf die Verurſachung dieſes ſchwereren Erfolges Schuld vorliegt (vgl. unten §. 54 I 3). Denn die beſtrafte Hand- 3 Man vgl. außer den Zoll- und Steuergeſetzen: Geſetz betr. die Nationalität der Kauffahrtei- ſchiffe vom 25. Oktober 1867 §. 14; Aktiengeſetz vom 11. Juni 1870 §. 249 a; Preßgeſetz vom 7. Mai 1874 §. 21 (nicht §. 20); Rinderpeſtgeſetz vom 21. Mai 1878 §. 3 Abſ. 2; Spielkarten- ſtempelgeſetz vom 3. Juli 1878 §. 10 Abſ. 3. Ueber dieſe Prä- ſumptionen Binding Normen II S. 612 ff. 4 Die einzige Ausnahme, bei der es ſich alſo nicht um eine Präſumption der Schuld ſondern um Ignorierung derſelben han- delt, bietet §. 137 Abſ. 1 des Vereinszollgeſetzes vom 3. Juli 1869, aber auch dieſer nur in- ſoweit weder der 2. Abſ. ein- greift, noch auch die Wortfaſſung des bezogenen §. 136 das Ge- genteil ergiebt.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/133>, abgerufen am 24.04.2024.