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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Der Vorsatz. §. 28.
Vorstellung, daß diese Veränderungen durch die Hand-
lung
hervorgerufen werden würden.2

Der Begriff des Vorsatzes ist auf dem Gebiete
des normgemäßen und des normwidrigen, des
rechtlich bedeutsamen wie des rechtlich indifferenten
Handelns ein und derselbe
. Man spricht von dem
vorsätzlichen Abschießen eines Gewehres, mag es sich um die
Tötung eines Menschen, um Ausübung des Jagdrechtes oder
lediglich darum handeln, daß die Ladung aus dem Rohre
entfernt werde. Allerdings ist der Sprachgebrauch kein kon-
stanter; Absicht und Vorsatz werden nebeneinander, der
erstere Ausdruck noch häufiger gebraucht. Aber dasselbe
Schwanken zeigt sich in der Strafgesetzgebung; auch diese
gebraucht neben andern Synonimen für Vorsatz auch das
Wort Absicht3 (also Absicht = Vorsatz: erste Bedeutung von
Absicht).

Nur die objektive Normwidrigkeit der Hand-
lung macht den Vorsatz
zum schuldhaften Vorsatz.

II. Daraus ergiebt sich eine wichtige Konsequenz. Das
Bewußtsein der Normwidrigkeit gehört nicht zum Be-
griffe des Vorsatzes an sich. Freilich könnte die Gesetzge-
bung durch ausdrückliche oder stillschweigende Anordnung den
Eintritt der Deliktsfolgen bei der vorsätzlichen normübertre-
tenden Handlung abhängig machen von dem Bewußtsein
dieser Eigenschaft der Handlung; dann wäre der schuld-
hafte Vorsatz der bewußt rechtswidrige Wille. Aber die

2 [Spaltenumbruch] Dadurch unterscheidet sich
der Vorsatz von dem Wunsch,
welcher die Vorstellung künfti-
ger Veränderungen, aber nicht
die Vorstellung der Kausalität
der gegenwärtig vorgenommenen[Spaltenumbruch] Handlung für dieselben in sich
schließt.
3 [Spaltenumbruch] Zusammenstellung der Sy-
nonima für Vorsatz bei Bin-
ding
Normen II Noten 669
u. 671.

Der Vorſatz. §. 28.
Vorſtellung, daß dieſe Veränderungen durch die Hand-
lung
hervorgerufen werden würden.2

Der Begriff des Vorſatzes iſt auf dem Gebiete
des normgemäßen und des normwidrigen, des
rechtlich bedeutſamen wie des rechtlich indifferenten
Handelns ein und derſelbe
. Man ſpricht von dem
vorſätzlichen Abſchießen eines Gewehres, mag es ſich um die
Tötung eines Menſchen, um Ausübung des Jagdrechtes oder
lediglich darum handeln, daß die Ladung aus dem Rohre
entfernt werde. Allerdings iſt der Sprachgebrauch kein kon-
ſtanter; Abſicht und Vorſatz werden nebeneinander, der
erſtere Ausdruck noch häufiger gebraucht. Aber dasſelbe
Schwanken zeigt ſich in der Strafgeſetzgebung; auch dieſe
gebraucht neben andern Synonimen für Vorſatz auch das
Wort Abſicht3 (alſo Abſicht = Vorſatz: erſte Bedeutung von
Abſicht).

Nur die objektive Normwidrigkeit der Hand-
lung macht den Vorſatz
zum ſchuldhaften Vorſatz.

II. Daraus ergiebt ſich eine wichtige Konſequenz. Das
Bewußtſein der Normwidrigkeit gehört nicht zum Be-
griffe des Vorſatzes an ſich. Freilich könnte die Geſetzge-
bung durch ausdrückliche oder ſtillſchweigende Anordnung den
Eintritt der Deliktsfolgen bei der vorſätzlichen normübertre-
tenden Handlung abhängig machen von dem Bewußtſein
dieſer Eigenſchaft der Handlung; dann wäre der ſchuld-
hafte Vorſatz der bewußt rechtswidrige Wille. Aber die

2 [Spaltenumbruch] Dadurch unterſcheidet ſich
der Vorſatz von dem Wunſch,
welcher die Vorſtellung künfti-
ger Veränderungen, aber nicht
die Vorſtellung der Kauſalität
der gegenwärtig vorgenommenen[Spaltenumbruch] Handlung für dieſelben in ſich
ſchließt.
3 [Spaltenumbruch] Zuſammenſtellung der Sy-
nonima für Vorſatz bei Bin-
ding
Normen II Noten 669
u. 671.
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[109/0135] Der Vorſatz. §. 28. Vorſtellung, daß dieſe Veränderungen durch die Hand- lung hervorgerufen werden würden. 2 Der Begriff des Vorſatzes iſt auf dem Gebiete des normgemäßen und des normwidrigen, des rechtlich bedeutſamen wie des rechtlich indifferenten Handelns ein und derſelbe. Man ſpricht von dem vorſätzlichen Abſchießen eines Gewehres, mag es ſich um die Tötung eines Menſchen, um Ausübung des Jagdrechtes oder lediglich darum handeln, daß die Ladung aus dem Rohre entfernt werde. Allerdings iſt der Sprachgebrauch kein kon- ſtanter; Abſicht und Vorſatz werden nebeneinander, der erſtere Ausdruck noch häufiger gebraucht. Aber dasſelbe Schwanken zeigt ſich in der Strafgeſetzgebung; auch dieſe gebraucht neben andern Synonimen für Vorſatz auch das Wort Abſicht 3 (alſo Abſicht = Vorſatz: erſte Bedeutung von Abſicht). Nur die objektive Normwidrigkeit der Hand- lung macht den Vorſatz zum ſchuldhaften Vorſatz. II. Daraus ergiebt ſich eine wichtige Konſequenz. Das Bewußtſein der Normwidrigkeit gehört nicht zum Be- griffe des Vorſatzes an ſich. Freilich könnte die Geſetzge- bung durch ausdrückliche oder ſtillſchweigende Anordnung den Eintritt der Deliktsfolgen bei der vorſätzlichen normübertre- tenden Handlung abhängig machen von dem Bewußtſein dieſer Eigenſchaft der Handlung; dann wäre der ſchuld- hafte Vorſatz der bewußt rechtswidrige Wille. Aber die 2 Dadurch unterſcheidet ſich der Vorſatz von dem Wunſch, welcher die Vorſtellung künfti- ger Veränderungen, aber nicht die Vorſtellung der Kauſalität der gegenwärtig vorgenommenen Handlung für dieſelben in ſich ſchließt. 3 Zuſammenſtellung der Sy- nonima für Vorſatz bei Bin- ding Normen II Noten 669 u. 671.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/135>, abgerufen am 29.03.2024.